Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Ausgabe 2001/01

Editorial

Götz Friedrich
Laudatio Harry Kupfer
Dankesrede Götz Friedrich
Pressemitteilung der Deutschen Oper
Oper als großes Menschentheater

Kulturpolitik
Ein kulurelles MacPomm?
Karlsruhe: Pierre Wyss neuer Ballettchef

Portrait
Kiel als Musikstadt

Berichte
Zwei mal „Boris Godunow“
„Pelleas et Melisande“ in Leipzig

Alles, was Recht ist
Konzert-Rechtssprechung
Gesetz über Teilzeitarbeit
Irreführende Berichterstattung
Ungerechte Entfernungspauschale
Betriebsverfassungsgesetz novellieren

Rezensionen
Rettich: Zwischen Kunst und Politik
Neue Opereinspielungen

Service
VdO-Nachrichten
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Vokal-Wettbewerbe
Festival-Vorschau
Oper und Tanz im TV
Stellenmarkt

 

Kulturpolitik

Oper als großes Menschentheater

Von Gerhard Rohde

Den vielen Nachrufen zum Tode Götz Friedrichs, des Generalintendanten der Deutschen Oper Berlin, soll hier nicht noch ein weiterer Beerdigungstext nachgeliefert werden. Götz Friedrichs Tod, trotz mancher gesundheitlichen Schwierigkeiten des Verstorbenen plötzlich und unerwartet gekommen, wirft entscheidende Fragen nach der Zukunft der Oper auf, so wie sich diese in unseren fünf, sechs Dutzend Musikbühnen präsentiert.

Götz Friedrich, Jahrgang 1930, Schüler des legendären Walter Felsenstein an der Komischen Oper in damals (1953) Ost-Berlin, gehörte, als er 1981 nach zahlreichen Regie-Gastspielen an europäischen Opernhäusern die Generalintendanz der Deutschen Oper übernahm, zu jener immer rarer werdenden Zahl der Regie-Intendanten, die als ihr eigener Chefregisseur das Opernhaus nicht nur organisatorisch leiteten, sondern es auch entscheidend ästhetisch prägten. Man braucht nur einige der markantesten Arbeiten Friedrichs aufzuzählen, um zu erkennen, wie wichtig Friedrich die Verankerung der Oper und ihrer Präsentation in einem politisch-gesellschaftskritischen Umfeld war.

   

Götz Friedrichs letzte Regie: „Ahmal und die nächtlichen Besucher“. Foto: kranichphoto

 

Von Janáceks Oper „Aus einem Totenhaus“, mit der Friedrich seine Berliner Zeit begann, bis zu seiner letzten Inszenierung, Gian Carlo Menottis „Amahl und die nächtlichen Besucher“, spannt sich ein weiter Bogen über das Menschentheater, an das Götz Friedrich bei allen seinen Arbeiten dachte: an ein Theater, das vom Leben und von Schicksalen des Menschen handelt, das auch noch in der historischen Kostümierung der alten Geschichten zu offenbaren vermochte, dass diese scheinbar alten Geschichten immer noch gegenwärtig sind, heute spielen könnten. Der „Zeit-Tunnel“, durch den Friedrich in seiner Berliner Interpretation von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ Wagners Götter und Erdenmenschen wandeln ließ, darf für das Opern-Theater Götz Friedrichs als übergreifende Chiffre insgesamt gelten: Durch den Zeit-Tunnel steigen wir zurück in die Vergangenheit, um etwas für uns heute zu erfahren, und die Figuren der Vergangenheit schreiten aus dem Tunnel, aus der Vergangenheit, wieder hervor ins Licht der Gegenwart, um zu beweisen, dass ihre Schicksale von einst nichts an Aktualität verloren haben.

