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Ausgabe 2001/01

Editorial

Götz Friedrich
Laudatio Harry Kupfer
Dankesrede Götz Friedrich
Pressemitteilung der Deutschen Oper
Oper als großes Menschentheater

Kulturpolitik
Ein kulurelles MacPomm?
Karlsruhe: Pierre Wyss neuer Ballettchef

Portrait
Kiel als Musikstadt

Berichte
Zwei mal „Boris Godunow“
„Pelleas et Melisande“ in Leipzig

Alles, was Recht ist
Konzert-Rechtssprechung
Gesetz über Teilzeitarbeit
Irreführende Berichterstattung
Ungerechte Entfernungspauschale
Betriebsverfassungsgesetz novellieren

Rezensionen
Rettich: Zwischen Kunst und Politik
Neue Opereinspielungen

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Kulturpolitik

Götz Friedrichs Dankesrede

„Ich bin dankbar, glücklich und bewegt. Dabei ist ja die Verleihung des Wilhelm-Pitz-Preises als Preis einer Künstler-Gewerkschaft an einen amtierenden Generalintendanten nichts Selbstverständliches. Umso größer empfinde ich dies wirklich als eine Ehre. Dass Sie mir diesen Preis hier und jetzt überreichen, hier im Festspielhaus Bayreuth, das gibt eine besondere Bedeutung. Und dass es gerade jetzt geschieht, wo in Berlin das Musiktheater in ärgste Bedrängnis gerät, das macht diese Stunde für mich so ganz außerordentlich wichtig.

Bleiben wir an diesem Ort. Es war ja keine Bombe, die ich mit meinem ‚Tannhäuser‘ in Bayreuth hoch gehen lassen wollte, sondern ich kam, so wie ich erzogen worden war, in der Ansicht, man realisiert eine Partitur, ein Stück nach genauester Analyse und so gut, wie man es künstlerisch entziffern kann, und mit allem sinnlichen Elan, zu dem man fähig war. Daraus entstand ein Ungewitter, aber wir haben die Feuertaufe bestanden. Noch drei Stunden, bevor die alljährliche Pressekonferenz begann, war Wolfgang Wagner mit uns, mit mir, aufmunternd, tröstend, aufbauend. Dort wurde der Boden gelegt für eine mit größter Verehrung andauernde Freundschaft mit Wolfgang.

Buhrufe für den Falschen

Aber noch etwas ist bei dieser Feuertaufe wichtig. Und immer noch, lieber Norbert Balatsch, befinde ich mich Ihnen gegenüber in größter Schuld. Einige von Ihnen waren dabei, einige wissen noch, was passierte. Es war der erste Applaus nach der Premiere. Dieser Applaus galt nach schöner alter und immer wieder neuer Sitte dem Festspielchor. Es war das erste Jahr, in dem Herr Balatsch in der Nachfolge von unserem verehrten Herrn Pitz die Leitung des Festspielchores übernommen hatte. Der Chor stand da, und in der Mitte des Chores stand ein Mensch, den man damals als Publikum noch nicht so genau kannte. Denn er war ja neu. Und nun dachten die, die gerade wegen dieses Künstlers damals extra gekommen waren, das sei ich. Und auf Herrn Balatsch prasselte ein Buh-Gewitter los, das man mir zugedacht hatte. Als ich dann selber kam, ging es erst richtig los. Aber auch dieses war der Beginn einer kollegialen, freundschaftlichen Verbundenheit nun über 14 Jahre, nicht nur in dieser wunderbaren Arbeit mit Ihnen und dem Chor, mit ‚Lohengrin‘ und ‚Parsifal‘, auch bei ‚Moses und Aron‘ an der Wiener Staatsoper und zuletzt eben auch in den ‚Meistersingern‘ der Deutschen Oper Berlin.

