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Ausgabe 2001/01

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Oper als großes Menschentheater

Kulturpolitik
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Karlsruhe: Pierre Wyss neuer Ballettchef

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Kiel als Musikstadt

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Porträt

Kiel als Musikstadt

Mit den vorhandenen Mitteln Überdurchschnittliches leisten

Die Dinge sind nicht mehr, was sie einmal waren. Zwar kann man, wenn man die Treppen abwärts steigt, sehr wohl noch von den rasenden Läufen eines zornigen Saxophons empfangen werden; im Keller angelangt stellt sich jedoch die Frage, ob die Wut des Bläsers nicht vor allem in der Zuhörerquote begründet liegt, die an diesem Abend lange Zeit beschämend niedrig bleibt. „Ich weiß es nicht“, antwortet Ute Pioch, Veranstalterin des „Jazz Clubs“ im Kommunikationszentrum „Pumpe“, dezidiert resigniert auf die Frage nach den Gründen für diesen mittlerweile chronischen Publikumsmangel. Solche Stoßseufzer sind in der Stadt derzeit oft zu vernehmen – nicht nur bei Kiels dienstältester Konzertreihe zum Thema Jazz.

 

Der Fußball, das Wetter, die Faulheit, das Geld: vier meistgenannte Gründe, die treffen könnten, von denen aber keiner sicher ist. Sicher ist nur, dass Ute Pioch das Beste macht aus ihrem kleinen Jahresetat von gerade mal 4.600 Mark, dessen Bestand wiederum keineswegs gesichert ist, denn im Kulturamt herrscht akute Katastrophenstimmung: Nachdem die Stadt der regsamen Behörde mit treffsicherem Gespür für exzellente Jazz-, Chanson- und sonstige Konzerte im „KulturForum“ soeben neue Räumlichkeiten für eigene Veranstaltungen eingerichtet hat, soll nun der Ausgabenetat von 120.000 Mark dergestalt umgeschichtet werden, dass man dort eben diese Veranstaltungen kaum mehr wagen kann.

Solche kulturpolitischen Entscheidungen fallen allerorten, in der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins zurzeit jedoch so gehäuft, dass ein paar trübe Moll-Akkorde bei einer Bestandsaufnahme zum Thema „Musikleben“ nicht ausbleiben können. Doch es gibt auch Wege, sie zu vermeiden: „Die Frage, die uns im Moment wirklich bewegt, ist die, wie man den ‚Kieler Ring‘ noch toppen kann“, konstatiert Ulrich Windfuhr, der Generalmusikdirektor der knapp 234.000-Einwohner-Stadt im Land zwischen den Meeren. Der fordernde Maestro, der hier seine dritte Spielzeit als Herr über ein durchaus herausragendes B-Orchester erlebt, will nicht über die kontrovers diskutierten Sanierungspläne für das extrem renovierungsbedürftige Drei-Sparten-Haus sprechen, noch weniger über den Vorschlag des Kulturdezernenten Heinz Rethage, das Theater zu privatisieren, um auf diese Weise spürbare Einsparungen in einem mit 44,1 Millionen Mark nicht eben üppig bemessenen Gesamtetat zu erreichen. Vielmehr spielt er mit Nachdruck auf jene künstlerische Qualität an, die die Kieler Oper mit ihrer bundesweit und zum Teil sogar ein wenig weiter gelobten Inszenierung der Wagner’schen Tetralogie erreichen konnte. Diese beachtliche Visitenkarte aus der Feder der Regie führenden Operndirektorin Kirsten Harms stellt keineswegs die Ausnahme dar: Auch Ballettdirektor Stephan Thoss beispielshalber präsentiert mit seiner „ThossTanzKompanie“ modernes Tanztheater auf höchstem Niveau und lässt sich von zeitgenössischen Komponisten wie Arvo Pärt zu seinen progressiven Choreografien inspirieren. Weil man es am Haus überdies versteht, musikalische Mutproben und Selbstläufer geschickt und ausgewogen miteinander zu kombinieren, ist der Zuspruch von Seiten des Publikums – anders als in der „Pumpe“ – erfreulich hoch.

