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Ausgabe 2001/01

Editorial

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Laudatio Harry Kupfer
Dankesrede Götz Friedrich
Pressemitteilung der Deutschen Oper
Oper als großes Menschentheater

Kulturpolitik
Ein kulurelles MacPomm?
Karlsruhe: Pierre Wyss neuer Ballettchef

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Kiel als Musikstadt

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Kulturpolitik

Ein Leben für das Musiktheater

Zum Andenken an den Regisseur und Intendanten Götz Friedrich

Im Dezember starb Götz Friedrich – noch während seiner letzten Spielzeit als Intendant der Deutschen Oper Berlin. „Oper & Tanz“ möchte in besonderer Art an den großen Theaterregisseur erinnern. Götz Friedrich wurde im Jahr 1986 zum Ehrenmitglied der VdO ernannt. 1996 wurde ihm außerdem der Wilhelm-Pitz-Preis der VdO verliehen, der an den ersten Bayreuther Chor-Direktor der Nachkriegszeit erinnern soll. In seiner Begrüßungsrede sprach Stefan Meuschel, Geschäftsführer der VdO, über die Gründe für die Wahl des Preisträgers:

„Dass Götz Friedrich ein Leben lang – altmodisch und modern zugleich – darauf beharrte, dass das Theater ästhetisches Experimentierfeld und demokratisches Forum zugleich zu sein hat, wenn es denn überhaupt sein will, ein Forum, auf dem unterhaltsam erzogen wird durch öffentliche Austragung der gesellschaftlichen und politischen Widersprüche, das ist einer der Gründe, weshalb die Jury des Wilhelm-Pitz-Preises ihm 1996 die Auszeichnung angetragen hat.

Ein weiterer ist seine pädagogische Tätigkeit, die er bereits mit 24 Jahren an der staatlichen Schauspielschule in Berlin aufnahm, und die aus Sicht der Jury ihren wichtigsten Abschnitt nahm in der Leitung des von ihm mit initiierten Studiengangs Musiktheaterregie an der Hochschule für Musik und Theater, damals noch Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg. In dem von Götz Friedrich dort entwickelten 10-Punkte-Programm findet sich der Satz: ‘Es zeigt sich, die Handhabung von Musiktheater ist der Umgang mit Widersprüchen.‘“


   

Der Laudator Harry Kupfer.
Foto: Thomas Heymann

 

Die Laudatio Harry Kupfers
Wir drucken seine Preisrede in Auszügen:

„Lieber Götz,
es war für mich eine große Freude, dass ich heute zu dir und über dich sprechen darf. Es ist ein Kuriosum, dass ich fast auf den Tag genau fünf Jahre später geboren bin und fast von da ab in deinem Kielwasser geschwommen bin. Das gibt die Möglichkeit, gerade aus der für mich so bedeutenden Anfangszeit in Berlin einiges zu berichten. Wir hatten zum Teil dieselben Dozenten, die uns geprägt und provoziert haben, uns ausgebildet haben zu ‚Kriminalisten des Theaters‘, die versucht haben, aus den Stücken – ob sie alt oder neu waren – herauszufinden, was denn da zündet, was gezündet hat, und was vielleicht heute noch zünden kann. Die handwerklichen Dinge, die wir dort lernen durften, waren wichtig, aber nicht so ausschlaggebend. Das Innerlich-Wehren gegen eine gewisse Form des „Ausgerichtet-Werdens“ war umso wichtiger. Du hast dich davon in Opposition befreit – ich auch – und dann begann die große Zeit in Berlin bei Felsenstein, dem Intendanten und Chefregisseur der Komischen Oper im damaligen Ost-Berlin.

Der Übervater

Felsenstein ist für uns die Summe aller Erfahrungen auf musiktheatralischem Gebiet, als großer Übervater. Seine bösen Erfahrungen aus dem Krieg und die Hoffnungen der Nachkriegszeit mündeten in eine Haltung, die durch eine unglaubliche Ehrlichkeit, fast schon Ängstlichkeit dem Werk gegenüber gekennzeichnet war. Darin, dem Werk verpflichtet zu sein, hat er Maßstäbe gesetzt, an denen man schlecht vorbeikam, an denen man aber rütteln musste.
Du warst dort Wissenschaftler und Dramaturg und bist dann an diesem Haus über deine erste Inszenierung zum Oberspielleiter geworden. Wir Jüngeren sind damals vor dem Denkmal Felsenstein, vor seinem Ethos, erstarrt. Felsensteins Aufführungen haben mich aufgeregt, mehr noch, gelähmt. Deine Aufführungen waren anders.