Der Tod Friedrichs, die Kontinuität und Unbedingtheit seiner Theaterarbeit, ihr gesellschaftskritischer Ansatz, die Konsequenz, mit der dieser durch alle Jahre, auch in vielen auswärtigen Gastinszenierungen bis zu den skandalumtosten Interpretationen von „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und „Parsifal“ im Bayreuther Festspielhaus durchgehalten wurde, werfen entscheidende Fragen auf, die über die Berliner Situation hinausreichen. Wie sollte ein Opernhaus heute geführt werden? Ist der Künstler-Intendant, sei er nun Regisseur oder Dirigent, noch praktikabel? Im Blick zurück in die Vergangenheit seit Kriegsende entsteht eine verwirrende Vielfalt. Günter Rennert war Regisseur in Hamburg und München und führte beide Häuser auch in seiner Eigenschaft als Intendant zum Erfolg. In Stuttgart präsentierte sich die Schäfer-Ära als äußerst ertragreich und stabil, wobei der Hausherr nicht inszenierte. Jetzt funktioniert in Stuttgart die Kombination aus avanciertem Dirigenten (Zagrosek) und Intendanten (Klaus Zehelein) bestens, weil Zehelein nicht inszeniert, doch als Chefdramaturg und „Denker“ agiert. Das Festhalten der Frankfurter Kulturpolitik (Hilmar Hoffmann) am Dirigenten-Intendanten-Modell führte dann allerdings bei Gary Bertini zum Fiasko, aus dem sich auch ein Sylvain Cambreling als Nachfolger nicht zu befreien vermochte, weil die Stadt Frankfurt, darin vergleichbar mit Berlin, bis heute nie wusste, was sie eigentlich mit einem Theater, sei es Schauspiel oder Oper, anzufangen gedenkt.

Das Beispiel Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin lässt für die Zukunft einige Spielarten erkennen, wie ein Opernhaus, speziell ein besonders großes, produktiv geführt werden könnte. Entscheidend sind dabei die Kriterien, nach denen eine Chefposition besetzt werden sollte. Will man (die Politik, die theaterinteressierte Bürgerschaft), dass ein Opernhaus, ein Theater, von der „Bühne her gedacht“ wird – wie es einmal Claus Peymann formulierte – oder von der „Einschaltquote“, sprich: Auslastung, Kasseneinnahme? Dass eine von der „Bühne her gedachte“ Oper auch hohe Einschaltquoten zu erzielen vermag, beweist das Beispiel Stuttgart. Das Publikum ist sicher nicht so dumm, dass es künstlerische Intelligenz gepaart mit hoher Qualität der Ausführung nicht erkennt und honoriert. Den Gegensatz zu Stuttgart bildet beispielsweise die Zürcher Oper unter Alexander Pereira, ein Intendant, der weder Regie führt noch dirigiert. Bei allem Respekt vor den Leistungen der Zürcher Oper und den Einnahmerekorden an Kasse und von Sponsoren, hat das Zürcher Haus in den vergangenen Jahren kein eindeutiges ästhetisches Profil gewonnen. Die erstaunlich zahlreichen Premieren, unterschiedlich in ihrem Niveau, sorgen eher für den Eindruck eines operntheatralischen Gemischtwarenladens, nach dem Sprichwort: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.

Diese Einstellung ist meilenweit von der künstlerischen Stringenz eines Götz Friedrich entfernt. Mit der Wahl des Komponisten Udo Zimmermann zum Friedrich-Nachfolger, der in Leipzig zumindest partiell viel Wagemut bewiesen hat, signalisierte die Berliner Kulturpolitik immerhin, dass Götz Friedrichs Arbeit anerkannt wird. Ob Zimmermann allerdings mit dem Chefdirigenten Christian Thielemann produktiv zusammenarbeiten könnte, darf mit Vorsicht bezweifelt werden. Bei der Besetzung der Führungsspitze einer Oper muss heute mehr als früher auf die Chemie im Team geachtet werden, auf die Übereinstimmung in künstlerischen Zielen.

Bei der Besetzung der Dirigentenpositionen hatte der machtbewusste Götz Friedrich auch nicht immer eine glückliche Hand bewiesen. Götz Friedrichs Opern-Theater befand sich aber stets im Zentrum unserer Gegenwart. Es wurde politisch begriffen, ohne dabei auf Kulinarik zu verzichten. Nur so, so könnte man meinen, sei Oper, heute nicht zuletzt der hohen Kosten wegen, die sie verursacht, politisch und gesellschaftlich legitimiert. Dies ist auch keine von außen herangetragene Forderung an die Kunstform Oper: Diese birgt in ihrer ästhetischen Komplexität soviel Intelligenz, dass man ihr mit ebensolcher Intelligenz begegnen sollte. Das intelligente Vergnügen ist dabei im Anspruch enthalten. Götz Friedrich hat diesen Anspruch in fast einhundertsiebzig Inszenierungen und in den zwanzig Jahren Deutsche Oper maximal befriedigt. Jetzt ist es an anderen, sich dem Vermächtnis verpflichtet zu fühlen.

Gerhard Rohde

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner