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Kulturpolitik
Oper als großes Menschentheater
Von Gerhard Rohde
Den vielen Nachrufen zum Tode Götz Friedrichs, des Generalintendanten
der Deutschen Oper Berlin, soll hier nicht noch ein weiterer Beerdigungstext
nachgeliefert werden. Götz Friedrichs Tod, trotz mancher gesundheitlichen
Schwierigkeiten des Verstorbenen plötzlich und unerwartet gekommen,
wirft entscheidende Fragen nach der Zukunft der Oper auf, so wie
sich diese in unseren fünf, sechs Dutzend Musikbühnen
präsentiert.
Götz Friedrich, Jahrgang 1930, Schüler des legendären
Walter Felsenstein an der Komischen Oper in damals (1953) Ost-Berlin,
gehörte, als er 1981 nach zahlreichen Regie-Gastspielen an
europäischen Opernhäusern die Generalintendanz der Deutschen
Oper übernahm, zu jener immer rarer werdenden Zahl der Regie-Intendanten,
die als ihr eigener Chefregisseur das Opernhaus nicht nur organisatorisch
leiteten, sondern es auch entscheidend ästhetisch prägten.
Man braucht nur einige der markantesten Arbeiten Friedrichs aufzuzählen,
um zu erkennen, wie wichtig Friedrich die Verankerung der Oper und
ihrer Präsentation in einem politisch-gesellschaftskritischen
Umfeld war.
Von Janáceks Oper Aus einem Totenhaus, mit der
Friedrich seine Berliner Zeit begann, bis zu seiner letzten Inszenierung,
Gian Carlo Menottis Amahl und die nächtlichen Besucher,
spannt sich ein weiter Bogen über das Menschentheater, an das
Götz Friedrich bei allen seinen Arbeiten dachte: an ein Theater,
das vom Leben und von Schicksalen des Menschen handelt, das auch
noch in der historischen Kostümierung der alten Geschichten
zu offenbaren vermochte, dass diese scheinbar alten Geschichten
immer noch gegenwärtig sind, heute spielen könnten. Der
Zeit-Tunnel, durch den Friedrich in seiner Berliner
Interpretation von Richard Wagners Ring des Nibelungen
Wagners Götter und Erdenmenschen wandeln ließ, darf für
das Opern-Theater Götz Friedrichs als übergreifende Chiffre
insgesamt gelten: Durch den Zeit-Tunnel steigen wir zurück
in die Vergangenheit, um etwas für uns heute zu erfahren, und
die Figuren der Vergangenheit schreiten aus dem Tunnel, aus der
Vergangenheit, wieder hervor ins Licht der Gegenwart, um zu beweisen,
dass ihre Schicksale von einst nichts an Aktualität verloren
haben.
Der Tod Friedrichs, die Kontinuität und Unbedingtheit seiner
Theaterarbeit, ihr gesellschaftskritischer Ansatz, die Konsequenz,
mit der dieser durch alle Jahre, auch in vielen auswärtigen
Gastinszenierungen bis zu den skandalumtosten Interpretationen von
Tannhäuser, Lohengrin und Parsifal
im Bayreuther Festspielhaus durchgehalten wurde, werfen entscheidende
Fragen auf, die über die Berliner Situation hinausreichen.
Wie sollte ein Opernhaus heute geführt werden? Ist der Künstler-Intendant,
sei er nun Regisseur oder Dirigent, noch praktikabel? Im Blick zurück
in die Vergangenheit seit Kriegsende entsteht eine verwirrende Vielfalt.
