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Kulturpolitik
Ein Leben für das Musiktheater
Zum Andenken an den Regisseur und Intendanten Götz Friedrich
Im
Dezember starb Götz Friedrich noch während seiner
letzten Spielzeit als Intendant der Deutschen Oper Berlin. Oper
& Tanz möchte in besonderer Art an den großen
Theaterregisseur erinnern. Götz Friedrich wurde im Jahr 1986
zum Ehrenmitglied der VdO ernannt. 1996 wurde ihm außerdem
der Wilhelm-Pitz-Preis der VdO verliehen, der an den ersten Bayreuther
Chor-Direktor der Nachkriegszeit erinnern soll. In seiner Begrüßungsrede
sprach Stefan Meuschel, Geschäftsführer der VdO, über
die Gründe für die Wahl des Preisträgers:
Dass Götz Friedrich ein Leben lang altmodisch
und modern zugleich darauf beharrte, dass das Theater ästhetisches
Experimentierfeld und demokratisches Forum zugleich zu sein hat,
wenn es denn überhaupt sein will, ein Forum, auf dem unterhaltsam
erzogen wird durch öffentliche Austragung der gesellschaftlichen
und politischen Widersprüche, das ist einer der Gründe,
weshalb die Jury des Wilhelm-Pitz-Preises ihm 1996 die Auszeichnung
angetragen hat.
Ein weiterer ist seine pädagogische Tätigkeit, die
er bereits mit 24 Jahren an der staatlichen Schauspielschule in
Berlin aufnahm, und die aus Sicht der Jury ihren wichtigsten Abschnitt
nahm in der Leitung des von ihm mit initiierten Studiengangs Musiktheaterregie
an der Hochschule für Musik und Theater, damals noch Hochschule
für Musik und darstellende Kunst in Hamburg. In dem von Götz
Friedrich dort entwickelten 10-Punkte-Programm findet sich der
Satz: Es zeigt sich, die Handhabung von Musiktheater ist
der Umgang mit Widersprüchen.
Die Laudatio Harry Kupfers
Wir drucken seine Preisrede in Auszügen:
Lieber Götz,
es war für mich eine große Freude, dass ich heute zu
dir und über dich sprechen darf. Es ist ein Kuriosum, dass
ich fast auf den Tag genau fünf Jahre später geboren bin
und fast von da ab in deinem Kielwasser geschwommen bin. Das gibt
die Möglichkeit, gerade aus der für mich so bedeutenden
Anfangszeit in Berlin einiges zu berichten. Wir hatten zum Teil
dieselben Dozenten, die uns geprägt und provoziert haben, uns
ausgebildet haben zu Kriminalisten des Theaters, die
versucht haben, aus den Stücken ob sie alt oder neu
waren herauszufinden, was denn da zündet, was gezündet
hat, und was vielleicht heute noch zünden kann. Die handwerklichen
Dinge, die wir dort lernen durften, waren wichtig, aber nicht so
ausschlaggebend. Das Innerlich-Wehren gegen eine gewisse Form des
Ausgerichtet-Werdens war umso wichtiger. Du hast dich
davon in Opposition befreit ich auch und dann begann
die große Zeit in Berlin bei Felsenstein, dem Intendanten
und Chefregisseur der Komischen Oper im damaligen Ost-Berlin.
Der Übervater
Felsenstein ist für uns die Summe aller Erfahrungen auf musiktheatralischem
Gebiet, als großer Übervater. Seine bösen Erfahrungen
aus dem Krieg und die Hoffnungen der Nachkriegszeit mündeten
in eine Haltung, die durch eine unglaubliche Ehrlichkeit, fast schon
Ängstlichkeit dem Werk gegenüber gekennzeichnet war. Darin,
dem Werk verpflichtet zu sein, hat er Maßstäbe gesetzt,
an denen man schlecht vorbeikam, an denen man aber rütteln
musste.
Du warst dort Wissenschaftler und Dramaturg und bist dann an diesem
Haus über deine erste Inszenierung zum Oberspielleiter geworden.
Wir Jüngeren sind damals vor dem Denkmal Felsenstein, vor seinem
Ethos, erstarrt. Felsensteins Aufführungen haben mich aufgeregt,
mehr noch, gelähmt. Deine Aufführungen waren anders.
