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Hintergrund
Regietheater zwischen Ichverliebtheit und Werktreue
Gedanken zum Regisseur und Bühnenbildner Gottfried Pilz
Von Dieter David Scholz
Wie weit darf ein Regisseur mit seiner Neudeutung einer Oper gehen? Inwieweit darf er in das Werk eingreifen? Gibt es „Werktreue“? Was ist eigentlich Regietheater? Muss Opernregie die Oper „aktualisieren“? Welche Rolle spielen die Erwartungen des Publikums? Fragen, die unter den Nägeln brennen. Das Schlagwort „Regietheater“ ist allerdings keineswegs neu. Im Grunde wird schon seit 100 Jahren darum gerungen, wie stark in den Text eingegriffen werden darf. Es ist der alte Streit zwischen Beharren und Erneuern.
![Giacomo Meyerbeer, „Die Hugenotten“, Deutsche Oper Berlin 1987, Regie John Dew, Bühnenbild Gottfried Pilz. Fotos: kranichphoto Giacomo Meyerbeer, „Die Hugenotten“, Deutsche Oper Berlin 1987, Regie John Dew, Bühnenbild Gottfried Pilz. Fotos: kranichphoto](/archiv/2025/01/grafik/z_ot_2025_01_Seite_21_Bild_0001.jpg)
Giacomo Meyerbeer, „Die Hugenotten“, Deutsche Oper Berlin 1987, Regie John Dew, Bühnenbild Gottfried Pilz. Fotos: kranichphoto
Schon Max Reinhardt, der große Visionär und Illusionist aus Wien, veränderte – vielleicht zum ersten Mal – die Auffassung von Regie und ebnete den Weg, den das Theater nun zu nehmen begann, ohne Rücksicht auf Dichtung und Dichter. Der Regisseur und Theaterleiter Max Reinhardt feierte durchschlagende Erfolge nach der Devise: Alter Wein müsse in neue Schläuche gefüllt werden, Staub und Patina gehörten gefälligst weggewischt. Er wolle die Texte der Alten spielen, als wären sie von heute. Sein fünf Jahre jüngerer Kollege Leopold Jessner setzte Reinhardts überquellender Opulenz konsequente Kargheit in den Bildern entgegen. Das waren die beiden konträren Wege des „Regietheaters“, wie sie im Grunde bis heute bestehen. Der Weg war nicht mehr weit zu Peter Zadek, der selbstbewusst bekundete, dass ihn an einem Text für das Theater vor allem das interessiere, was ihm selbst, dem Zeitgenossen, berichtens- und darstellenswert erscheine.
Zu den wichtigsten Antipoden des Regietheaters im Westdeutschland der Nachkriegszeit gehörten auch Fritz Kortner und Gustaf Gründgens. Claus Peymann und Peter Zadek vertraten nach 1968 auf unterschiedliche Weise die neue Generation. Was im Sprechtheater lange Tradition hatte, schwappte nun ins Musiktheater über. Die Auffassung, dass Zusätze und/oder Kürzungen sowie die Verlegung der Handlung zu diesem Zweck zwingend erforderlich sind, gewann zunehmend an Selbstverständlichkeit. Das bewusste Bekenntnis zum Regietheater und dem damit verbundenen Versuch, dem Begriff seine negative Konnotation zu nehmen, ist vor allem im deutschen Sprachraum ausgeprägt. Zu den führenden Regisseuren des Regietheaters – eigentlich müsste man korrekterweise von „Regisseurstheater“ sprechen – gehörten beziehungsweise gehören Hans Neuenfels und Peter Konwitschny. Sie wurden Vorbilder für Generationen von Regisseuren.
Das Theater ist ein Irrenhaus
Seither steht bei vielen Regisseuren der Bezug zur heutigen Zeit und Gesellschaft oder zu ihrer eigenen Person im Vordergrund. Oftmals wählen sie eine Gestaltung, die optisch einen deutlichen Bezug zur Jetztzeit hat.