Die Bohème

Deine „Bohème“ war etwas ganz anderes. Sie war genauso detailgetreu gearbeitet wie beim großen alten Meister. Sie war überprüft, und sie kam in einem für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen äußeren Bild auf uns zu. Da verleugnete sich nicht das, was Berlin damals auch ausmachte: die Schule Brechts, die wir an der Urquelle miterleben durften. Es war auf der Bühne an Ausstattung sehr, sehr wenig, einiges Provokatorische, fast Plakative, und dann gab es Schicksale auf der Bühne, keine sentimentale Liebesgeschichte, sondern eine hart sozial angesiedelte Geschichte, wo durch Umstände der Gesellschaft Liebe und Verwirklichung der Liebe nicht mehr möglich waren. Ein unsentimentales Sterben der Mimi, und eigentlich ging man mit Bitterkeit aus dieser Aufführung.

Così fan tutte

Danach der nächste Schlag, ‚Cosi fan tutte‘, ein Stück, das noch bis heute als Dummheit abgetan wird. Es war eine Aufführung, die die Abgründe des erotischen, des menschlichen Zusammenlebens in der Liebe, in der Sexualität enthüllte, zum großen Erschrecken aller derer, die es in dieser Aufführung erlebten. Es ging nicht auf Harmonie, sondern auf den Schreck, den junge Menschen empfinden, wenn sie plötzlich vor diesem Abgrund stehen. Und trotzdem: Über allem leuchtete der lächelnde Mozart, und den Humor hat auch Götz lächeln lassen: dass es doch noch irgendwie gut geht mit etwas Vernunft, aber mit dem Wachsein vor dem, was in uns Menschen steckt, was dort mit Urgewalt herausbrechen und vielleicht ein Leben zerstören kann. Es war ein Erlebnis, diese ‚Così‘ .

Der Chorregisseur

Dieser Preis ist dem großen Chordirektor Wilhelm Pitz gewidmet, und deshalb ist es wichtig, dass man über Götz Friedrich als großen Chorregisseur, als Choreograf der Chorszenen spricht. Und das ist nicht erst in seinen großen Meisterinszenierungen in den letzten Jahren sichtbar geworden oder in den Inszenierungen, die hier in Bayreuth stattgefunden haben.
Die großartige Chorleistung konnte man auch schon in der ‚Bohème‘ sehen. Der zweite Akt: Man wusste nicht, wo man hingucken sollte, was dort in diesem Straßenleben passierte, aber es war eben sinnvoll, klar geführt und meisterhaft choreografiert und gegliedert. Bewegung war niemals Selbstzweck, sondern Ausdruck, Inhalt.
Das Erlebnis, das mir für die Möglichkeiten, über Felsenstein hinaus mit Musik umzugehen, Augen und Ohren geöffnet hat, war seine Berliner Salome-Inszenierung. In absoluter Deckungsgleichheit hat Götz es geschafft, die Rasanz der inneren Vorgänge bei Salome erlebbar zu machen. Wo die Musik in Abgründe hinabtaucht und kocht und die Salomes sich dann meist auf der Bühne wälzen und toben, da passierte nichts! Das Orchester tobte und die Frau lag über das ganze Vorspiel äußerlich ruhig am Boden, innerlich kochend, und man konnte miterleben, wie die zerstörerischen Gedanken in dieser Frau entstanden sind. Ich glaube, da ist entdeckt worden, dass man mit äußerster Sparsamkeit –wenn man große Sänger-Persönlichkeiten hat – diese inneren Vorgänge sichtbar machen kann, wenn man der Musik den Raum gibt, zu erzählen, was in diesem Moment in diesem Menschen passiert.