Mit den vorhandenen Mitteln Überdurchschnittliches leisten: Diese Linie wird auch bei den in der Saison monatlich stattfindenden „Philharmonischen Konzerten“ vertreten. Hier kombiniert der GMD, der sich an so namhaften Vorgängern wie Klaus Tennstedt zu messen hat, Schostakowitsch mit Beethoven oder Berg mit Bruckner, um auf diese Weise herauszustellen, „welche Werke des 20. Jahrhunderts bereits repertoirefähig sind.“ Veranstaltet werden die gut frequentierten Aufführungen indes vom „Verein der Musikfreunde“, der das Kieler Konzertleben seit mittlerweile hundert Jahren prägt. Die enge Zusammenarbeit mit dem Orchester der Stadt ist Tradition, ebenso das Engagement einzelner Orchestermitglieder, die das Kieler Musikgeschehen auch als Solisten oder Ensembleleiter formen.

Konzertmeister und Violinist Rüdiger Debus beispielsweise feilt mit seiner „Camerata Kiel“ an einer historischen Aufführungspraxis, sein Kollege Robert König widmet sich mit dem „Sinfonieorchester des Ernst Barlach Gymnasiums“ der großen romantischen Sinfonik; nicht zu vergessen das neu gegründete „Philharmonische Kammerorchester Kiel“, das sich unter wechselnden Dirigenten auch und besonders dem Rand- und Nischenrepertoire verpflichtet fühlt. Die Zahl der außerdem aktiven Laienorchester und semiprofessionellen Ensembles ist groß, wesentliche Impulse kommen aus den Bereichen der Kirchen- und Universitätsmusik.

Wenn auch in kleinerem Ausmaß, gehen ähnliche Aktivitäten ebenso von einzelnen Mitgliedern des Sängerensembles und des Opernchors der Kieler Bühnen aus. Der knapp 40-köpfige Chor, der sich in dieser Saison unter anderem an Orffs „Carmina Burana“ versuchen wird, ist in guter Form, weil trotz schlechter Zeiten hochqualifizierte und hochmotivierte Sänger in großer Zahl anzutreffen sind. So kann Chordirektor Jaume Miranda über einen ausgesprochen kultivierten Klangkörper verfügen, aus dem sich wiederum kleinere Formationen wie das „Quartetto plus“ herauskristallisieren, ein junges, feinsinniges Vokalensemble mit unüberhörbar noblem Ton. Überhaupt ist eine ausgesprochen ambitionierte Chormusikszene zu verzeichnen: Der seit zehn Jahren bestehende „Madrigalchor Kiel“ unter der Leitung von Friederike Woebcken etwa wurde 1994 beim 4. Deutschen Chorwettbewerb in Fulda erster Preisträger in der Kategorie „gemischte Chöre“; der ehrgeizige Kantor Andreas Koller hat sein „Palestrina-Ensemble“ so gut im Griff, dass man sich auch mit einer „h-Moll-Messe“ nicht überhebt. Vergleichbar anspruchsvolle Ensembles, der „Sankt-Nikolai-Chor“ und der „Jugendkammerchor Kiel“, werden in der Stadt von Rainer-Michael Munz und Matthias Janz, den Kirchenmusikdirektoren von Kiel und Flensburg, geleitet.

So schmeckt das klassische Schwarzbrot außerhalb der drei Sommermonate, in denen das „Schleswig-Holstein Musik Festival“ Land und Hauptstadt mit einer Fülle von großen Events und Konzerten versorgt, Künstler wie Karlheinz Stockhausen, Renée Fleming oder Wynton Marsalis in das innerarchitektonisch fast schon wieder eindrucksvoll gestrige „Schloss“ holt. Die „JazzBaltica“, das auf drei kurze Tage begrenzte Festivalpendant in Sachen Jazz, hat gut zehn Jahre nach ihrer Gründung bereits so üppige Ausmaße erreicht, dass man sie ins nahe Salzau auslagern musste. Als jeweils kaum ersetzbare Veranstaltungsorte teilen die dortige Konzertscheune und das Kieler Schloss im Übrigen ein Schicksal, das hier zu Lande rätselhaft oft die Falschen ereilt: Aus Spargründen wird derzeit intensiv über ihre Veräußerung nachgedacht.

Von Oliver Stenzel

 

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