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Kulturpolitik
Wechsel in Karlsruhe
Künftiger Ballettchef Pierre Wyss
Im Wirbel schneller Wechsel befindet sich derzeit die Ballett-Compagnie
des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. 22 Jahre lang drückte
der Béjart-Schüler Germinal Casado dem Karlsruher Ballett
seinen Stempel auf. Dann kam Olaf Schmidt und versuchte, nach der
sehr klassischen Ästhetik Casados eine modernere Tanzsprache
einzuführen. Doch Schmidt blieb ohne Fortune und ließ
sich vorzeitig aus dem Vertrag entlassen. Von seinem abruptem Weggang
überrascht, besann sich Intendant Pavel Fieber in seiner Not
auf alte Verbindungen und berief Pierre Wyss zum neuen Leiter des
Balletts. Beide kennen sich aus Ulm, wo Wyss 1983 seine erste Stelle
als Ballettdirektor angetreten hatte. Doch muss der Mann, der die
Karlsruher Compagnie zu einer neuen Blütezeit führen soll,
erst einmal seine zweite Amtszeit als Ballettdirektor in Braunschweig
zu Ende bringen. In dieser Spielzeit hängen die Karlsruher
Tänzerinnen und Tänzer sozusagen noch in der Luft. Klar
ist nur eines: auch Pierre Wyss hat seine eigenen Vorstellungen
und wird zum Amtsantritt in Karlsruhe 2001/2002 eine Reihe vertrauter
Gesichter aus Braunschweig mitbringen.
Einige Mitglieder der Karlsruher Compagnie seien ihm zu klassisch,
zu elegant, sagt Wyss. Er setzt auf sichtbare Kraft, auf dramatischen
Ausdruck, auf ganz verschiedene Typen unter den Tänzern. Was
im Ergebnis zum Austausch eines Drittels des 32köpfigen Balletts
führt. Immerhin ist es dem designierten Leiter gelungen, nicht
nur einen Stellenabbau zu vermeiden. Er bringt aus Braunschweig
außerdem noch eine Mitarbeiterin für Sekretariat und
Organisation mit, eine unentbehrliche Kommunikationsstelle, wie
er sagt. Dazu kommt der Fachmann fürs Marketing, der
das Karlsruher Ballett künftig auf internationale Gastspielreisen
schicken soll. Das habe sich in Braunschweig ebenfalls schon bewährt,
versichert Wyss. Neben der Aufstockung der Verwaltung soll endlich
der längst überfällige zweite Ballettsaal kommen,
und zur Vorbeugung gegen die allgegenwärtige Verletzungsgefahr
soll der Physiotherapeut der Karlsruher Fußballer den Tänzerinnen
und Tänzern zur Verfügung stehen.
Künstlerisch ist Wyss durch seine Ausbildung an der Stuttgarter
Ballettschule und seine Zeit als Tänzer im Stuttgarter Ballett
unter der Direktion von Marcia Haydee geprägt. Die großen
Choreographen wie Kylian, Neumeier, Forsyth, van Manen, haben Wyss
die Fundamente seiner eigenen Arbeit als Choreograph vermittelt.
So sucht auch der künftige Karlsruher Ballettdirektor nach
einer Synthese aus klassischem Erbe und modernem Tanztheater, frei
nach dem Motto: Schönheit ist nicht alles. Auch seine Frau,
die amerikanische Tänzerin Lisi Grether, ist ein Produkt der
legendären Stuttgarter Schule, und über die Stationen
in Ulm, Wiesbaden und Braunschweig hinweg ist der Kontakt nach Stuttgart
nie abgerissen.
Von dort will Wyss immer mal wieder einen Gast einladen wie den
ehemaligen Tänzer und heutigen Musicalsänger Randy Diamond.
Junge Choreographen sollen in Karlsruhe eine Chance erhalten. Überhaupt
soll nach den Vorstellungen von Pierre Wyss das Karlsruher Ballett
wieder stärker präsent sein. Zwei neue Produktionen im
Großen Haus und zwei im Kleinen Haus, dazu zwei Wiederaufnahmen,
so stellt er sich eine Spielzeit vor. Bei Bedarf könnte die
Compagnie um die Eleven aus Birgit Keils Mannheimer Tanzakademie
aufgestockt werden, zum Beispiel für eine traditionelle und
eine moderne Giselle im Doppelpack. Die erste Arbeit
mit dem Karlsruher Ballett ist einem großen Filmregisseur
gewidmet: mit Zirkus Fellini will der neue Direktor
das Karlsruher Publikum ab der nächsten Spielzeit in ein zeitgemäßes
Tanztheater einführen.
Nike
Luber
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