Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Berichte

Mystisches Gesamtkunstwerk

»Die Frau ohne Schatten« in Leipzig

Eine Art Hexenkessel, in dem sich Bravo- und Buhrufer gegenseitig aufheizen, ist das Opernhaus Leipzig nach rund vier Stunden Opernpremiere. Und das war auch zu erwarten von einem der Höhepunkte im Strauss-Jahr mit Ausstrahlung weit über die Grenzen Mitteldeutschlands hinaus. Aus vielerlei Gründen gilt „Die Frau ohne Schatten“ als absolutes Ausnahmewerk, das nicht zufällig rar ist in den Spielplänen, obwohl der Komponist selbst es zu seinen gelungensten zählte.

Zwischen Menschen- und Geisterreich. Foto: Kirsten Nijhof

Zwischen Menschen- und Geisterreich. Foto: Kirsten Nijhof

Eine verworrene Geschichte, die irgendwo in einer Welt zwischen Menschen- und Geisterreich den Sinn des Lebens – von Werden und Vergehen – thematisiert, ein Werk, das eine Interpretation auf allen Ebenen schwer macht, ist dieses mystische Gesamtkunstwerk. Insofern kann es nicht wirklich verwundern, dass die Leipziger Produktion polarisiert. Es ist eine merkwürdige Apotheose, mit der das Regieteam um Balázs Kovalik das bricht, was es in einem langen Opernabend in einer Folge anspielungsreicher und starker Bilder bündelte. Zahllose Kinderwagen – bunt und verschieden – rollen in den monochrom in Weiß-Grau gehaltenen Bühnenraum. Was soll man Anderes machen mit der lieblichen, fast zu süßen Musik dieses Finales, in dem sich die ganze Schattenlosigkeit – Symbol für fehlende Empfängnis – in Wohlgefallen auflöst?

Da wird witzig und wirkungsvoll medial betriebener Rollentausch gezeigt – drastisch und plakativ zwischen Container und Koch-Show; da ist Werthers romantisches Familienbild, da ist dies und das. Jeder findet etwas. Aber eine geschlossene Ästhetik sieht anders aus. Kaleidoskopartig wird eher das Woher und Wohin der Strauss-Hofmannsthalschen Ideenwelt präsentiert als eine stringente Geschichte erzählt. Dabei hält die technisch ausgebuffte und in ihrer Opulenz verblüffende Ausstattung eine ganze Reihe Überraschungen bereit. Kurzweilig ist das schon. In dem Rahmen, in dem eine solche Handlung eben kurzweilig sein kann.

Das Gewandhausorchester unter Ulf Schirmer findet zu einem überaus anständigen Strauss-Klang und ist gerade in den ausgedehnten Streicherpassagen richtiggehend brillant. Dass der von Alessandro Zuppardo einstudierte Opernchor aus dem Off nicht immer mit der zu erwartenden Präzision aufwarten kann, stellt ein Problem dar – vor allem auch, weil sich der Klang in dem ohnehin akustisch schwierigen Saal nicht einfach so mischt. Dennoch ist die Leistung bemerkenswert.

Doch „Die Frau ohne Schatten“ ist nicht eigentlich eine Choroper, und Ulf Schirmer punktet mit einem ausgezeichneten Ensemble und vier schlicht herausragenden Solisten. Simone Schneider als Kaiserin läuft im Laufe des Abends zu Hochform auf. Mit Gespür für Nuancen und einer perfekt geführten Stimme überzeugt sie gegen Ende auch darstellerisch immer mehr. Stark und vor allem intensiv ist ihr Auftritt im letzten Akt. Die Intensität ihrer Gestaltung zieht zwangsläufig in Bann. Hochgradig expressiv wird gezeigt, wie die Angst vor der eigenen Verantwortung lähmt, und das Werden im Vergehen die Sorge vor dem Vergehen im Werden aktiviert. Die Inszenierung führt die Angst vor Lebens entscheidungen vor.

Burkhard Fritz ist die Idealbesetzung für den Kaiser mit seiner schlank geführten, aber riesigen Stimme. Ansonsten bleibt die Partie die übliche undankbare Aufgabe – so ist das eben, wenn man zum Versteinern verurteilt ist. Jennifer Wilson als Färberin begeistert ihr Publikum mit Präsenz und Durchschlagkraft. Als eine Art Cindy-aus-Marzahn-Double ist sie mit Sicherheit das dominanteste Moment dieser Inszenierung – tragisch und komisch zugleich. Dennoch ist gerade hier die Plakativität der Inszenierung besonders sinnfällig. Mit kraftvollen, aber recht scharfen, nicht immer ganz ausgewogenen Tönen, dafür darstellerisch umso präsenter steht Doris Soffel als Amme in der Publikumsgunst am Premierenabend nicht zurück.

Der echte Straussianer sollte diese Chance keinesfalls verpassen. Perfekt ist sie nicht, doch in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.

Tatjana Böhme-Mehner

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner