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Funktionen des Komischen
Musiktheater als Chance. Peter Konwitschny inszeniert. Hg. von
Anja Oeck und der Akademie der Künste. Berlin, 2008. 224 S.,
22 Euro
In Verdis Aida ersetzt ein Stofftier die obligate Elefantenparade,
Wagners Lohengrin ist in ein tobendes Klassenzimmer um 1900 verlegt,
Hans Sachs und die Meistersinger unterbrechen debattierend den
musikalischen Fortgang, und bei Schönberg reihen sich grinsende
Politikermasken in den rebellischen Tanz ums goldene Kalb.
Im Zuschauerraum
kommt es zu Buhs, Leute beginnen zu lachen – das Publikum
reagiert. Etwas auf der Bühne rührt ans Zwerchfell oder
verletzt ein Tabu, spricht also unverstellt drastisch und berührt
sinnlich. Brüche mit dem Gewohnten animieren dazu, bekannt
Geglaubtes mit anderen Augen zu sehen. Anja Oeck arbeitet diesen
psychologischen Wirkungsmechanismus als wesentlich für die
Inszenierungen von Peter Konwitschny heraus, der für sie aus
der Brecht-Linie stammt. Das weit gefächerte Instrumentarium
theatralen Verfremdens, das die Autorin auflistet und analysiert,
zielt in diesem Fall jedoch nicht nur auf ein Werke-Verständnis;
Theaterarbeit als Ganzes wird zum lebendigen Akt, sobald sie spielerisch
Grenzüberschreitungen zulassen kann. Humor ist ein Schlüsselbegriff
bei Konwitschny – die Autorin bestaunt und beschreibt ihn
bei Werkanalysen im Team, als Katalysator im Probenprozess, als
subversive Botschaft vieler Werke des Repertoires. Oeck bezieht
sich dabei hauptsächlich auf Konwitschny/Metzmachers letzte
Hamburger Jahre, das heißt auf die Inszenierungen von „Moses
und Aron“, „Don Carlo“ sowie „La Clemenza
di Tito“.
Anhand dieser Beispiele ganz grundsätzlich
die Facetten und Funktionen des Komischen (und des Tragikomischen)
in Konwitschnys Theater herauszuarbeiten, ist Gewinn und Verdienst
der neuen Buchpublikation. Peter Konwitschny setzt nach wie vor
Maßstäbe, selbst wenn er derzeit nicht viel neu inszeniert.
Ein aktuelles Interview mit ihm belegt, dass er das Inszenieren
noch immer als reale Möglichkeit ansieht (und praktiziert),
dem in vielen Bereichen grassierenden Sinn- und Werteverlust etwas
Lebbares, das heißt Lohnenswertes entgegenzusetzen.
Frank Kämpfer
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