![Charles Gounod, „Faust“, Deutsche Oper Berlin 1988, Regie John Dew, Bühnenbild Gottfried Pilz Charles Gounod, „Faust“, Deutsche Oper Berlin 1988, Regie John Dew, Bühnenbild Gottfried Pilz](/archiv/2025/01/grafik/z_ot_2025_01_Seite_21_Bild_0002.jpg)
Charles Gounod, „Faust“, Deutsche Oper Berlin 1988, Regie John Dew, Bühnenbild Gottfried Pilz
Aspekte des Werks, die nur in der Entstehungszeit klar verständlich waren, werden uminterpretiert, wo nicht gar ignoriert. Das hat oftmals zur Folge, dass die Werke grotesk entstellt, rätselhaft und unverständlich werden, jedenfalls für einen Großteil des Publikums. Manche Aufführungen dieser Trittbrettfahrer des Regietheaters nahmen und nehmen den Charakter von willkürlichen Werkbearbeitungen an, bei denen die persönliche Interpretation durch den Regisseur das Werk überdeckt. In den letzten Jahrzehnten haben Regisseure insbesondere im Operntheater alle Hemmungen verloren, Opern ungeachtet von Libretto und Musik, will sagen der Intentionen der Autoren zur Spielwiese ihrer eigenen Befindlichkeiten und Obsessionen zu missbrauchen. Die Geduld der Zuschauer wird nicht selten auf eine harte Probe gestellt, und die oft zu grotesker Unkenntlichkeit entstellten Werke, die zusammengestrichen und nicht selten mit werkfremden Einfügungen gespickt sind, irritieren, ja überfordern nicht selten die meist konventionellen Erwartungen des Publikums.
Immer häufiger werden in den letzten Jahren landauf, landab im Sprech- wie Musiktheater die Grenzen des sogenannten guten Geschmacks mit immer drastischeren Mitteln übertreten, werden moralische Tabus gebrochen, nackte Tatsachen und schockierende Grausamkeiten gezeigt, weil das Interesse an den Regietaten und Regisseuren mehr und mehr das Interesse am Kunstcharakter der Musik und an den Opern an sich überwog. Die monomanischen Anmaßungen, dem Autor/Komponisten auf Augenhöhe zu begegnen und nach Belieben Werke umzubauen, zu ergänzen, oftmals regelrecht zu destruieren, scheinen keine Grenzen mehr zu kennen. Respekt vor Komponisten und Librettisten scheint nicht mehr zu existieren. Ichsucht, Selbstbezüglichkeit, Kunstverachtung und handwerkliche Stümperei prägen weitgehend das heutige Opernleben. Die Oper ist zur Oper der Beliebigkeiten verkommen. Die „Diktatur des Zeitgemäßen“ (Friedrich Nietzsche) hat die Opernmacher nachhaltig infiziert.
Nur ein paar Beispiele: Geradezu legendär ist „Aida“ als Putzfrau in der Inszenierung von Hans Neuenfels in Frankfurt am Main. Bei den Salzburger Festspielen sah man jüngst in der „Zauberflöte“ Papageno im Lieferwagen auftreten und „Lohengrin“ in der Felsenreitschule als Flugzeugkatastrophe inszeniert (Roland Schwab), der „Rienzi“ wurde an der Deutschen Oper Berlin zur Nazischmonzette im Leni-Riefenstahl-Format (Philipp Stölzl), ebenfalls dort wurde „Salome“ im Herrenkonfektionsladen gegeben (Claus Guth). Regisseur Sebastian Baumgarten zeigte in Berlin einen „Werther“, dessen wichtigstes Requisit ein Kühlschrank war, Claus Guth zeigte in Frankfurt am Main den „Rosenkavalier“ in drei Etagen eines Altenheims, Calixto Bieito siedelte in Berlin „Madama Butterfly“ in einem Bordell an, Frank Castorf inszenierte – wenn auch bildmächtig und konzeptionell faszinierend – in Bayreuth den „Ring“ als postsozialistische Geschichte auf den brennenden Ölfeldern von Baku, dem Berliner Alexanderplatz, in einer Tankstelle an der Route
Number One und vor einem sozialistischen Mount Rushmore.
Ebenfalls in Bayreuth wurde der „Tannhäuser“ (Regie Sebastian Baumgarten) in einer Biogasanlage gezeigt, in der Elisabeth vergast wurde. Doris Dörrie inszenierte in München Verdis „Rigoletto“ auf dem „Planeten der Affen“. In Cottbus wohnte man bei „Tristan und Isolde“ gar einer Raumschiffreise durch Raum und Zeit bei (Regie Stephan Märki). In Rom zeigte man Puccinis „Trittico“ im Containerbahnhof. Eine reichlich sexistische „Entführung aus dem Serail“ sah man in Berlin zuletzt im türkischen Drogenmilieu verortet (Rodrigo Garcia). Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen.
