|
Tänzer im Berufsverband
Vorbehalte und Vorteile einer Mitgliedschaft – Gespräche
mit Lisa-Maree Cullum, Vincent Loermans und Stefan Moser · Von
Barbara Haack
„Schwanensee“ am Bayerischen Staatsballett: Nicht
nur eine wunderschöne Aufführung, sondern auch Beweis
eines einzigartigen Kämpferwillens und höchster Trainingsdisziplin.
Solistin Lisa-Maree Cullum in der Titelrolle hat eine schwere Zeit
mit Knieverletzung und Operationen hinter sich. Dass sie heute
wieder in großen Rollen auf der Bühne steht, verdankt
sie in erste Linie sich selbst – aber auch der VdO, die sie
in ihrem Kampf gegen die Bürokratie tatkräftig unterstützt
hat. Über die Bedeutung des Berufsverbandes für Tänzer
und andere Fragen rund um das Tänzer-Dasein sprach Barbara
Haack mit Lisa-Maree Cullum, ihrem Tanzkollegen und Ehemann Vincent
Loermans sowie Stefan Moser, ebenfalls Ballettkollege und VdO-Vorstandsmitglied.
Ohne die VdO hätte es nicht funktioniert
Lisa-Maree Cullum, in Neuseeland geboren, erhielt ihr erstes
Engagement beim English National Ballet in London. 1990 wechselte
sie zum
Ballett der Deutschen Oper Berlin, 1998 kam sie zum Bayerischen
Staatsballett, wo sie 1999 Erste Solistin wurde. 1988 gewann Lisa-Maree
Cullum den ersten Preis beim Adeline Genée-Wettbewerb und
beim Prix de Lausanne. Von verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften
wurde sie zur „Tänzerin des Jahres“ gekürt,
und 2008 wurde sie zur Bayerischen Kammertänzerin ernannt.
Oper&Tanz: Lisa Cullum, Sie sind Erste Solistin des Bayerischen
Staatsballetts und als solche sehr erfolgreich. Vor gar nicht langer
Zeit sah es allerdings so aus, als müssten Sie Ihre Karriere
beenden. Was ist passiert?
Lisa-Maree Cullum: Ich hatte einen Unfall während einer Probe
und daraus resultierend eine sehr schwere Knie-Verletzung. Ich
musste zweimal operiert werden und konnte 13 Monate lang gar nicht
tanzen.
O&T: Dann sah es so aus, als
würden Sie gar nicht mehr
tanzen. Wie ging es weiter?
Cullum: Ich musste sofort operiert werden. Das
war meine Entscheidung, und es war die richtige Entscheidung. Aber
es gab immer das Risiko,
dass es nicht funktionieren würde.
O&T: Danach hatten Sie ein
bisschen Ärger mit Ihrer Krankenkasse.
Cullum: Das ist nett gesagt. Sie wollten mich
für berufsunfähig
erklären und nicht daran glauben, dass ich wieder auf der
Bühne stehen würde. Ich wurde zweimal zu einem Gutachter-Arzt
geschickt, und das Ergebnis hieß: Berufsunfähigkeit.
Das war keine schöne Erfahrung.
O&T: Sie haben aber offensichtlich
nicht klein beigegeben, sondern sich zur Wehr gesetzt.
Cullum: Wir haben erst sehr spät gemerkt, was da abläuft.
Dann sind wir sofort zu einem Anwalt gegangen. Der hat uns geraten,
dagegen zu kämpfen.
O&T: Offenbar waren Sie erfolgreich – gesundheitlich
und im Kampf gegen die Krankenkasse. Heute tanzen Sie wieder als
Erste Solistin. Wie verlief die Regeneration?
Cullum: Ich habe sehr viel Therapie gemacht. Ich
bin bei tollen Leuten gewesen, die mich sehr unterstützt und an mich geglaubt
haben. Es gibt immer Tage, an denen man glaubt, dass man es nicht
schafft. Aber ich wollte unbedingt wieder auf der Bühne stehen.
O&T: Sie hatten Unterstützung: Sie sind Mitglied der Vereinigung
deutscher Opernchorsänger und Bühnentänzer, der
VdO. Wie wurde Ihnen dort geholfen?
Cullum: Ich bekam finanzielle Unterstützung. Es war ja nicht
klar, ob es zum Prozess kommt. Das hätte sehr teuer werden
können, das hätte ich gar nicht bezahlen können.
Ohne die VdO hätte es nicht funktioniert.
