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Aktuelle Ausgabe

Im Zeichen der Stimme
Editorial von Gerrit Wedel

Kulturpolitik

Brennpunkt
Bayreuth: Ende einer Welt-Institution?

Auf ein Wort mit Nele Hertling
Über die Notwendigkeit der Kunst

Verborgene Potenziale
Was kann der Bühnentanz vom Leistungssport lernen?

Statt Asche bewahren Glut entfalten
Pina Bauschs „Kontakthof“ überwältigt – und Neues entsteht

Regietheater zwischen Ichverliebtheit und Werktreue
Gedanken zum Regisseur und Bühnenbildner Gottfried Pilz

The Invisible Labor of Ballet Masters (en / de)
The Unsung Backbone of Performance: A Ballet Master’s Perspective

Berichte

Spannend bis zum Schluss
Händels „Alcina“ in Bonn

„So könnte es bald immer aussehen“
Sparfassung von Jacques Offenbachs „Robinson Crusoé“ an der Komischen Oper Berlin

Der Kreis der Wahrheit
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf glänzt mit Alexander Zemlinskys „Der Kreidekreis“

Romeo und Julia – oder anders herum?
Sergej Prokofjews Ballettklassiker in Leipzig und Basel

Globales Panoptikum
Die Ausstellung TANZWELTEN der Bundeskunsthalle Bonn

Um Leben und Tod
Wiederaufnahmen „Mahler X drei Meister“ des Stuttgarter Balletts

Alternativen zum realen Opernbesuch?
Die neuen Brettspiele „Kronologic – Paris 1920“ und „Ausverkauft“

Seine Bühne ist überall
Eine Annäherung an den charismatischen Tänzer und Choreografen Boris Charmatz

Verlöschender Vulkan
Der Callas-Spielfilm „Maria“ mit Angelina Jolie überzeugt weitgehend

VdO-Nachrichten

VdO-Nachrichten
Wechsel in der VdO-Geschäftsführung +++ Fortschritte bei den Manteltarifverhandlungen zum NV Bühne +++ Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen Geschäftsbericht 2023

Service

Oper & Tanz 2025/01 als pdf

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Hintergrund

Verborgene Potenziale

Was kann der Bühnentanz vom Leistungssport lernen?

Von Hannah Sophia Hofmann unter Mitarbeit von Leon Trillmich

Ist professioneller Bühnentanz der Ausdruck kreativer Visionen oder Plattform für körperliche Höchstleistungen? Wirkungsvolle Choreografien, kulturelle Bedeutung und die Ästhetik des Tanzes sprechen eher für eine Kunstform, wohingegen das körperliche Anforderungsprofil deutliche Parallelen zu klassischen Sportarten aufweist. Je nach Vergleichssportart müssen Tänzer*innen sogar noch höhere Anforderungen erfüllen. Im Vergleich zum Leistungssport gibt es jedoch einen grundlegenden Unterschied: das Theater als Betrieb und die Kunst bestimmen nicht nur die Trainingsorganisation, sondern auch die Leistungsparameter, an denen die Leistung gemessen wird. Darüber hinaus können einfache betriebliche Strukturen eine professionelle tanzmedizinische, physiotherapeutische, sportwissenschaftliche, sportpsychologische sowie ernährungswissenschaftliche Betreuung zur Leistungsmaximierung und Risikosenkung für Verletzungen kaum ersetzen. Stellt man sich die Arbeitsfähigkeit als mehrstöckiges Haus vor, bilden die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Tänzer*innen das Fundament, auf dem weitere Stockwerke aufbauen. Somit spielt der Erhalt der Leistungsfähigkeit von Tänzer*innen eine entscheidende Rolle, um die Arbeitsfähigkeit zu sichern und die Grundlage für eine bestmögliche Berufsausübung zu gewährleisten. Welche Bausteine weisen im klassischen Bühnentanz sichtbare Parallelen zum Leistungssport auf?