Die Bohème
Deine Bohème war etwas ganz anderes. Sie war
genauso detailgetreu gearbeitet wie beim großen alten Meister.
Sie war überprüft, und sie kam in einem für damalige
Verhältnisse ungewöhnlichen äußeren Bild auf
uns zu. Da verleugnete sich nicht das, was Berlin damals auch ausmachte:
die Schule Brechts, die wir an der Urquelle miterleben durften.
Es war auf der Bühne an Ausstattung sehr, sehr wenig, einiges
Provokatorische, fast Plakative, und dann gab es Schicksale auf
der Bühne, keine sentimentale Liebesgeschichte, sondern eine
hart sozial angesiedelte Geschichte, wo durch Umstände der
Gesellschaft Liebe und Verwirklichung der Liebe nicht mehr möglich
waren. Ein unsentimentales Sterben der Mimi, und eigentlich ging
man mit Bitterkeit aus dieser Aufführung.
Così fan tutte
Danach der nächste Schlag, Cosi fan tutte, ein
Stück, das noch bis heute als Dummheit abgetan wird. Es war
eine Aufführung, die die Abgründe des erotischen, des
menschlichen Zusammenlebens in der Liebe, in der Sexualität
enthüllte, zum großen Erschrecken aller derer, die es
in dieser Aufführung erlebten. Es ging nicht auf Harmonie,
sondern auf den Schreck, den junge Menschen empfinden, wenn sie
plötzlich vor diesem Abgrund stehen. Und trotzdem: Über
allem leuchtete der lächelnde Mozart, und den Humor hat auch
Götz lächeln lassen: dass es doch noch irgendwie gut geht
mit etwas Vernunft, aber mit dem Wachsein vor dem, was in uns Menschen
steckt, was dort mit Urgewalt herausbrechen und vielleicht ein Leben
zerstören kann. Es war ein Erlebnis, diese Così
.
Der Chorregisseur
Dieser Preis ist dem großen Chordirektor Wilhelm Pitz gewidmet,
und deshalb ist es wichtig, dass man über Götz Friedrich
als großen Chorregisseur, als Choreograf der Chorszenen spricht.
Und das ist nicht erst in seinen großen Meisterinszenierungen
in den letzten Jahren sichtbar geworden oder in den Inszenierungen,
die hier in Bayreuth stattgefunden haben.
Die großartige Chorleistung konnte man auch schon in der Bohème
sehen. Der zweite Akt: Man wusste nicht, wo man hingucken sollte,
was dort in diesem Straßenleben passierte, aber es war eben
sinnvoll, klar geführt und meisterhaft choreografiert und gegliedert.
Bewegung war niemals Selbstzweck, sondern Ausdruck, Inhalt.
Das Erlebnis, das mir für die Möglichkeiten, über
Felsenstein hinaus mit Musik umzugehen, Augen und Ohren geöffnet
hat, war seine Berliner Salome-Inszenierung. In absoluter Deckungsgleichheit
hat Götz es geschafft, die Rasanz der inneren Vorgänge
bei Salome erlebbar zu machen. Wo die Musik in Abgründe hinabtaucht
und kocht und die Salomes sich dann meist auf der Bühne wälzen
und toben, da passierte nichts! Das Orchester tobte und die Frau
lag über das ganze Vorspiel äußerlich ruhig am Boden,
innerlich kochend, und man konnte miterleben, wie die zerstörerischen
Gedanken in dieser Frau entstanden sind. Ich glaube, da ist entdeckt
worden, dass man mit äußerster Sparsamkeit wenn
man große Sänger-Persönlichkeiten hat diese
inneren Vorgänge sichtbar machen kann, wenn man der Musik den
Raum gibt, zu erzählen, was in diesem Moment in diesem Menschen
passiert.
Emanzipation
Das war für mich der erste große Schritt, wo ich die
Emanzipation des Regisseurs Götz Friedrich vom großen
Meister, ohne dass der Jüngere dann, wie es oft passiert, Vatermord
begeht, erkannte. Die Ehrfurcht vor diesem großen Mann ist
ihm immer geblieben. Denn er weiß genau wie ich, was wir Felsenstein
verdanken an Erkenntnissen und methodischen Möglichkeiten.
Aber Götz hat dort angefangen, seinen eigenen Weg zu finden.