   

Die legendäre Bayreuther „Tannhäuser“-Inszenierung von Friedrich im Juli 1972. Foto: Festspiele

 

So war das, so fing das in Bayreuth an. Und neben den vielen, damals ja sehr jungen großartigen Solisten, die mit durch die Feuertaufe gingen, war es immer auch der Festspielchor, mit der elementaren Kraft von sich bündelnden Individuen im Chor, der diesen Aufführungen ihre unvergleichliche Qualität gegeben hat, so wie es bis zum heutigen Tage der Fall ist.

Nun haben Sie mich in die Reihe der bisherigen Wilhelm-Pitz-Preisträger gestellt. Ich erinnere an Wolfgang Wagner, Josef Greindl, Astrid Varnay, Norbert Balatsch und den Festspielchor, Birgit Nilsson, Dietrich Fischer-Dieskau. Ich hatte die große Ehre, die Laudatio auf Astrid Varnay zu halten. Ich darf ganz kurz in Erinnerung rufen, was ich ihr damals gesagt habe. Ich habe sie gebeten, den Preis anzunehmen in dem Sinne, dass wir alle nur ein Glied sind der Entwürfe eines anderen, hieße der nun Richard Wagner oder Leoš Janácek oder wie auch immer. In dem Sinne, dass wir alle ein großes Team von Narren sind, die glauben, Oper habe, so unsinnig sie ist, einen tieferen, einen höheren, einen Hinter-Sinn für unseren Weg, den wir gehen, oder den wir unseren Kindern bereiten.

Etwas von dem sage ich mir auch heute. So lebt viel Leben in einer solchen Medaille. Die Laudatio, lieber Harry, die Du gehalten hast, hat mich in einer besonderen Weise beschämt. Und das Wichtigste für mich, was Du gesagt hast, war: Man muss sich emanzipieren, ohne Vatermord betreiben zu müssen oder zu wollen. Man muss voran gehen. Man muss etwas Neues, etwas Eigenes finden, ohne das, was war, kaputt zu schlagen oder schlecht zu machen. Das habe ich immer versucht, und ich werde es mir vornehmen, solange ich arbeiten kann.

Keine Ungeheuer

Wir Regisseure sind ja nun wirklich nicht diese diktatorischen Ungeheuer, zu denen man uns gerne stempeln möchte. Ich habe mich nie zu einem Vertreter des sogenannten Regietheaters gerechnet. Was wir nun einmal sind und was wir tun müssen, das ist das, dass wir das sogenannte Normale, das, was immer üblich ist, das, was immer so war und was sich auch so gut ausrechnen lässt, wir müssen das in Bewegung bringen. Wir müssen das immer wieder verändern. Dafür liebt man uns manchmal, noch häufiger wird man skeptisch, manche hassen uns dafür. Aber Fantasiearbeit zu leisten auf der Basis genauer Analyse, auch wirtschaftlicher Analyse, mit der Fähigkeit, viele Menschen zu motivieren für das, was wir wollen, sie zu überreden, sie zu überzeugen, sie mitzureißen oder sie einfach nachdenklich und stumm zu machen: das müssen wir können, das müssen wir immer wieder lernen, und wir müssen das eben nicht machen, indem wir Befehle geben, sondern durch Sensibilität und Achtung aller derer, mit denen wir arbeiten. So habe ich es ein Berufsleben lang verstanden, und so möchte ich es auch weiter verstehen, mich dabei an ein Wort von Richard Wagner erinnernd, der gesagt hat: ‚Die Hauptaufgabe des Regisseurs besteht darin, alle an einer Aufführung Mitwirkenden zu überzeugen, dass das, was sie gerade tun, das Wichtigste und Richtigste ist, was sie tun können, und sie damit zu einem sowohl wissentlichen wie emotionellen unbedingten und unabdingbaren Bestandteil des Gesamtwerks Aufführung machen.‘ Der Regisseur ist Spiritus Rector und Diener zugleich und muss einfach eines wissen: Die Könige der Szene werden im Moment der Premiere entmachtet. Bleiben tut nur, was wir allen anderen erklärt, was wir erbettelt, erkämpft haben, und bleiben tut vor allen Dingen der Dirigent.