O&T: Es ist nicht gerade selbstverständlich, gerade für
eine Tänzerin, noch dazu für eine Solistin, dass sie
in einem Berufsverband organisiert ist. Haben Sie gleich zu Beginn
Ihrer Karriere gedacht, dass das sinnvoll ist, oder war Ihnen die
Idee am Anfang ganz fremd?
Cullum: Als ich nach Deutschland kam, war ich
sehr jung und natürlich
nicht an solch einer Mitgliedschaft interessiert. Aber irgendjemand
hat mir geraten, in die VdO einzutreten, und ich dachte: Ja, das
ist vielleicht gut oder wichtig. Also machte ich mit. Inzwischen
bin ich schon sehr lange dabei.
O&T: Sind Ihre Kollegen am
Bayerischen Staatsballett auch organisiert?
Cullum: Ich glaube, es sind nicht genug. Tänzer sind immer
der Meinung: Wir brauchen so etwas nicht. Sie sind immer nur auf
das Tanzen konzentriert und sonst gar nichts. Die Karriere ist
sehr kurz und man möchte mit solchen Dingen keine Zeit verlieren.
Aber wie man sieht, kann jedem etwas passieren. Und dann steht
man ganz alleine da. Ich kann es nur jedem empfehlen – es
ist wichtig.
O&T: Haben Sie in der Zeit,
als Sie nicht tanzen konnten, darüber
nachgedacht, was Sie machen, wenn es nicht mehr klappt mit dem
Tanzen? Oder haben Sie den Gedanken komplett ausgeklammert?
Cullum: Für mich war das eine sehr schwierige Zeit. Ich war
noch nie vorher richtig verletzt gewesen. Das war für mich
eine ganz neue Erfahrung. Ich habe erst einmal gelernt, dass das
Leben weiter geht – auch ohne Ballett. Aber ich wollte mir
selbst unbedingt beweisen, dass ich stark genug bin, um wieder
auf der Bühne stehen zu können. Da hatte ich keine Energie,
an anderes zu denken. Ich war nur auf das Tanzen fixiert.
O&T: Als junge Künstlerin plant man eine möglichst
steile Karriere, die immer bergauf geht. Wie gehen Sie mit Rückschlägen
oder Problemen um? Welche Möglichkeiten haben Sie als Künstlerin,
sich selbst wieder aufzubauen – wenn es mal in die falsche
Richtung oder wenn es nicht schnell genug geht?
Cullum: Es soll bei uns immer schneller gehen.
Wir sind als Künstler
sehr ungeduldig und wollen immer möglichst sofort alles haben.
Ich hatte als junge Künstlerin sehr viel Glück und wurde
von Menschen unterstützt, die an mich geglaubt haben. Ich
habe auch sehr viel für die Karriere aufgegeben. Ich lebe
sehr weit weg von meiner Familie und war erst 14, als ich von zu
Hause wegging. Für mich ist die Familie sehr wichtig, aber
wenn sie am anderen Ende der Welt ist, ist das schwierig.
O&T: Denken Sie darüber nach, was Sie machen werden, wenn
Sie nicht mehr tanzen können?
Cullum: Schon, aber das ist für mich eine schwierige Frage.
Ich will – und das ist wahrscheinlich falsch – meine
letzten Jahre als Tänzerin richtig genießen. Es kommt
früh genug, dass man aufhören muss. Als Tänzer ist
man leider viel zu jung, wenn man „am Ende“ ist. Aber
ich will auf jeden Fall eine Familie haben. Ich würde gerne
in der Ballett-Welt bleiben. Ich mache sehr gern Coaching mit jungen
Leuten, aber ich will nicht unbedingt Ballettmeisterin werden.
Dafür bedarf es einer bestimmten Persönlichkeit, und
ich glaube nicht, dass ich dafür die Richtige bin.
O&T: Eine Frage zur heutigen
Aufführung: Nehmen Sie das
Publikum wahr, spüren Sie Strömungen im Publikum? Haben
Sie ein Gefühl dafür, wie das Publikum die Vorstellung
aufnimmt?
Cullum: Heute war eine extreme Spannung in der
Aufführung,
es waren viele Kinder da. Das ist immer sehr schön. Die haben
einen ganz anderen Weg, ihre Freude zu zeigen. Heute war auch die
letzte Schwanensee-Aufführung. Ich habe es richtig genossen,
auf der Bühne zu sein, und die Kinder haben das toll unterstützt.
O&T: Es stört nicht, wenn es ein bisschen unruhiger und
lauter ist?
Cullum: Nein, gar nicht. Es ist schön, dass sie mitmachen.