![Benjamin Britten, „Peter Grimes“, Staatsoper Wien 1996, Regie Christine Mielitz, Bühnenbild Gottfried Pilz. Camera obscura: Karen Stuke Benjamin Britten, „Peter Grimes“, Staatsoper Wien 1996, Regie Christine Mielitz, Bühnenbild Gottfried Pilz. Camera obscura: Karen Stuke](/archiv/2025/01/grafik/z_ot_2025_01_Seite_23_Bild_0001.jpg)
Benjamin Britten, „Peter Grimes“, Staatsoper Wien 1996, Regie Christine Mielitz, Bühnenbild Gottfried Pilz. Camera obscura: Karen Stuke
Es sind Extrembeispiele eines Theaters, das eine neue Lust am Sensationellen, Ungewohnten, Obszönen und Vulgären entdeckt hat. Immer mehr Regisseure lieben es, wenn Urinale oder Nazimäntel, Pissoirs oder spießige Fernsehecken auf der Bühne stehen, wenn Kot spritzt, Urin fließt und Blut schießt, wenn nacktes Menschenfleisch sich zeigt, wenn der Geschlechtsakt in allen Variationen öffentlich vorgeführt wird, wenn Schmerz schreit und Grausamkeit und Mord sichtbar sind. Man denke auch an Christoph Schlingensief, der mit schamlosen Selbstdarstellungen seiner Befindlichkeit die Opern selbstherrlich missbrauchte. Das Vergnügen an extremen Grenzüberschreitungen wie Übertragungen ins Hier und Heute kleinbürgerlicher Alltagswelt im Stil der 1950er- und 1960er-Jahre, wenn nicht gar im absolut geschmacklosen Netflix-Format – wie im jüngsten Bayreuther „Ring“ –, kennt keine Tabus mehr. Man muss kein Hardliner der sogenannten „Werktreue“ sein, um zu konstatieren: Noch nie wurde das sadistische, voyeuristische Erregungs-Potenzial, wie die Verspießerung ins Kleinbürgerliche oder proletarische Milieu von heute auf der Opernbühne so ausgereizt. Der Regisseur Sven-Eric Bechtolf hat die Auswüchse des Regietheaters in einem Bonmot zum Ausdruck gebracht: „Das Theater ist ein Irrenhaus und die Oper seine geschlossene Abteilung.“
Der Regisseur Adolf Dresen hat einmal zurecht angemahnt, dass Werktreue für eine Oper ebenso schädlich sei wie die „Werkverwurstung“. Von Gustav Mahler stammt hingegen der Ausspruch: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Bewahrung des Feuers.“ Wenn die Oper aber nur noch nach dem Sensationellen, nach dem Zeitgemäßen und nach dem Zeitgeist von heute schielt, wenn sie TV-kompatibel nach „Einschaltquoten“ unserer westlichen Mediengesellschaften schielt, die immer lapidarer und larmoyanter selbst gräulichste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Sprache bringt und ins Bild setzt, dann ist die Oper auf dem Weg, sich selbst abzuschaffen. Gottlob gibt es noch Regisseure und Intendanten, die sich den Trends des Regietheaters widersetzen!
Gottfried Pilz: „Umsetzen ins Heute“
Einer von ihnen war Gottfried Pilz. Er studierte an der Kunstakademie in Wien, war vier Jahre Assistent an der Wiener Staatsoper. Seine erste Bühnenbildassistenz führte ihn zu Wieland Wagner. Seit 1969 assistierte er mehrere Jahre bei Rudolf Heinrich und Filippo Sanjust. Seine Bühnenbild-Debüts waren in Amsterdam und Berlin. Festanstellungen verbanden in mit Bielefeld, Augsburg und Kiel. Von 1980 bis 1990 arbeitete er sehr erfolgreich mit dem Regisseur John Dew zusammen und war von 1982 bis 1992 mit seinen bemerkenswerten Ausgrabungen vergessener Werke maßgeblich am „Bielefelder Opernwunder“ beteiligt. Daneben war er europa-, ja weltweit als freier Bühnenbildner für diverse Produktionen in Oper und Schauspiel mit auch eigenen Inszenierungen tätig.
