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Kulturpolitik
Götz Friedrichs Dankesrede
Ich bin dankbar, glücklich und bewegt. Dabei ist ja
die Verleihung des Wilhelm-Pitz-Preises als Preis einer Künstler-Gewerkschaft
an einen amtierenden Generalintendanten nichts Selbstverständliches.
Umso größer empfinde ich dies wirklich als eine Ehre.
Dass Sie mir diesen Preis hier und jetzt überreichen, hier
im Festspielhaus Bayreuth, das gibt eine besondere Bedeutung. Und
dass es gerade jetzt geschieht, wo in Berlin das Musiktheater in
ärgste Bedrängnis gerät, das macht diese Stunde für
mich so ganz außerordentlich wichtig.
Bleiben wir an diesem Ort. Es war ja keine Bombe, die ich mit meinem
Tannhäuser in Bayreuth hoch gehen lassen wollte,
sondern ich kam, so wie ich erzogen worden war, in der Ansicht,
man realisiert eine Partitur, ein Stück nach genauester Analyse
und so gut, wie man es künstlerisch entziffern kann, und mit
allem sinnlichen Elan, zu dem man fähig war. Daraus entstand
ein Ungewitter, aber wir haben die Feuertaufe bestanden. Noch drei
Stunden, bevor die alljährliche Pressekonferenz begann, war
Wolfgang Wagner mit uns, mit mir, aufmunternd, tröstend, aufbauend.
Dort wurde der Boden gelegt für eine mit größter
Verehrung andauernde Freundschaft mit Wolfgang.
Buhrufe für den Falschen
Aber noch etwas ist bei dieser Feuertaufe wichtig. Und immer noch,
lieber Norbert Balatsch, befinde ich mich Ihnen gegenüber in
größter Schuld. Einige von Ihnen waren dabei, einige
wissen noch, was passierte. Es war der erste Applaus nach der Premiere.
Dieser Applaus galt nach schöner alter und immer wieder neuer
Sitte dem Festspielchor. Es war das erste Jahr, in dem Herr Balatsch
in der Nachfolge von unserem verehrten Herrn Pitz die Leitung des
Festspielchores übernommen hatte. Der Chor stand da, und in
der Mitte des Chores stand ein Mensch, den man damals als Publikum
noch nicht so genau kannte. Denn er war ja neu. Und nun dachten
die, die gerade wegen dieses Künstlers damals extra gekommen
waren, das sei ich. Und auf Herrn Balatsch prasselte ein Buh-Gewitter
los, das man mir zugedacht hatte. Als ich dann selber kam, ging
es erst richtig los. Aber auch dieses war der Beginn einer kollegialen,
freundschaftlichen Verbundenheit nun über 14 Jahre, nicht nur
in dieser wunderbaren Arbeit mit Ihnen und dem Chor, mit Lohengrin
und Parsifal, auch bei Moses und Aron an
der Wiener Staatsoper und zuletzt eben auch in den Meistersingern
der Deutschen Oper Berlin.
So war das, so fing das in Bayreuth an. Und neben den vielen, damals
ja sehr jungen großartigen Solisten, die mit durch die Feuertaufe
gingen, war es immer auch der Festspielchor, mit der elementaren
Kraft von sich bündelnden Individuen im Chor, der diesen Aufführungen
ihre unvergleichliche Qualität gegeben hat, so wie es bis zum
heutigen Tage der Fall ist.
Nun haben Sie mich in die Reihe der bisherigen Wilhelm-Pitz-Preisträger
gestellt. Ich erinnere an Wolfgang Wagner, Josef Greindl, Astrid
Varnay, Norbert Balatsch und den Festspielchor, Birgit Nilsson,
Dietrich Fischer-Dieskau. Ich hatte die große Ehre, die Laudatio
auf Astrid Varnay zu halten. Ich darf ganz kurz in Erinnerung rufen,
was ich ihr damals gesagt habe. Ich habe sie gebeten, den Preis
anzunehmen in dem Sinne, dass wir alle nur ein Glied sind der Entwürfe
eines anderen, hieße der nun Richard Wagner oder Leo
Janácek oder wie auch immer. In dem Sinne, dass wir alle
ein großes Team von Narren sind, die glauben, Oper habe, so
unsinnig sie ist, einen tieferen, einen höheren, einen Hinter-Sinn
für unseren Weg, den wir gehen, oder den wir unseren Kindern
bereiten.
Etwas von dem sage ich mir auch heute. So lebt viel Leben in einer
solchen Medaille. Die Laudatio, lieber Harry, die Du gehalten hast,
hat mich in einer besonderen Weise beschämt. Und das Wichtigste
für mich, was Du gesagt hast, war: Man muss sich emanzipieren,
ohne Vatermord betreiben zu müssen oder zu wollen. Man muss
voran gehen. Man muss etwas Neues, etwas Eigenes finden, ohne das,
was war, kaputt zu schlagen oder schlecht zu machen. Das habe ich
immer versucht, und ich werde es mir vornehmen, solange ich arbeiten
kann.
Keine Ungeheuer
Wir Regisseure sind ja nun wirklich nicht diese diktatorischen
Ungeheuer, zu denen man uns gerne stempeln möchte. Ich habe
mich nie zu einem Vertreter des sogenannten Regietheaters gerechnet.
