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Eine innere Stille im Lärm

»Fidelio« im ehemaligen Zuchthaus von Cottbus

Ein groß angekündigtes Opernereignis in der Lausitz: Ludwig van Beethovens „Fidelio“ unter freiem Himmel im Hof des ehemaligen Zuchthauses Cottbus. Als Veranstalter zeichnete das Menschenrechtszentrum Cottbus verantwortlich; die Musiker und Sänger des dortigen Staatstheaters waren die Ausführenden.

Andreas Jäpel als Don Pizarro und Mitglieder des Chores. Foto: Marlies Kross

Andreas Jäpel als Don Pizarro und Mitglieder des Chores. Foto: Marlies Kross

Der Veranstaltungsort verursachte merkwürdig driftende Gefühlslagen. Der Gefängnishof vor der Veranstaltung war Ort für Begrüßungen, für Plaudereien, fürs Opern-Sektchen. Wer allerdings die Ausstellung „Karierte Wolken – politische Haft im Zuchthaus Cottbus 1933-1989“ angesehen und einen Blick in die ehemaligen Zellen geworfen hatte, wartete eher still auf die ersten Takte der Ouvertüre. Eine innere Stille im Lärm – unsichtbarer Marschtritt legte ein beklemmendes Grundgeräusch um die Stunde vor der Musik.
Als Evan Christ den Taktstock zur Ouvertüre hob und das aufrührerische Streicher-Signal, sanft von den Hörnern abgefangen, erklang, kündigte sich umgehend das schöne Reich der Utopie an. Die Urkraft der Musik, aus Ort und Zeit zu entrücken, erwies sich an solchem Ort ungleich stärker als in jedem Opernhaus.

Die elektroakustische Klanggestaltung, anfangs problematisch, verbesserte sich rasch, alle Sängerstimmen klangen unverzerrt, genau und volltönend. Das Orchester hörte man alsbald im schlanken und durchsichtigen, an historischer Aufführungspraxis orientierten Klangbild. Evan Christ gestaltete einen detailreichen Mischklang; die Wiedergabetechnik verschwand im akustisch-mentalen Hintergrund. Für das Quartett „Mir ist so wunderbar“ wählte er ein natürlich fließendes Tempo, das den angenehm unprätentiösen Ausdruck bestimmte. Regisseur Martin Schüler schuf mit seiner psychologisch durchgearbeiteten Personenführung die entsprechende Spannung zwischen den Bühnenfiguren, die in ihren so unterschiedlichen Seelenlagen extrem auseinanderstreben und doch im Gesang unentrinnbar miteinander verstrickt sind.
Ein zweites Mal mischte sich die Backsteinkulisse des Zuchthauses bei Don Pizarros Auftritts arie ins Spiel: der „Typ Pizarro“ platzgreifend am authentischen Ort seines politischen Wirkens. Ein Schreibtischtäter, dem es im Büro immer mal etwas fad wird.
Die intensivste Wirkung erzielte der Spielort immer dann, wenn sich Opernspiel und erinnerte Realität zu vermischen schienen, wenn die Chöre und die Statisterie-Wachmannschaft in Aktion traten. Kommandogeschrei und Pfiffe mögen in manchem Zuschauer tiefsitzende schlimme Erinnerungen geweckt haben. Umso bewundernswerter einige ehemalige Cottbuser Gefangene, die sich wiederum in Häftlingskleidung stecken ließen, um neben allem, was in Cottbus singen kann und neben den Herren des Chores Cantica Istropolitana Bratislava im Chor mitzuwirken. „O welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben“ kam, zur Kunst gewandelt, wohl aus tiefstem Herzen. Die Cottbuser ehemaligen politischen Gefangenen sind überhaupt besondere Menschen. Sie kauften ihr Gefängnis, um es in eine Gedenkstätte zu verwandeln.

Noch einmal eindringlich der Chor, diesmal als Bild der Inszenierung: Als stumme Schattenrisse an die erleuchteten Gitterfenster gepresst, sehen alle Gefangenen, fassungslos erstarrt und noch nicht fähig zur Hoffnung für sich selbst, die Errettung Florestans. Mit einer kleinen, jedoch sehr wirkungsvollen Dialogpartie verstärkte und akzentuierte Martin Schüler den Anteil Leonores am glücklichen Ausgang von Beethovens Befreiungsoper noch einmal deutlich. Sie allein und nicht das Trompetensignal beherrscht den alles entscheidenden Augenblick. So kam der Jubelchor „Wer ein holdes Weib errungen“ diesmal mit aller berechtigten Inbrunst von der Bühne. Kein überforderter Minister bestimmte die kollektive Befreiungstat; die Heldinnen waren die tapferen Frauen der Gefangenen, den kubanischen „Damen in Weiß“ nachempfunden. Das Finale der handwerklich feinen Inszenierung, bei der es vor allem darauf ankam, den spektakulären Aufführungsort zu bedienen, geriet leider etwas plakativ. Per Video wird die Berliner Mauer erklommen, die Gefängnismauern zersprengen sich gleichsam selbst.

Craig Bermingham meisterte die gefürchtet hoch liegende Gesangspartie des Florestan bewundernswert. Er gestaltete einen gebrochenen Menschen, dessen Rückweg in ein normales Leben nach dem Freudenrausch schwer und langwierig sein wird. Miriam Gordon-Stewart hatte in der Befreiungsszene ihre wirklich großen, in Stimme und Körpersprache schier flammenden Leonoren-Momente. Jörn E. Werner war ein recht jugendlich wirkender Rocco, stimmlich kernig, schlank, geschmeidig – und viel zu fit für die dialogischen Anspielungen auf sein hohes Alter. Die Regie zeigte ihn als anständigen Kerl; auch im echten Zuchthaus soll es solche gegeben haben.

Nicht selten sind die Bösen die Besten in der Kunst. „Ha welch ein Augenblick“ – schäumendes, abgefeimtes Vorbild aller romantischen Schurken-Arien. Andreas Jäpel setzte als hervorragender Pizarro das sängerische Glanzlicht in dieser Produktion.

Irene Constantin

 

 

 

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