Training

Das Training von Leistungssportler*innen ist in der Regel wissenschaftlich in seiner Wirkung nachgewiesen und folgt einer klaren Systematik. Das klassische (Ballett-)Training hat seine Inhalte, Umfänge und Intensitäten aus der Traditionsüberlieferung. Es wird als unerlässliche Grundlage für die Ausführung der Bewegungen im tänzerischen Alltag gesehen und häufig bis zu sechs Mal die Woche absolviert. Die individuelle Interpretation des Trainingsnutzens variiert hierbei vom Aufwärmen bis hin zur technischen Weiterentwicklung. Interessant dabei ist, dass die meisten Tanzsparten in deutschen Theaterhäusern mittlerweile ein Programm anbieten, das nicht mehr aus rein klassischen Ballettstücken besteht. Trainingsvorbereitung und Anforderungsprofil der Choreografien passen daher nicht immer gänzlich zusammen. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien empfiehlt eine Anpassung der Trainingsmethoden durch eine Integration von spezifischem Athletiktraining. Das Stichwort Integration ist in diesem Zusammenhang wichtig, da der tänzerische Alltag nicht nur aus dem täglichen Training und einzelnen Vorstellungen besteht, sondern auch Proben dazugehören, wobei häufig eine choreografische Mitarbeit gefordert ist. Stellen wir einen ganz einfachen und naheliegenden Vergleich an: Trainingsvorbereitung im Leistungssport könnte die Probenphase darstellen, und Vorstellungen sind mit Wettkämpfen gleichzusetzen. Wie läuft also eine Trainingsplanung im Leistungssport?

In den Trainingswissenschaften existieren Makrozyklen, die sich typischerweise über eine Saison erstrecken und sich gut mit der Spielzeitplanung im Bühnentanz vergleichen lassen. Des Weiteren existieren Meso- und Mikrozyklen, welche die Aufteilung des Trainings innerhalb eines Monats beziehungsweise einer Woche beschreiben. Dies stellt sicher, dass die Sportler*innen sowohl innerhalb der Woche genug Zeit für Regeneration haben als auch von Monat zu Monat Höchstleistungen abrufen können. In einigen Sportarten, in denen ein einzelner Saisonhöhepunkt den entscheidenden Wettkampf darstellt, erweist sich eine entsprechende Organisation als einfacher als in anderen Sportarten. Athlet*innen müssen nur zu bestimmten Zeitpunkten ihre maximale Leistung erbringen, beispielsweise bei einer deutschen oder internationalen Meisterschaft. Dahingegen haben Tänzer*innen je nach Kompanie bis zu 113 verpflichtende Auftritte pro Saison. Dies lässt sich eher mit den Anforderungen der nordamerikanischen Profi-Basketball-Liga NBA vergleichen, in der die Spieler bis zu 110 Spiele zuzüglich Vorbereitungsspiele absolvieren. Auch hier schaffen die Trainer*innen es, die Spieler zu besonders wichtigen Spielen fit zu halten und arbeiten intensiv daran, die Verletzungen auf ein Minimum zu begrenzen. Doch die vertraglich festgelegten Arbeitsinhalte mit Training, Proben und Vorstellungen umfassen nicht alle darüber hinaus gehenden Tätigkeiten, die ergänzend notwendig sind, um bestmöglich vorbereitet zu sein, wie etwa Ausgleichstraining, Ernährungsplanung, Schlafhygiene, mentales Training, Maßnahmen zur Gesunderhaltung oder Vor- und Nachbereiten der Proben. Hinzu kommen stilistische, rollenspezifische und choreografische Anforderungen, die sehr vielfältig und teils individuell sind. Die Auslagerung dieser Inhalte in das Privatleben der Künstler*innen könnte dazu führen, dass deren Arbeitsfähigkeit nachlässt, was sich wiederum negativ auf ihr Arbeitsverhältnis auswirken würde. Aber wir alle müssen doch schlafen und essen, oder?

