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Bindeglied zwischen Ausbildung und Beruf
Die Junior Company des Bayerischen Staatsballetts
„In diesem Ausnahmeberuf nicht gleich den Riesenschritt von einer Ballettschule oder einer Akademie – wie bei mir – in eine große Compagnie zu machen, sondern eine echte Qualitätsstufe dazwischen nehmen zu können, schon mal eingebunden zu sein in eine große Aufführung, hauptsächlich aber mit richtig bemessenen Herausforderungen weiter zu wachsen – das ist das Besondere“, strahlt die 20-jährige Lisa Gareis. Sie hat den wohl erfreulichsten Karriere-Verlauf der 16 auf zwei Jahre auserwählten Mitglieder der Junior Company geschafft: Sie wechselt ab Herbst 2014 ins „große“ Bayerische Staatsballett. Doch auch um die anderen muss der Ballettfan sich keine Sorgen machen: In den zurückliegenden vier Jahren haben alle Junioren sofort ein Engagement gefunden.
Weltweites Interesse
„About:Time” mit Devon Carbone und Marta Navarrete Villalba. Foto: Charles Tandy
Die Ansprüche sind hoch. Dafür stand schon am Anfang des Projekts der Name Konstanze Vernon. Die beliebte und unvergessene Münchner Primaballerina hatte schon bis zu ihrer Emeritierung 2010 erstklassigen Tanznachwuchs mit Diplom ausgebildet: im Zusammenwirken der von ihr initiierten „Heinz-Bosl-Stiftung“ (seit 1978) und der Ballettakademie der Münchner Hochschule für Musik (so seit 1978). Die meist 18-Jährigen besaßen neben dem Diplom einen Hauptschulabschluss, Abitur oder begannen teilweise sogar ein Fernstudium in BWL, Informatik oder Sprachen. Gemäß ihrem kulturpolitischen Geschick und ihrem unverminderten Engagement – „eigentlich will ich im Ballettsaal sterben“ – wollte Vernon weitermachen: ein „Bindeglied“ schaffen zwischen den Diplomanden und der großen Compagnie, dem durch sie 1988 von der Oper emanzipierten, künstlerisch eigenständigen Bayerischen Staatsballett – eine Junior Company. Seit 2010 vergibt nun die Bosl-Stiftung acht Stipendien, dazu kommen acht Volontär-Stellen, die das Staatsballett aus Gruppentänzer-Stellen umgewandelt hat. Konstanze Vernon bis zu ihrem Tod 2013, Ballettdirektor Ivan Liška und Ballett-Akademieleiter Jan Broeckx wählen meist zu Jahresbeginn in langen „auditions“ sechzehn künftige Junior Company-Angehörige aus – aus weltweit anfangs vierhundert, dann etwa hundert Bewerberinnen und Bewerbern. Für vieles in den zwei Junior-Jahren ist dann Liškas Stellvertreterin Bettina Wagner-Bergelt zuständig, und sie umreißt die Vorteile des Systems so: „Diese ja doch besonders Talentierten nehmen als Gruppentänzer in den großen Werken ihre Positionen zwar ganz hinten ein, machen aber das Training mit und lernen das große Repertoire von Petipa über Cranko zu Neumeier kennen – also von der Waganowa-Methode bis zur zeitgenössischen Moderne. Zweitens: In der Junior Company werden Talent und Solisten-Qualitäten viel spezieller weiterentwickelt, denn hier bekommen sie Soli, arbeiten mit Choreografen und erstklassigen Ballettmeistern zusammen.