![„Gottfried Pilz – Bühne Kostüm Regie“, hrsg. von Kerstin Schröder, Verlag Theater der Zeit 2024, 160 Seiten, 26 Euro „Gottfried Pilz – Bühne Kostüm Regie“, hrsg. von Kerstin Schröder, Verlag Theater der Zeit 2024, 160 Seiten, 26 Euro](/archiv/2025/01/grafik/z_ot_2025_01_Seite_23_Bild_0002.jpg)
„Gottfried Pilz – Bühne Kostüm Regie“, hrsg. von Kerstin Schröder, Verlag Theater der Zeit 2024, 160 Seiten, 26 Euro
Im Verlag Theater der Zeit ist jetzt ein opulentes Buch erschienen, das seinem Werk ein würdiges Denkmal setzt „Gottfried Pilz. Bühne. Kostüm. Regie“, herausgegeben von der Bielefelder Grafikerin Kerstin Schröder, die Gottfried Pilz seit seinen Bielefelder Jahren kennt. Gottfried Pilz hat Wagners „Ring“ insgesamt vier Mal inszeniert beziehungsweise ausgestattet. Zu Wagner hatte er eine besondere Beziehung. In einem Gespräch, das ich vor Jahren einmal mit ihm führte, sagte er mir: „Faszinierend bei Wagner ist nicht nur, dass er Siegmund Freud eigentlich antizipiert hat, sondern dass er noch über Strindberg weit hinausgeht, bis hin zu Bergmanns ‚Szenen einer Ehe‘.“ Die Äußerung ist typisch für Gottfried Pilz, denn der psychoanalytische Weg ist für ihn eigentlich in fast allen Opern aller Epochen der entscheidende Zugang. Dekorationen sind dagegen seine Sache nicht. „Mir geht es eher um die Sichtbarmachung dessen, was hinter einer Wand steht, was auf der Bühne steht, was jenseits der Grenzen liegt. Grenzüberschreitungen sind mein Thema“, hat er einmal unmissverständlich erklärt. Theater ist für ihn immer ein „Umsetzen ins Heute!“
Insofern ist auch er ein Vertreter des sogenannten Regietheaters, fern allerdings von allem unverantwortlich bearbeitenden, selbstverliebt egomanischen, kommentierenden oder gar destruierenden Regietheater. Gottfried Pilz hat Stücke in andere Zeiten und abstrakte Räume transportiert, aber private Obsessionen und Regiegags ließ er außen vor. Es ging ihm immer um die Substanz der Stücke. Mit dem Regisseur John Dew gelang ihm seit 1980 eine innovative Weiterentwicklung des Bühnen- und Kostümbilds. Er schuf faszinierende Bilder, die die Musik visuell übersetzten und in die Operngeschichte eingegangen sind. Zu seinen Ausstattungen gehörten Welturaufführungen wie Alexander von Zemlinskys „Der König Kandaules“ in Hamburg 1996 sowie die Wiederentdeckung selten gespielter oder in Vergessenheit geratener Werke wie Giacomo Meyerbeers „Die Hugenotten“, Berlin 1987, und Jacques Fromental Halévys „Die Jüdin“, Bielefeld 1989. Neben seiner internationalen Karriere arbeitete Gottfried Pilz immer wieder mit Regisseur Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin zusammen. Dem legendären „Rosenkavalier“-Auftakt in Berlin 1993 folgten 15 gemeinsame Projekte einschließlich der ersten Gesamtaufführung von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ in Helsinki 2000.
Am 3. Oktober 2024 ist Gottfried Pilz im Alter von achtzig Jahren plötzlich verstorben. Das jetzt erschienene Buch kann daher als Nachruf gelesen werden. Es zeigt einen repräsentativen Ausschnitt seines Vorlasses, der jetzt zum Nachlass wurde. 2011 hatte Pilz seine Sammlung mit Fotografien, Plakaten, Zeichnungen und Bühnenentwürfen der theatergeschichtlichen Sammlung des Berliner Stadtmuseums übergeben. Von 1970 bis 2021 hat er als Bühnen- und Kostümbildner größtenteils für das Musiktheater gearbeitet. Seine im Laufe der Jahre zunehmend abstrakte und minimalistische Bildsprache entwickelte er durch das intensive Studium von Libretto und Partitur konstant weiter. Während er die Musik hörte und die Texte las, kamen die Ideen. Nie hat er dabei seine eigene Person zum Thema gemacht. Er kannte noch die Demut vor dem Werk, die so vielen anderen Regisseuren des Regietheaters abhandengekommen zu sein scheint.