Es ist wichtig, dass wir stark sind
Vincent Loermans wurde in Holland geboren und begann mit 14 Jahren
seine Ausbildung an der Tanzakademie Brabant. 1990 wechselte
er an die Ballettakademie München/Heinz-Bosl-Stiftung. 1993
erhielt er ein Engagement beim Bayerischen Staatsballett. 2004
erfolgte die Ernennung zum Demi-Solisten.
Oper &Tanz: Vincent Loermans, Sie sind Demi-Solist, ebenfalls
am Bayerischen Staatsballett. Was heißt das genau?
Vincent Loermans: Ich war Gruppentänzer und hatte viele solistische
Rollen. Vertraglich ist es so, dass jede dieser Rollen extra honoriert
wird. Wenn man ziemlich viele dieser Solo-Rollen tanzt, wird man
für das Haus sehr teuer. Ich nehme an, dass das Theater mich
gerne in diesen Charakter-Solorollen haben wollte und mir deshalb
den Halb-Solo-Vertrag gegeben hat. Das bedeutet: Man bekommt pro
Monat ein bisschen mehr Geld, wird aber nicht mehr extra honoriert
für die einzelne Solo-Rolle. Ich habe das aber auch als Anerkennung
gesehen: Man fand mich gut genug, um diese Rollen tanzen zu können.
O&T: Sie sind in der VdO nicht
nur Mitglied, sondern auch stellvertretender Ortsdelegierter. Was
ist da Ihr Job?
Loermans: Im Moment noch sehr wenig, weil der
Ortsdelegierte einen Superjob macht. Ich versuche, die Tänzer dazu zu bringen,
Mitglied zu werden und ihnen klar zu machen, welche Vorteile das
hat. Oft sehen sie nur die Nachteile…
O&T: … sie müssen etwas zahlen...
Loermans: Sie müssen etwas zahlen. Das ist aber nicht viel.
O&T: Und die Vorteile?
Loermans: Vorteile hat man zum Beispiel bei Unfällen: Sie
können so leicht passieren. Es ist so wie mit Versicherungen.
Man braucht sie lange Zeit nicht. Aber dann braucht man sie mal
und ist froh, dass man sie hat.
Ein zweiter Punkt: In dieser Zeit, in der das Geld knapp wird,
muss überall gespart werden. Man sieht es in den Medien: Streik
hier, Streik da. Es wird Einschnitte geben, man wird sicher von
den Arbeitnehmern Verzichte fordern, auch von den Künstlern.
Wenn eine Gewerkschaft nicht stark genug ist, kann man nicht viel
dagegen machen. Deshalb sage ich den Tänzern: Du tust es nicht
nur für Dich. Es ist wichtig für alle Tänzer, für
alle Künstler in Deutschland, dass wir stark dastehen. Die
Zeiten werden schwieriger.
Ich stoße aber oft auf taube Ohren, denn wir haben es mit
jungen Tänzern zu tun, manche nicht älter als 18, 19
oder 20 Jahre. Und die verstehen das nicht.
O&T: Die VdO hat vor kurzer
Zeit ein Symposium veranstaltet zum Thema „Tanz Transition“. Da geht es um die Frage,
was Tänzer tun, wenn sie nicht mehr tanzen können. Machen
Sie sich darüber Gedanken – wenn es um Ihre eigene Karriere
geht?
Loermans: Schon seit Beginn meiner Karriere mache
ich mir darüber
Gedanken.
O&T: Das ist doch eher selten,
dass Tänzer von Anfang
an über diese Frage nachdenken?
Loermans: Ja, wahrscheinlich. Es gibt aber auch
Niveau-Unterschiede. Lisa zum Beispiel tanzt seit ihrem 4. Lebensjahr
und konnte es
von Beginn an. Es ist ihr in die Wiege gelegt. Sie macht natürlich
weiter: Wieso aufhören mit etwas, das man sehr gut kann? Ich selbst habe erst viel später angefangen. Ich war Sportler,
die Kunst war in meiner Familie aber auch wichtig. Ich war häufig
verletzt, bin viel in Kontakt mit Physiotherapeuten und Ärzten
gekommen. Ich musste mehrfach meine Technik umstellen. Dabei lernt
man, immer wieder zu analysieren, was beim Ballett oft störend
wirkt: Man wird langsamer, denkt zu viel nach. Das ist nicht gut
für das Tanzen. Ich musste das tun, weil ich mich ständig
umstellen musste. Dadurch ist mein Interesse für Physiotherapie,
für die gesundheitliche Seite von Tanz, Sport und Bewegung
gewachsen. Mein Plan B war immer die Physiotherapie.
