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Aktuelle Ausgabe

Im Zeichen der Stimme
Editorial von Gerrit Wedel

Kulturpolitik

Brennpunkt
Bayreuth: Ende einer Welt-Institution?

Auf ein Wort mit Nele Hertling
Über die Notwendigkeit der Kunst

Verborgene Potenziale
Was kann der Bühnentanz vom Leistungssport lernen?

Statt Asche bewahren Glut entfalten
Pina Bauschs „Kontakthof“ überwältigt – und Neues entsteht

Regietheater zwischen Ichverliebtheit und Werktreue
Gedanken zum Regisseur und Bühnenbildner Gottfried Pilz

The Invisible Labor of Ballet Masters (en / de)
The Unsung Backbone of Performance: A Ballet Master’s Perspective

Berichte

Spannend bis zum Schluss
Händels „Alcina“ in Bonn

„So könnte es bald immer aussehen“
Sparfassung von Jacques Offenbachs „Robinson Crusoé“ an der Komischen Oper Berlin

Der Kreis der Wahrheit
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf glänzt mit Alexander Zemlinskys „Der Kreidekreis“

Romeo und Julia – oder anders herum?
Sergej Prokofjews Ballettklassiker in Leipzig und Basel

Globales Panoptikum
Die Ausstellung TANZWELTEN der Bundeskunsthalle Bonn

Um Leben und Tod
Wiederaufnahmen „Mahler X drei Meister“ des Stuttgarter Balletts

Alternativen zum realen Opernbesuch?
Die neuen Brettspiele „Kronologic – Paris 1920“ und „Ausverkauft“

Seine Bühne ist überall
Eine Annäherung an den charismatischen Tänzer und Choreografen Boris Charmatz

Verlöschender Vulkan
Der Callas-Spielfilm „Maria“ mit Angelina Jolie überzeugt weitgehend

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Berichte

Romeo und Julia – oder anders herum?

Sergej Prokofjews Ballettklassiker in Leipzig und Basel

Sergej Prokofjews „Romeo und Julia“ nach Shakespeares Vorlage ist ein Klassiker der großen Handlungsballette. In den 1930er-Jahren hatte es zunächst das Leningrader Kirow-Theater und dann das Moskauer Bolschoi in Auftrag gegeben beziehungsweise abgesichert. Zu Bühnenehren kam es jedoch 1938 in Brünn. Zwei aktuelle Produktionen stehen für die Spannbreite der Interpretationsmöglichkeiten. In Leipzig wird die Geschichte auf das Opernhaus projiziert, in dem sie gezeigt wird, und bleibt dabei in erkennbarer Nähe zur Vorlage. In Basel geht man bis an die Grenze der Erkennbarkeit der Vorlage und darüber hinaus.

Theater Basel, „Julia und Romeo“. Foto: Ingo Höhn

In Leipzig steht die Choreographie der Amerikanerin Lauren Lovette für einen Neuanfang. Rémy Fichet als Nachfolger des langjährigen Ballettdirektors und Chefchoreografen Mario Schröder steht für den Wechsel zu einer kuratorischen Programmdramaturgie. Für seinen Auftakt mit dem populären Repertoirestück sorgte Anna Skryleva mit dem Gewandhausorchester im Graben für eine dramatische Zuspitzung, mit großer Operngeste und dickem cineastischen Pinsel. Ausstatter Thomas Mika hat Räume des Opernhauses nachgebaut. Vor den Brandmauern der Bühne oder im vertrauten Ambiente verschiedener Foyers erzählt Lovette die bekannte Geschichte wiedererkennbar nach. Mit großen, raumfüllenden, doch erstaunlich konventionellen Ensembleszenen. Bei den Soli und Pas des Deux dominieren meist bewusst ausgestellte Klischees nach außen gekehrter Emotionen.

Wenn Romeo zusammen mit Mercutio und Benvolio als maskiertes Trio das Fest bei den Capulets aufzumischen versucht, springt der vitale Funke ihrer Auftritte über. Von wirklich verblüffender Perfektion sind die artistischen Kampfszenen. Sonst toben Capulets und Montagues durch die Räume, gehen (heimlich) aufeinander zu und öffentlich meist aufeinander los. In der Wut und aus Rache ersticht erst Tybalt Mercutio, um dann selbst von Romeo erstochen zu werden. Zu Füßen der nur vermeintlich toten Julia bringt Romeo dann auch noch Paris um, den die Eltern als Bräutigam vorgesehen hatten. Nicht nur Romeo ersticht sich diesmal selbst, auch Julia folgt ihm auf dem gleichen Weg.

In Basel wurde mit „Julia und Romeo“ das Tanzspektakel, dessen Erstfassung in München 2018 noch „Romeo und Julia“ hieß, nicht nur versprochen, sondern auch geboten. Die beiden isländischen Choreographinnen Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir haben vor allem die Emotionen der Liebe von zwei jungen Leuten, gegen die der abgrundtiefe Hass ihrer Familien steht, herausdestilliert und dann – losgelöst von der Handlung – assoziativ vom Ensemble umspielen lassen. Wenn sich alle durch den Zuschauerraum auf die Bühne vorgearbeitet haben, berichtet jeder von seinen professionellen Erfahrungen mit der Vorlage.

Danach freilich dominiert eher die Ferne zur Geschichte, und alle toben sich auf assoziativen Nebenpfaden aus – irgendwo zwischen eskalierender Gruppentherapie und Kamasutra für Vampire –, mit einem Versuch, Liebe und Tod für einen Assoziationssturm zu mobilisieren, bei dem die klassische Vorlage nur gelegentlich noch durchscheint. Auf der Bühne von Chrisander Brun steht ein Herz aus pinkfarbenen Neonröhren über einem Riesenbett für die Liebe. Zu den eingespielten Prokofjew-Nummern, inklusive stimmgewaltiger Beiträge von Sängerin Sofia Jernberg und einer von Valdimar Jóhannsson komponierten „Klanglandschaft“, ergänzt die Truppe ihr Agieren, Tanzen und Performen mit Gesprochenem, Gesungenem, stöhnt, hechelt und schreit, macht den tanzenden Menschen zu einem expressiven Gesamtkunstwerk. Wobei die Tänzer und Tänzerinnen Julia und dann auch Romeo werden können, dann wieder eine Kuh oder auch das Patriarchat…. So wird alles, was man hört, sieht und sich dabei denkt zu einem Ansturm auf die Sinne, der nichts für Puristen ist. Wenn am Boden hockende Paare mit Eimern von Theaterblut übergossen werden, wähnt man sich auch schon mal in einer aus dem Ruder laufenden Hermann-Nitsch-Prozession.

In welcher der beiden Lesarten (und aller anderen zwischen diesen Polen möglichen) auch immer, da Romeo und Julia oder Julia und Romeo nie wirklich gestorben sind, tanzen sie noch heute und werden es auch in Zukunft tun.

Joachim Lange

 

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