Regeneration

Ja, aber wenn wir davon ausgehen, dass im Leistungssport ähnliche oder gleiche Anforderungen an den Körper gestellt werden, so erhöhen beispielsweise eine mangelhafte Ernährung und unzureichender Schlaf bei Sportler*innen das Verletzungsrisiko. Das Wissen über Themen wie Ausgleichstraining, Schlaf als wichtiger Bestandteil einer aktiven Regeneration, mentales Training und Ernährung sollten Tänzer*innen schon in der Ausbildung vermittelt bekommen. Allerdings stößt man meist auch in Ausbildungsinstitutionen auf eine traditionsbasierte Arbeitsweise, und durch die singuläre Anerkennung als darstellende Kunst finden sportwissenschaftliche Methoden in diesem Bereich wenig Anklang. Somit greifen viele Tänzer*innen auf Ratschläge aus dem Internet, von Freund*innen oder Kolleg*innen zurück, die oft nicht evidenzbasiert und somit wenig zielführend sind. Eine angemessene Belastungssteuerung und ein in den Trainingsalltag integriertes Kraft- und Ausdauertraining, wie es im Leistungssport praktiziert wird, kann zumindest die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Verletzungen reduzieren. Wenn es also Evidenz gibt, warum finden wir diese kaum in der Tanzpraxis?

Die Implementierung evidenzbasierter Ansätze in das Tanztraining sowie den Alltag erfordert eine Abwägung zwischen dem Erhalt von Traditionen und der Priorisierung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Tänzer*innen. Das ist eine relevante Entscheidung, die aufgrund der Strukturen in deutschen Theatern nicht direkt in den Händen der Tänzer*innen liegt. Es ist wichtig zu betonen, dass auch Führungspersonen in den Zwischenebenen diesbezüglich nicht immer den größten Handlungsspielraum haben, denn die Bühnentänzer*innen sind im Theater nicht die einzigen Akteur*innen, auf die bei der Erstellung des Spielzeitplans geachtet werden muss. Die Einbettung einer Periodisierung im Theaterbetrieb ist daher nicht so einfach wie im Spitzensport – was sie allerdings nicht weniger sinnvoll macht. Den Tänzer*innen mehr Raum bei der Arbeitsgestaltung einzuräumen, drückt Wertschätzung aus und kann dadurch in der Folge zu einer Verbesserung des Betriebsklimas beitragen. Dies bedingt aber, dass beide Seiten bereit sind, sich für eine Veränderung zu engagieren und diese anzunehmen. Sich in gewohnten Mustern zu bewegen und sich über die schlechten Arbeitsbedingungen zu beklagen, erscheint häufig einfacher.

Kulturwandel im Tanz

Drei große Bereiche sollten zukünftig mehr in den Fokus gerückt werden: 1. Finanzierung und Implementierung ähnlich wie im Leistungssport von angewandten Betreuungsleistungen, 2. Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in verständliche und praxisorientierte Empfehlungen sowie 3. ein umfassender Strukturwandel durch den Bruch mit Traditionen auf allen Ebenen: von der Ausbildung bis in den Theateralltag. Denn das physische Anforderungsprofil im professionellen Bühnentanz erfüllt klar die Kriterien des Leistungssports. Es ist also an der Zeit, dass das Umfeld und die Unterstützung mit den Anforderungen des Tanzes mitwachsen. Dies erfordert jedoch einen Kulturwandel im Tanz: weg von traditionellen Prioritäten hin zu einem Fokus auf die langfristige Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Tänzer*innen. Wäre es nicht im gemeinsamen Interesse die Qualität der Darbietungen zu steigern, indem Menschen auf der Bühne stehen, die wirklich leistungsfähig sind? – Aus Gründen der Lesbarkeit wurde auf die durchgehende Verwendung literarischer Quellennachweise verzichtet.

Der Artikel basiert unter anderem auf folgender Studie:

  • Hannah Sophia Hofmann, Cleo Kramer, Nina Marle Schmidt, Ingo Froböse, Bianca Biallas, „Arbeitsfähigkeit von professionellen Bühnentänzer*innen: eine qualitative Erhebung von Chancen und Herausforderungen. Prävention und Gesundheitsförderung“, Deutsche Sport­hochschule Köln und Fachgruppe Sportwissenschaft der Universität Konstanz, 2024, S. 1–9.
  • Eine Liste mit weiteren Quellen kann angefordert werden bei h.hofmann@dshs-koeln.de

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