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Buch Aktuell
Mir brauchet koi Krombiere, mir brauchet Konscht
Hannes Rettich: Mittler zwischen Sparzwängen und Kultur
Hannes
Rettich: Zwischen Kunst und Politik. Erinnerungen eines musischen
Bürokraten. Hohenheim-Verlag, Stuttgart/Leipzig 2000, 260 S.,
39,80 Mark.
Hannes Rettich zitiert in seinen Erinnerungen eines musischen
Bürokraten diesen schwäbischen Ausspruch gleich
zweimal. Er stammt von einem Württemberger Abgeordneten, fiel
im Jahr 1827 und lautet im Original natürlich anders: Wir brauchen
keine Kunst (Konscht), wir brauchen Sozialleistungen (Krombiere).
Der wackere Mann hatte schon damals formuliert, was manch deutscher
Kulturpolitiker, so Brandenburgs damaliger Minister für Kultur,
Steffen Reiche, im März 1999 viel brutaler und obendrein auf
hochdeutsch aussprach: Sollen wir weitere Kindertagesstätten
schließen, um das Theater in Potsdam erhalten zu können?
In diesem Zielkonflikt hat Hannes Rettich, der promovierte Theaterwissenschaftler
und Jurist, sich selbst als Dolmetscher verstanden: Ich habe
mich bemüht, den Künstlern die Zwänge der Politik
zu erklären, und den Politikern wollte ich die Mentalität
der Künstler verständlich machen... Politik sucht nach
Mehrheiten, die Kunst nach Qualität. Das Meiste ist jedoch
nicht immer das Beste.
Von 1961 bis 1990 war Rettich an maßgeblichen Stellen für
die Landeskultur in Baden-Württemberg zuständig, zuletzt
als Kunstkoordinator im Staatsministerium. Mit dem Rücktritt
Lothar Späths versandete die von Rettich erarbeitete Kunstkonzeption
für Baden-Württemberg, kam das geplante eigenständige
Kunstministerium nicht mehr zustande, wurde die in Stuttgart konzipierte
Theaterakademie von August Everding in München verwirklicht.
Hannes Rettich zog sich auf eine Professur für Kulturmanagement
in Ludwigsburg zurück. Es blieb ihm erspart, aktiv miterleben
zu müssen, wie die Kulturpolitik in die Mühlen der Rechtfertigungs-
und Sparzwänge der Finanzpolitik geriet.
Sein Erinnerungsbuch ist eine Mischung aus Autobiografie und belehrendem
Geschäftsbericht über vorbildliche Kulturverwaltung. Eine
Jugend im Krieg, das Münchener Nachkriegs-Kabarett, das Erlanger
Studenten-Theater, Aufstieg und Untergang der Hochschule für
Gestaltung in Ulm und deren Usurpation durch die von Alexander Kluge
und Edgar Reitz betriebene Filmabteilung lässt Rettich Revue
passieren, um dann höchst informativ die große Zeit Stuttgarter
Kulturpolitik unter den Ministern Storz, Hahn, Engler und zuletzt
unter Späths Staatsrat Wolfgang Gönnenwein zu schildern.
Dessen strafrechtlich verfolgte Etatüberschreitung sowie andere
spektakuläre Begebenheiten werden ebenso sensibel wie amüsierend
dargestellt: Der Kauf einer Stradivari-Violine für die junge
Anne-Sophie Mutter, die Berufung John Crankos, die Parteienwirtschaft
im Rundfunkrat des SDR oder der Rausschmiss Claus Peymanns wegen
angeblichen RAF-Sympathiesantentums.
Bei Rettichs Darstellung zurückliegender Erlebnisse fällt
oberflächliche Lektorierung auf, so, wenn die Schauspielerin
Giehse durchgehend ohne h, Geisel-gasteig mit Bindestrich
geschrieben wird, oder wenn biografische Daten wie bei Hans Schweikart
oder Ernst Seiltgen nicht stimmen. Aber das tut dem Werk keinen
Abbruch. Lothar Späths Abschiedskompliment für Rettich,
er sei der einzige Beamte gewesen, der sich eine eigene Landesregierung
gehalten habe, könnte ergänzt werden: und der ihr beigebracht
hat, wie Kulturförderung und Kulturverwaltung gestaltet werden
können.
Stefan
Meuschel
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