Vom Regen in die Traufe

Diese Machtlosigkeit, die mit jeder Premiere einhergeht, die hat mich irgendwann gewurmt. Und da habe ich beschlossen, gerne Intendant zu werden. Als ich dann Intendant wurde, habe ich gemerkt, dass man nicht nur vom Regen in die Traufe kommt: Man ist nicht nur ein entmachteter König, sondern man ist so wie Wotan in den eigenen Gesetzen gefangen, schlimmer als der geringste Freie. Und trotzdem macht mir das Spaß und es wird mir weiter Spaß machen. Aber was ich als Regisseur begriffen habe, versuche ich eben auch als Intendant zu befolgen. Das Große, das Besondere ist nicht durchzusetzen durch Ukasse oder durch den Befehl, sondern nur durch eine Solidarisierung Vieler oder hoffentlich der Meisten im Betrieb mit dem, was nötig ist und was man sich vorgenommen hat, was aber auch allen erklärt werden muss. Die unterschiedlichen Interessen, die es in einem Betrieb von 900 Menschen unvermeidbar gibt, müssen zu einem produktiven Zusammenwirken kommen, und sie können natürlich in einer Situation, wie sie im Moment in Berlin herrscht, besonders auseinander klaffen. Umso mehr sind wir in Berlin, aber auch überall in Deutschland, nicht nur im Moment, sondern sicher auch in den kommenden Jahren, aufgerufen, eines gemeinsam zu verstehen und zu begreifen. Angesichts der Bedrohung, angesichts der Herausforderung, angesichts der Situation der öffentlichen Haushalte, angesichts der Tatsache, dass die Unterstützung der Kultur seitens der Politik als eine freiwillige Maßnahme missverstanden wird, angesichts aller dieser Tatsachen, kann es nur in einer konzertierten Aktion aller, die am künstlerischen Erhalt der Opernkunst interessiert sind, gelingen, diese zahlreichen Anschläge auf das Musiktheater abzuwenden. Nur so kann es gelingen, es zu stabilisieren, es auch zu erneuern als unverzichtbares Instrument zur Förderung einer wirklich zutiefst humanen Fantasie im Umkreis einer sozialen Verantwortung. Das meine ich, und dazu stehe ich.

Die Oper ist fähig, sich immer wieder neu zu regenerieren, auch in neuer Form aufzutreten, in Formen, auch in Kommunikationsformen neu zu entstehen, die wir möglicherweise alle noch gar nicht kennen. Das hat sie seit 400 Jahren gemacht, und sie wird es auch noch lange Zeit machen. Ihre Demontage würde gleichbedeutend sein mit der Demontage unserer deutschen Kulturnation, die ja erst seit fünf oder sechs Jahren dabei ist, sich wieder neu zusammen zu finden. Das Desaster, wenn wir diese historische Chance verschenken würden, wäre irreparabel. Und deshalb beziehe ich mich auf Walter Felsenstein, der uns und sich vor allem auch selber zu streitbarem Fanatismus aufgefordert hat. Ich rufe uns heute zu einem solchen streitbaren Fanatismus für die Entwicklung der Opernkunst in Deutschland auf. Denn bei allem Verständnis für die Situation der öffentlichen Haushalte müssen wir darauf bestehen, dass Kultur und darin Oper eben nicht ein Luxus-Nebenelement ist, sondern ein Lebensbedürfnis. Daran glaube ich, und weil das so ist, bin ich der Meinung: Wir machen das so lange, wie wir können, und so lange wir gesund bleiben, es zu tun. In diesem Sinne ist mir dieser Preis besonders wertvoll, und ich danke Ihnen allen ganz herzlich, vor allen Dingen, dass Sie mir nun auch noch zugehört haben. Danke!“

 

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