Berichte
„So könnte es bald immer aussehen“
Sparfassung von Jacques Offenbachs „Robinson Crusoé“ an der Komischen Oper Berlin
„Der vermeintliche Spagat zwischen Opéra-bouffe und Grand Opéra, den die Zeitgenossen Offenbachs ,Robinson Crusoé‘ vorgeworfen haben, liegt nicht im Unvermögen der Autoren, sich für einen Stil zu entscheiden, sondern in der Konzeption des Stückes, die wiederum eine Grundforderung des Offenbachschen Theaters einlöst: die gegenseitige Durchdringung von Ernst und Komik, wie sie Mozart im Konzept des ,Dramma giocoso‘ formuliert hatte. In dieser Hinsicht hat ,Robinson Crusoé‘ Modellcharakter.“ Das schreibt im Programmheft Frank Harders-Wuthenow vom Verlag Boosey & Hawkes, der die von Jean-Christophe Keck besorgte kritische Offenbach-Ausgabe verlegt.
![Jacques Offenbach, „Robinson Crusoé“ mit Andreja Schneider als Schwester Jacqueline. Foto: Ali Ghandtschi Jacques Offenbach, „Robinson Crusoé“ mit Andreja Schneider als Schwester Jacqueline. Foto: Ali Ghandtschi](/archiv/2025/01/grafik/z_ot_2025_01_Seite_27_Bild_0001.jpg)
Jacques Offenbach, „Robinson Crusoé“ mit Andreja Schneider als Schwester Jacqueline. Foto: Ali Ghandtschi
Das Werk dauerte bei der Uraufführung mehr als vier Stunden! An der Komischen Oper Berlin wurde das Stück nun bei der Berliner Erstaufführung in deutscher Textfassung von Jean Abel auf familienfreundliche neunzig Minuten gekürzt, wobei Regisseur Felix Seiler eine zusätzliche Erzählerin eingearbeitet hat – Offenbachs lang verschollen geglaubte Schwester Jacqueline –, die augenzwinkernd durch die Handlung führt. Die Partie ist rein fiktiv und tritt im Kostüm und in der Maske Jacques Offenbachs auf. Die Ähnlichkeit ist verblüffend: Stirnglatze, Backenbart, Kneifer, Pelzkragen. Jacqueline rafft die Handlung, erzählt mit Witz und ersetzt die fehlenden Musiknummern durch Plauderei und Albereien. Dabei gestattet sie sich (komödienstadlreif dargestellt von Andreja Schneider, bekannt als Crossdresserin der Geschwister Pfister) manche Anspielung auf gegenwärtige Zeitumstände. So beklagt sie etwa die Berliner Sparzwänge gerade in Hinsicht auf die Komische Oper. Das klingt manchmal fast zynisch: „So könnte es bald immer aussehen“, denn nicht zuletzt den Berliner Sparzwängen sei das fehlende Bühnenbild dieses „Robinson Crusoé“ zu verdanken. Tatsächlich sieht man bedauerlicherweise nichts als Stühle für die Gesangssolisten und das Orchester, das auf der leeren, schwarzen Bühne platznimmt. Kostümiertes Konzert wäre die angemessene Bezeichnung für diese Sparfassung eines dreiaktigen Stücks, das von den Librettisten Eugène Cormon und Hector-Jonathan Crémieux als großes exotisches Ausstattungsstück gedacht war und so auch 1867 uraufgeführt wurde. Immerhin tragen die Solisten historische (ironisch überzeichnete) Biedermeierkostüme, im Spitzwegformat von Katrin Kath-Bösel. Gegen Ende verkündet Jacqueline dem Publikum, dem sie sich öfter zuwendet, sie werde sich nach Köln wenden, an die Jacques- Offenbach-Gesellschaft, vielleicht habe die eine bezahlte Stelle für sie. An anderer Stelle, bei der Kochtopfnummer, verlässt sie die Bühne mit der lakonischen Bemerkung, sie werde jetzt lieber in die Kantine gehen.
Bedauerlicherweise darf die Aufführung musikalisch allenfalls als ein „the best of Robinson Crusoé“ verstanden werden. Es ist eine reine Sparfassung der schönsten Quintette, Arien, Chöre und Finali. Allerdings dirigierte der junge französische Dirigent Adrien Perruchon – einst Schüler von Myung-Whun Chung und seit 2021 Musikdirektor des Orchestre Lamoureux – das Werk mit mitreißendem Schwung, rhythmischer Verve und pikanter Gestaltungskraft, ein Offenbach vom Allerfeinsten und ein überwältigendes Plädoyer für Offenbach als ernstzunehmenden, ungemein phantasievollen Komponisten. Gern hätte man mehr von diesem Werk gehört!
Fabelhaft waren auch die Chorsolisten der Komischen Oper sowie die Sänger: Agustin Gómez sang einen überzeugenden Robinson, Miriam Kutrowatz gestaltete seine Geliebte Edwige mit schönem Sopran und brillianten Koloraturen à la Lucia di Lammermoor, Sarah Defrise (Suzann) und Andrew Dickinson (Toby) gaben ein bezauberndes heiteres Pärchen, und auch der Freitag (Hosenrolle) von Mezzosopranistin Virginie Verrez überzeugte immerhin durch Gesangskultur. Es war ein erfreulicher Abend und eine bedeutende Ausgrabung, die trotz der abgespeckten Fassung vom Publikum, das das Werk zum größten Teil wohl erstmals erlebte, heftig gefeiert wurde.
Dieter David Scholz |