Emanzipation

Das war für mich der erste große Schritt, wo ich die Emanzipation des Regisseurs Götz Friedrich vom großen Meister, ohne dass der Jüngere dann, wie es oft passiert, Vatermord begeht, erkannte. Die Ehrfurcht vor diesem großen Mann ist ihm immer geblieben. Denn er weiß genau wie ich, was wir Felsenstein verdanken an Erkenntnissen und methodischen Möglichkeiten. Aber Götz hat dort angefangen, seinen eigenen Weg zu finden. Sein Talent und seine Musikalität sind ihm geschenkt worden. Das andere hat er sich dazu erworben, und dazu gehört seine wissenschaftliche Möglichkeit. Er ist ein glänzender Analytiker und ist Gott sei Dank doch kein Dramaturg-Regisseur geworden. Die rein theoretischen Dinge sind bei ihm in einer idealen Weise mit dem Komödiantischen verbunden. Er kann alles begründen, aber es ist nie trocken. Er kann es erklären, aber es bleibt nicht Dramaturgen-Gespräch, sondern es wird zum Leben. Er hat darüber die unglaubliche Möglichkeit, ein guter Psychologe zu sein und die besondere Gabe der Motivation, es seinen Sänger-Kollegen mitzuteilen. Und das Wesentliche, da sind wir wieder beim Wilhelm-Pitz-Preis, dass er ein Meister der Chor-Regie ist. Der Chor bleibt der Kraft-Körper, der als geballte Gruppe wirken kann. Aber ich sehe bei Götz in individuelle Gesichter und Schicksale, die, gebunden an die Handlung, sich so ausdrücken, dass sie nicht nur Folie für die Haupt-Kontrahenten, sondern die Partner sind.

Schritt in den Westen

Kommen wir zu dem Punkt des vielleicht härtesten Schnittes, den ein Künstler macht, wenn er sein Vaterhaus verlässt. Ich weiß, wie sehr Götz innerlich gebunden war an das Haus in der Behrenstraße, die Komische Oper, an Felsenstein. Durch die Zeitläufte, durch die politische Situation in Deutschland ist aus einem selbstverständlichen, wenn auch harten Vorgang ein Politikum gemacht worden. Es war meiner Meinung nach der notwendige Schritt, dass sich irgendwann einmal der Sohn vom Vater trennen musste. Der Weg, den Götz gegangen ist und den er gehen musste, und der ja hier in Bayreuth mit der Bombe Tannhäuser begonnen hat, hat auch in seiner Sicht auf Stücke etwas Neues gebracht. Dann begannen seine Wanderjahre, die ihn überall hingeführt haben, wo man Oper als ehrliches Theater wollte.

Der Intendant

Und dann kam Berlin, die Berufung an die Deutsche Oper, wo noch mal eine nächste große Karriere begonnen hat. Ein zu dieser Zeit gewiss nicht sehr renommiertes Haus innerhalb des Ensembles der Opernhäuser in Deutschland. In kürzester Zeit hat er es geschafft, sowohl in der interpretatorischen Qualität wie auch in der Qualität eines weltstädtischen Spielplans das Haus interessant zu machen. Es gibt in dieser Zeit eine Reihe von großen Uraufführungen, ich nenne bloß die Namen Henze und Rihm, es gibt Wiederentdeckungen schon vergessener Werke und die Mozart- und die Wagner-Inszenierungen an diesem Haus, die er mit Kontinuität gepflegt hat. Diese Zeit in Berlin war nicht nur für ihn, sondern auch für die Stadt wichtig. Denn bis zu dem Tag, als Berlin wieder eine Stadt war, konnte man auf Unterstützung auch von Politikern rechnen. Danach ist das alles etwas in Vergessenheit geraten, und wir leben heute an dem Punkt gerade in Berlin, wo Visionen fehlen oder verloren gegangen sind. Eine Stadt, die berufen worden ist, die Metropole dieses Landes zu sein, leidet im Moment unter fehlender geistiger und vor allen Dingen künstlerischer Perspektive bei den Politikern und Kulturpolitikern.
Götz, jetzt geht es nur darum, dass das, worum du dein Leben lang gerungen und gekämpft und was du erreicht hast, dass wir das in die Zeit und in die Stadt retten, um mit diesem Kapital wieder notwendig zu werden. Und dazu, dass wir das gemeinsam alle schaffen, wünsche ich dir Kraft, Gesundheit, die ungebrochene Vitalität und das Weitermachen in dem Sinne, dass wir uns einmal irgendwann in Berlin nicht schämen müssen, drei Opernhäuser zu haben. Ich gratuliere zu dem Preis.“

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