O&T: Wollen und werden Sie
das auch umsetzen?
Loermans: Bis vor kurzem war es immer mein Plan
B, zurück
nach Holland zu gehen und dort Physiotherapie zu studieren. Dann
ist etwas Dummes passiert: Ich habe geheiratet. Meine Pläne
haben sich verändert. Ich will aber immer noch in diese Richtung
gehen. Solange ich noch hier beim Ballett bin, versuche ich das
Ballett gesünder zu machen. Es kommen immer ein paar Kollegen,
die mir dazu Fragen stellen. Solange ich noch trainieren kann,
nutze ich die Zeit, um Dinge praktisch auszuprobieren, das heißt,
die Theorie zu testen und herauszufinden, wie wir sie als Tänzer
umsetzen können.
O&T: Wie wollen Sie jetzt Ihre
physiotherapeutischen Pläne
umsetzen? Gibt es ein solches Studium auch in Deutschland?
Loermans: Ein Physiotherapiestudium ist ein Vollzeitstudium.
Das geht bei mir nicht. Ich kann ja noch tanzen. Ich habe also
nach
einer Möglichkeit gesucht, mich in dieser Richtung fortzubilden.
Dann kam ein Freund, der schon lange als Physiotherapeut arbeitet,
und wollte mich als Trainer anstellen. Das hat mir den letzten
Anstoß gegeben. Ich habe ein Fernstudium gefunden als „Lehrer
für Fitness“. Der Begriff „Fitness“ stört
mich allerdings ein bisschen: Es geht dabei viel um Anatomie, Trainingswissenschaft,
Physiologie, Fragen der Ernährung und der Regeneration. Das
sind alles Fragen, die wir als Tänzer praktisch erlebt haben.
Es macht einen Riesenspaß, jetzt die Theorie zu lernen und
zu sehen, dass man das alles bereits praktisch gemacht hat und
nun die Zusammenhänge versteht.
Nicht warten, bis es zu spät ist
Stefan Moser ist Tänzer am Bayerischen Staatsballett, Personalratsvorsitzender
der Bayerischen Staatsoper und außerdem Bundesvorstandsmitglied
der VdO.
Oper&Tanz: Sie sind selbst auch Tänzer und engagieren
sich, um die Kollegen davon zu überzeugen, in die VdO einzutreten.
Das ist aber bisher noch schwierig. Liegt es daran, dass Tänzer
sich nicht gerne organisieren – oder tut die VdO vielleicht
zu wenig für Tänzer?
Stefan Moser: Auf den zweiten Teil der Frage kann
ich mit einem klaren „Jein“ antworten. Was in der Vergangenheit zum
Teil versäumt wurde, ist die aktive Integration der Tänzer,
nicht nur als Mitglieder, sondern auch als engagierte Mitarbeiter
in der VdO. Aber es ist relativ schwierig, Tänzer zu organisieren,
weil sie viele Gründe haben, sich nicht organisieren zu lassen.
Einer der Gründe: Es gibt viele Tänzer, vor allem Solisten,
die sagen: Ich bin, wer ich bin. Und das, was ich mit meinem Ballettdirektor
aushandeln oder absprechen will, mache ich unter vier Augen. Ich
brauche niemanden, der mich vertritt. Das hat sich leider allzu
häufig als Fehleinschätzung herausgestellt, aber dann
ist es meistens zu spät.
Ein anderer Grund: Viele unserer Kollegen aus dem Tanzbereich kommen
aus dem Ausland, so dass es möglicherweise auch Sprachbarrieren
gibt. Wenn ich jemanden überzeugen will, in einem Berufsverband
Mitglied zu werden, dann muss ich ihm diesen Verband erst einmal
erklären. Das wird dann entsprechend schwerer.
Die Jugend der Tänzer, in Verbindung mit der kurzen Dauer
ihrer Karriere, spielt auch eine Rolle. Ein Tänzer ist von
Anfang an von seiner Arbeit absolut in Anspruch genommen. Da ist
nicht viel Zeit für irgendetwas anderes, schon gar nicht,
wenn es dabei um Tarifverträge, Paragrafen, Gesetze geht.
Mir ging es ähnlich: Ich bin mit 20 Jahren hierher gekommen.
Da hat es mich zunächst nicht interessiert, ob es einen Tarifvertrag
gibt oder Gesetze. Ich wollte tanzen.