Was wir nun einmal sind und was wir tun müssen, das ist das,
dass wir das sogenannte Normale, das, was immer üblich ist,
das, was immer so war und was sich auch so gut ausrechnen lässt,
wir müssen das in Bewegung bringen. Wir müssen das immer
wieder verändern. Dafür liebt man uns manchmal, noch häufiger
wird man skeptisch, manche hassen uns dafür. Aber Fantasiearbeit
zu leisten auf der Basis genauer Analyse, auch wirtschaftlicher
Analyse, mit der Fähigkeit, viele Menschen zu motivieren für
das, was wir wollen, sie zu überreden, sie zu überzeugen,
sie mitzureißen oder sie einfach nachdenklich und stumm zu
machen: das müssen wir können, das müssen wir immer
wieder lernen, und wir müssen das eben nicht machen, indem
wir Befehle geben, sondern durch Sensibilität und Achtung aller
derer, mit denen wir arbeiten. So habe ich es ein Berufsleben lang
verstanden, und so möchte ich es auch weiter verstehen, mich
dabei an ein Wort von Richard Wagner erinnernd, der gesagt hat:
Die Hauptaufgabe des Regisseurs besteht darin, alle an einer
Aufführung Mitwirkenden zu überzeugen, dass das, was sie
gerade tun, das Wichtigste und Richtigste ist, was sie tun können,
und sie damit zu einem sowohl wissentlichen wie emotionellen unbedingten
und unabdingbaren Bestandteil des Gesamtwerks Aufführung machen.
Der Regisseur ist Spiritus Rector und Diener zugleich und muss einfach
eines wissen: Die Könige der Szene werden im Moment der Premiere
entmachtet. Bleiben tut nur, was wir allen anderen erklärt,
was wir erbettelt, erkämpft haben, und bleiben tut vor allen
Dingen der Dirigent.
Vom Regen in die Traufe
Diese Machtlosigkeit, die mit jeder Premiere einhergeht, die hat
mich irgendwann gewurmt. Und da habe ich beschlossen, gerne Intendant
zu werden. Als ich dann Intendant wurde, habe ich gemerkt, dass
man nicht nur vom Regen in die Traufe kommt: Man ist nicht nur ein
entmachteter König, sondern man ist so wie Wotan in den eigenen
Gesetzen gefangen, schlimmer als der geringste Freie. Und trotzdem
macht mir das Spaß und es wird mir weiter Spaß machen.
Aber was ich als Regisseur begriffen habe, versuche ich eben auch
als Intendant zu befolgen. Das Große, das Besondere ist nicht
durchzusetzen durch Ukasse oder durch den Befehl, sondern nur durch
eine Solidarisierung Vieler oder hoffentlich der Meisten im Betrieb
mit dem, was nötig ist und was man sich vorgenommen hat, was
aber auch allen erklärt werden muss. Die unterschiedlichen
Interessen, die es in einem Betrieb von 900 Menschen unvermeidbar
gibt, müssen zu einem produktiven Zusammenwirken kommen, und
sie können natürlich in einer Situation, wie sie im Moment
in Berlin herrscht, besonders auseinander klaffen. Umso mehr sind
wir in Berlin, aber auch überall in Deutschland, nicht nur
im Moment, sondern sicher auch in den kommenden Jahren, aufgerufen,
eines gemeinsam zu verstehen und zu begreifen. Angesichts der Bedrohung,
angesichts der Herausforderung, angesichts der Situation der öffentlichen
Haushalte, angesichts der Tatsache, dass die Unterstützung
der Kultur seitens der Politik als eine freiwillige Maßnahme
missverstanden wird, angesichts aller dieser Tatsachen, kann es
nur in einer konzertierten Aktion aller, die am künstlerischen
Erhalt der Opernkunst interessiert sind, gelingen, diese zahlreichen
Anschläge auf das Musiktheater abzuwenden. Nur so kann es gelingen,
es zu stabilisieren, es auch zu erneuern als unverzichtbares Instrument
zur Förderung einer wirklich zutiefst humanen Fantasie im Umkreis
einer sozialen Verantwortung. Das meine ich, und dazu stehe ich.
Die Oper ist fähig, sich immer wieder neu zu regenerieren,
auch in neuer Form aufzutreten, in Formen, auch in Kommunikationsformen
neu zu entstehen, die wir möglicherweise alle noch gar nicht
kennen. Das hat sie seit 400 Jahren gemacht, und sie wird es auch
noch lange Zeit machen. Ihre Demontage würde gleichbedeutend
sein mit der Demontage unserer deutschen Kulturnation, die ja erst
seit fünf oder sechs Jahren dabei ist, sich wieder neu zusammen
zu finden. Das Desaster, wenn wir diese historische Chance verschenken
würden, wäre irreparabel. Und deshalb beziehe ich mich
auf Walter Felsenstein, der uns und sich vor allem auch selber zu
streitbarem Fanatismus aufgefordert hat. Ich rufe uns heute zu einem
solchen streitbaren Fanatismus für die Entwicklung der Opernkunst
in Deutschland auf. Denn bei allem Verständnis für die
Situation der öffentlichen Haushalte müssen wir darauf
bestehen, dass Kultur und darin Oper eben nicht ein Luxus-Nebenelement
ist, sondern ein Lebensbedürfnis. Daran glaube ich, und weil
das so ist, bin ich der Meinung: Wir machen das so lange, wie wir
können, und so lange wir gesund bleiben, es zu tun. In diesem
Sinne ist mir dieser Preis besonders wertvoll, und ich danke Ihnen
allen ganz herzlich, vor allen Dingen, dass Sie mir nun auch noch
zugehört haben. Danke!
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