Sein Talent und seine Musikalität sind ihm geschenkt worden.
Das andere hat er sich dazu erworben, und dazu gehört seine
wissenschaftliche Möglichkeit. Er ist ein glänzender Analytiker
und ist Gott sei Dank doch kein Dramaturg-Regisseur geworden. Die
rein theoretischen Dinge sind bei ihm in einer idealen Weise mit
dem Komödiantischen verbunden. Er kann alles begründen,
aber es ist nie trocken. Er kann es erklären, aber es bleibt
nicht Dramaturgen-Gespräch, sondern es wird zum Leben. Er hat
darüber die unglaubliche Möglichkeit, ein guter Psychologe
zu sein und die besondere Gabe der Motivation, es seinen Sänger-Kollegen
mitzuteilen. Und das Wesentliche, da sind wir wieder beim Wilhelm-Pitz-Preis,
dass er ein Meister der Chor-Regie ist. Der Chor bleibt der Kraft-Körper,
der als geballte Gruppe wirken kann. Aber ich sehe bei Götz
in individuelle Gesichter und Schicksale, die, gebunden an die Handlung,
sich so ausdrücken, dass sie nicht nur Folie für die Haupt-Kontrahenten,
sondern die Partner sind.
Schritt in den Westen
Kommen wir zu dem Punkt des vielleicht härtesten Schnittes,
den ein Künstler macht, wenn er sein Vaterhaus verlässt.
Ich weiß, wie sehr Götz innerlich gebunden war an das
Haus in der Behrenstraße, die Komische Oper, an Felsenstein.
Durch die Zeitläufte, durch die politische Situation in Deutschland
ist aus einem selbstverständlichen, wenn auch harten Vorgang
ein Politikum gemacht worden. Es war meiner Meinung nach der notwendige
Schritt, dass sich irgendwann einmal der Sohn vom Vater trennen
musste. Der Weg, den Götz gegangen ist und den er gehen musste,
und der ja hier in Bayreuth mit der Bombe Tannhäuser begonnen
hat, hat auch in seiner Sicht auf Stücke etwas Neues gebracht.
Dann begannen seine Wanderjahre, die ihn überall hingeführt
haben, wo man Oper als ehrliches Theater wollte.
Der Intendant
Und dann kam Berlin, die Berufung an die Deutsche Oper, wo noch
mal eine nächste große Karriere begonnen hat. Ein zu
dieser Zeit gewiss nicht sehr renommiertes Haus innerhalb des Ensembles
der Opernhäuser in Deutschland. In kürzester Zeit hat
er es geschafft, sowohl in der interpretatorischen Qualität
wie auch in der Qualität eines weltstädtischen Spielplans
das Haus interessant zu machen. Es gibt in dieser Zeit eine Reihe
von großen Uraufführungen, ich nenne bloß die Namen
Henze und Rihm, es gibt Wiederentdeckungen schon vergessener Werke
und die Mozart- und die Wagner-Inszenierungen an diesem Haus, die
er mit Kontinuität gepflegt hat. Diese Zeit in Berlin war nicht
nur für ihn, sondern auch für die Stadt wichtig. Denn
bis zu dem Tag, als Berlin wieder eine Stadt war, konnte man auf
Unterstützung auch von Politikern rechnen. Danach ist das alles
etwas in Vergessenheit geraten, und wir leben heute an dem Punkt
gerade in Berlin, wo Visionen fehlen oder verloren gegangen sind.
Eine Stadt, die berufen worden ist, die Metropole dieses Landes
zu sein, leidet im Moment unter fehlender geistiger und vor allen
Dingen künstlerischer Perspektive bei den Politikern und Kulturpolitikern.
Götz, jetzt geht es nur darum, dass das, worum du dein Leben
lang gerungen und gekämpft und was du erreicht hast, dass wir
das in die Zeit und in die Stadt retten, um mit diesem Kapital wieder
notwendig zu werden. Und dazu, dass wir das gemeinsam alle schaffen,
wünsche ich dir Kraft, Gesundheit, die ungebrochene Vitalität
und das Weitermachen in dem Sinne, dass wir uns einmal irgendwann
in Berlin nicht schämen müssen, drei Opernhäuser
zu haben. Ich gratuliere zu dem Preis.
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