Die neue Publikation verblüfft vor allem mit Fotografien, die Ausschnitte aus seinem umfangreichen Schaffen zeigen. 15 von insgesamt rund 250 Arbeiten werden in chronologischer Reihenfolge vorgestellt. Man liest darin das Bekenntnis: „Für das Theater zu arbeiten heißt reflektiertes Umsetzen eines Textes, der Musik oder beider zusammen in einem Aktionsraum, der die Darstellung von zwischenmenschlichen Beziehungen ermöglicht oder umfasst.“ Peter Brook hat ein faszinierendes Buch mit dem Titel „Der leere Raum“ geschrieben. Pilz kannte es natürlich, denn auch er zeigte oft leere Räume. Sein Kommentar dazu: „Es ist aber die Frage, wie leer ist der Raum wirklich oder wie verschieden kann leerer Raum sein?“ Die Räume von Gottfried Pilz sind stets von magischer und suggestiver Wirkung, von Lichtstimmungen und Reflexen geprägt, es sind feinfühlige und doch starke Licht- und Farbräusche, optische Stimmungen, traumhafte Welten, „Freiräume für die eigene Fantasie“. Seine Inszenierungen waren immer sinnlich, theatralisch, außergewöhnlich, aber nie „verkopft“.
Die Fotografin Karen Stuke, die seit den 1980er-Jahren Gottfried Pilz begleitete und viele seiner faszinierenden Produktionen fotografierte, hat insbesondere mit ihren Camera-obscura-Aufnahmen seine Inszenierungen in besonderer Weise eingefangen. Sie gesteht, diese Form der Fotografie sei „keine dokumentarische, sondern eher verfremdende“. Doch Gottfried Pilz hat sie in ihrem fotografischen Verfahren, das in besonderer Weise seine Bühnenbilder hervorhebt, bestärkt. Sie belichtete das jeweils gesamte Theaterstück auf einem einzigen Bild mit einer Lochkamera. Die Belichtungszeit des Negativs entspricht exakt der Dauer der Inszenierung. Es sind traumhaft verschleierte Fotografien, die etwas von der suggestiven Wirkung der Pilz’schen Bühnenereignisse vermitteln. Davon kann der Leser sich überzeugen, denn Karen Stuke liefert den Großteil des Bildmaterials. Mit dem Bonmot „Pilzblau mit einem Schuss Neonrot“ bringt die Herausgeberin des Buchs die Ästhetik von Gottfried Pilz auf den Punkt.
Das kurz vor seinem Tod erschienene Buch ist eines über den reifen Gottfried Pilz. Es zeigt Bühnenbilder und Entwürfe aus der Zeit von 1985 bis 2003. Beigefügt ist eine Liste seiner sämtlichen Inszenierungen (mit präzisen Werk-, Orts- und Theaterangaben), die den enormen Wirkungsradius des Ausstatters und Regisseurs dokumentiert. Pilz hat sein Arbeitsprinzip einmal so formuliert: „Es muss aus der Hand herauskommen und nicht aus dem Kopf.“ Handwerkliche Präzision zeichnen denn auch seine Figurinen und skizzenhaften Entwurfszeichnungen ebenso aus wie seine sinnlichen und phantasievollen Bühnenentwürfe. Er war ein großer, vornehmer Theaterzauberer und hat zweifellos ein Stück Theater- und Inszenierungsgeschichte „der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts“ geschrieben, wie Bärbel Reißmann vom Stadtmuseum Berlin schreibt. Das Buch, aber auch das Museum will „Gedächtnis für die Theatermacher und das Publikum“ sein. Ein nützliches Register, ein Verzeichnis aller Pilz-Inszenierungen und eine biografische Zeittafel ergänzen das verdienstvolle Buch. |