Günter Rennert war Regisseur in Hamburg und München und
führte beide Häuser auch in seiner Eigenschaft als Intendant
zum Erfolg. In Stuttgart präsentierte sich die Schäfer-Ära
als äußerst ertragreich und stabil, wobei der Hausherr
nicht inszenierte. Jetzt funktioniert in Stuttgart die Kombination
aus avanciertem Dirigenten (Zagrosek) und Intendanten (Klaus Zehelein)
bestens, weil Zehelein nicht inszeniert, doch als Chefdramaturg
und Denker agiert. Das Festhalten der Frankfurter Kulturpolitik
(Hilmar Hoffmann) am Dirigenten-Intendanten-Modell führte dann
allerdings bei Gary Bertini zum Fiasko, aus dem sich auch ein Sylvain
Cambreling als Nachfolger nicht zu befreien vermochte, weil die
Stadt Frankfurt, darin vergleichbar mit Berlin, bis heute nie wusste,
was sie eigentlich mit einem Theater, sei es Schauspiel oder Oper,
anzufangen gedenkt.
Das Beispiel Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin lässt
für die Zukunft einige Spielarten erkennen, wie ein Opernhaus,
speziell ein besonders großes, produktiv geführt werden
könnte. Entscheidend sind dabei die Kriterien, nach denen eine
Chefposition besetzt werden sollte. Will man (die Politik, die theaterinteressierte
Bürgerschaft), dass ein Opernhaus, ein Theater, von der Bühne
her gedacht wird wie es einmal Claus Peymann formulierte
oder von der Einschaltquote, sprich: Auslastung,
Kasseneinnahme? Dass eine von der Bühne her gedachte
Oper auch hohe Einschaltquoten zu erzielen vermag, beweist das Beispiel
Stuttgart. Das Publikum ist sicher nicht so dumm, dass es künstlerische
Intelligenz gepaart mit hoher Qualität der Ausführung
nicht erkennt und honoriert. Den Gegensatz zu Stuttgart bildet beispielsweise
die Zürcher Oper unter Alexander Pereira, ein Intendant, der
weder Regie führt noch dirigiert. Bei allem Respekt vor den
Leistungen der Zürcher Oper und den Einnahmerekorden an Kasse
und von Sponsoren, hat das Zürcher Haus in den vergangenen
Jahren kein eindeutiges ästhetisches Profil gewonnen. Die erstaunlich
zahlreichen Premieren, unterschiedlich in ihrem Niveau, sorgen eher
für den Eindruck eines operntheatralischen Gemischtwarenladens,
nach dem Sprichwort: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.
Diese Einstellung ist meilenweit von der künstlerischen Stringenz
eines Götz Friedrich entfernt. Mit der Wahl des Komponisten
Udo Zimmermann zum Friedrich-Nachfolger, der in Leipzig zumindest
partiell viel Wagemut bewiesen hat, signalisierte die Berliner Kulturpolitik
immerhin, dass Götz Friedrichs Arbeit anerkannt wird. Ob Zimmermann
allerdings mit dem Chefdirigenten Christian Thielemann produktiv
zusammenarbeiten könnte, darf mit Vorsicht bezweifelt werden.
Bei der Besetzung der Führungsspitze einer Oper muss heute
mehr als früher auf die Chemie im Team geachtet werden, auf
die Übereinstimmung in künstlerischen Zielen.
Bei der Besetzung der Dirigentenpositionen hatte der machtbewusste
Götz Friedrich auch nicht immer eine glückliche Hand bewiesen.
Götz Friedrichs Opern-Theater befand sich aber stets im Zentrum
unserer Gegenwart. Es wurde politisch begriffen, ohne dabei auf
Kulinarik zu verzichten. Nur so, so könnte man meinen, sei
Oper, heute nicht zuletzt der hohen Kosten wegen, die sie verursacht,
politisch und gesellschaftlich legitimiert. Dies ist auch keine
von außen herangetragene Forderung an die Kunstform Oper:
Diese birgt in ihrer ästhetischen Komplexität soviel Intelligenz,
dass man ihr mit ebensolcher Intelligenz begegnen sollte. Das intelligente
Vergnügen ist dabei im Anspruch enthalten. Götz Friedrich
hat diesen Anspruch in fast einhundertsiebzig Inszenierungen und
in den zwanzig Jahren Deutsche Oper maximal befriedigt. Jetzt ist
es an anderen, sich dem Vermächtnis verpflichtet zu fühlen.
Gerhard
Rohde
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