Beispiele: Aufgrund unseres Bewerbungsvideos bekamen wir vom New Yorker Balanchine Trust die Lizenzen für Balanchines ‚Who Cares?‘ und ‚Allegro Brillante‘; da kommt dann Nanette Glushak vom Trust und erarbeitet mit den Junioren zwei Wochen lang die speziellen Formen des Neoklassik-Stils – oder: Simone Sandroni beziehungsweise Richard Siegal studieren mit ihnen kleine Uraufführungen ein; schließlich das Beispiel Terence Kohler: als ‚choreographer in residence‘ hat er für das Staatsballett zwei große Werke einstudiert, für die Junior Company dann die Uraufführung ‚Streichquintett‘ im Dezember 2013. In den letzten fünf Jahren sind insgesamt 20 ganz unterschiedliche Ballette im Repertoire der Junioren gewesen. Drittens: Das Staatsballett kann mit seinen groß dimensionierten Ausstattungen auf vielen Bühnen Deutschlands gar nicht gastieren; doch beispielsweise in Oldenburg, im Markgräflichen Theater Erlangen, in der Stadthalle Rosenheim kann die Junior Company auftreten – und da lernen die Jungen sehr viel mehr als die Choreografie den unterschiedlich großen Bühnenräumen anzupassen, sie lernen zum Beispiel auch Verantwortung. Sie kennen nämlich nicht nur ihre Rolle, sondern das ganze Werk und können oder müssen mal an einem Abend für einen zu schonenden Kollegen übernehmen – und sie sind danach auch für Kostüm und Schuhe verantwortlich – das alles hilft unheimlich bei der Persönlichkeitsentwicklung, die dann wiederum dem Tanz zugute kommt.“
Das erste Modell seiner Art
Matinée der Heinz-Bosl-Stiftung/Junior Company mit „Bilder einer Ausstellung“. Foto: Charles Tandy
Die Vorteile des Modells, damals, 2010, das erste seiner Art in Deutschland, liegen offen: Städte ohne Tanzcompagnie oder sogar Theater können Abende veranstalten, die vom klassischen Pas de deux aus „Le Corsaire“ oder den vier „Kleinen“ aus „Schwanensee“ über kleinere Klassiker Hans van Manens bis zu Zeitgenossen wie Terence Kohler oder Nacho Duato hohes Niveau bieten. In der Junior Company selbst können in den zwei Jahren unterschiedliche Charaktere und Begabungen erkannt und in diesen kleineren Werken speziell geformt und weiterentwickelt werden. Wagner-Bergelt: „Da hatten wir zum Beispiel Sebastian Goffin: Der kam von der Royal Ballet Upper School zu uns, zeigte Interesse und Begabung fürs Choreografieren und hat 2013 hier für und mit seinen Kollegen ‚Astres Errants‘ kreiert.“ Die vielen Reiseeinladungen – anfangs innerhalb Deutschlands, inzwischen ins europäische Ausland, kommende Saison erstmals nach Israel – machen einerseits die Junioren mit den harten Anforderungen der Praxis bekannt; zugleich ist es Werbung für das Staatsballett als herausragenden Ausbildungsort: 36 Nationen finden sich derzeit in der gesamten Compagnie. So hat sich auch die Madrilenin Maria Navarrete Villalba von der Grundausbildung in London nach München in die Junior Company getanzt: „Ich finde die kleine Gruppe ideal fürs Weiterlernen. Dann habe ich Kontakt zu den Solisten des Staatsballetts, und da kann man schauen, fragen und wird inspiriert… da komme ich bislang gar nicht dazu, die Museen und all die Kultur Münchens zu genießen.“ Das wird wohl weiterhin gelten, denn auch sie wird ab Herbst ins große Staatsballett übernommen.
Juwelen der Tanzkunst
Doch auch für weniger glamouröse Aspekte bis hin zur schmerzlichen Seite der Tanz-Karriere wird bestens gesorgt: In Kooperation mit einem Physiotherapiestudio wird Prophylaxe, Beratung und Behandlung organisiert. „Wir machen auch mal Ernährungsberatung“, fügt Wagner-Bergelt hinzu. Über den Verein „Tamed“ wird im Verletzungsfall nach der bestmöglichen ärztlichen Versorgung gesucht. Und wenn eine Verletzung oder auch ein persönlicher Entschluss „Ende der Karriere“ signalisiert, wird über die Sponsoren des Staatsballetts nach Stellen gesucht, wird durch die Stiftung TANZ – Transition Zentrum Deutschland der Weg danach wesentlich erleichtert. Noch nicht möglich – trotz „Bologna“ – ist, dass auch diplomierte Tänzer mit Hauptschulabschluss an der Universität beispielsweise Pädagogik studieren dürfen – „wo doch andererseits Bildende Künstler ohne akademische Vorbildung sogar Professoren werden können“, kritisiert Wagner-Bergelt. Die Münchner Junioren werden neben allem Tänzerischen auch kulturhistorisch gebildet. Speziell das Projekt „Triadisches Ballett“ zeigt dies: Da wurden die Junioren mit der Kunstgeschichte der Abstraktion, der Bauhaus-Bewegung und dem Choreografen Gerhard Bohner bekannt gemacht. Und für den November 2014 wird wieder ganz Anderes geprobt: Im Mittelalter wurden die Menschen durch gestenreich auftretende „Lauda“-Sänger vor der Kirche zum Besuch aufgefordert. Der englische Komponist Gavin Bryars hat derartige Gesänge in Italien gesammelt und neu vertont. Die ja für ihr einstiges Theater berühmten Jesuiten in der Münchner Michaelskirche haben einer zeitgenössischen „Lauda“-Aufführung zugestimmt, so dass Sänger und die Junioren vor und in der Kirche Bryars Musik beleben werden. Das Urteil „Die Junior Company gehört zu den ausgefeilten Juwelen der Tanzkunst“ könnte sich bestätigen.
Wolf-Dieter Peter
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