Dann gibt es einen weiteren Grund, über den ich mich häufig ärgere.
Das sind gewisse Vorbehalte der Tänzer gegenüber einer
Mitgliedschaft in einem Berufsverband, weil sie sagen: „Es
wird von meinem Ballettdirektor bestimmt nicht gerne gesehen, dass
ich mich engagiere oder Mitglied in einer Interessenvertretung
werde.“
O&T: Ist das tatsächlich so?
Moser: Es hat bisher keine spürbaren Nachteile gegeben. Aber
ein solches Denken hat sich im Laufe der Zeit in den Köpfen
einiger Ballettdirektoren, Intendanten oder anderer Führungspersönlichkeiten
festgesetzt. Man braucht immer ein gemeinsames Feindbild, da gibt
die Gewerkschaft, die Interessenvertretung der Arbeitnehmer, ein
dankbares Feindbild ab. Das ist mehr oder weniger irrational, denn
wir haben genügend Beispiele, wo es gut funktioniert, zum
Beispiel auch hier beim Bayerischen Staatsballett. Zu unserem Ballettdirektor
Ivan Liska habe ich inzwischen ein relativ friedliches und harmonisches
Verhältnis. Wir arbeiten zusammen, so weit das möglich
ist, und vertreten trotzdem weiterhin die Interessen der jeweiligen „Seiten“.
O&T: Wenn alle vertreten sind,
dann kann es keine Schikane gegen Einzelne mehr geben…
Moser: … ja, das ist richtig. Aber man muss versuchen, das
auch den Ballettdirektoren verständlich zu machen, damit von
dort nicht das Signal kommt: „Geht bloß nicht in die
Gewerkschaft, denn es könnte einen Nachteil für eure
künstlerische Karriere bedeuten.“
Es gibt noch einen – ganz paradoxen – Grund, nicht
in die VdO einzutreten. Wie gesagt: Viele unserer Kollegen kommen
aus dem Ausland. In vielen Ländern wird man automatisch mit
dem Abschluss eines Arbeitsvertrags auch Mitglied einer Gewerkschaft.
Da kommen also die Leute nach Deutschland und wissen zum Teil gar
nicht, dass das hier anders ist, dass es hier einer gewissen Eigeninitiative
bedarf, um sich einem solchen Interessenverband anzuschließen.
O&T: Eine der jüngsten Aktivitäten der VdO war das
Symposium „TanzTransition“ in Berlin zu der Frage:
Was machen Tänzer, wenn sie nicht mehr auf der Bühne
stehen? Was raten Sie den Kollegen? Was muss passieren, damit diese
Frage frühzeitiger und für die Tänzer befriedigender
beantwortet werden kann?
Moser: Es gibt eine Initiative, die in Richtung
eines Transition Zentrums „Tanz in Deutschland“ geht. Ein solches Zentrum
soll am Anfang der Übergangsphase eine Anlaufstelle für
Tänzer sein, bei der sie sich informieren, möglicherweise
auch finanziell unterstützen lassen können, um ggf. eine
Umschulung zu finanzieren oder eine Existenzgründung auf die
Beine zu stellen. Das ist eine sehr förderungswürdige
Idee.
Langfristig muss das Bewusstsein der Tänzer frühzeitig
auf diese Frage gelenkt werden. Das kann aber nicht nur Aufgabe
der VdO oder der Tänzer selbst sein. Das muss unbedingt auch
Aufgabe der Ausbildungsstätten sein, das heißt der staatlichen
oder staatlich anerkannten Ballettschulen. Auch die sind in der
Pflicht, bereits im Früh-Stadium auf das Problem aufmerksam
zu machen, eventuell auch unterstützend tätig zu sein.
Beispielsweise mit einer dualen Ausbildung, wie es bei Spitzensportlern
schon gemacht wird. Und es sind auch die Arbeitgeber in die Pflicht
zu nehmen. Es ist ein Teil der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers,
die Tänzer in dem Moment zu unterstützen, in dem sie
selbst anfangen, sich Gedanken zu machen. Oft ist es aber so, dass
gerade ein Ballettdirektor, der merkt, dass in eine andere Richtung
(mit-)gedacht wird als nur 150-prozentig an das, was am Abend auf
der Bühne stattfindet, das skeptisch beäugt.
Jeder Tänzer sollte aber einen zeitlichen Rahmen und eventuell
sogar finanzielle Unterstützung bekommen, um sich vorzubereiten
auf diesen zweiten Lebensweg, auf dieses zweite Leben nach der
Tänzerkarriere.
|