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Namen & Fakten

Kein Interesse an Limonadenmusik

Bremer Theaterchor: Balkis Mele und Heinrich Bröckerhoff

Wie schätzen Sie die bisweilen zu hörende Meinung ein, Chorsänger und Chordirektoren hätten oft gar kein Interesse an Neuer Musik?

Balkis Mele: Dass von den Sängern ein bisschen geschimpft wird, ist ganz normal. Wenn die modernen Stücke gründlich einstudiert werden, wenn den Sängern wirklich etwas abgefordert wird und es dann zu einem gelungenen Ergebnis kommt, hat es im Nachhinein auch Spaß gemacht. Es ist übrigens erstaunlich, wie leicht man sich als Sänger sehr schwierige Chorstellen merken kann. Erst denkt man, das geht nie und nimmer, zum Beispiel Töne zu finden, bei denen man keinen Haltepunkt im Orchester hat. Doch durch Übung prägt sich das dem Körper und der Stimme ein. Es ist nicht schwierig, sich eine atonale Melodie genau zu merken. Gefahr droht von anderswo her: Ich beobachte an vielen Häusern auf der Leitungsebene eine große Scheu, überhaupt noch ein Wagnis einzugehen. Insofern stimme ich der Kritik von Herrn Hespos an der Historisierung der Opernwelt zu (siehe „Oper&Tanz“ 1/2009). Dass der Neuen Musik so wenig Interesse entgegengebracht wird, finde ich sehr schade. Sie ist ein großartiger Spiegel unserer Zeit. Wir regen uns über vieles auf, was in Politik und Gesellschaft nicht in Ordnung ist, aber wenn man die zeitgenössische Musik mal untersucht und ihr zuhört, entdeckt man, wie sie das alles reflektiert.

Heinrich Bröckerhoff: Genauso wenig wie die Oper ohne Mozart und Verdi überleben wird, kann sie natürlich ohne zeitgenössische Werke weiter existieren. Dagegen werden wir viele Komponisten, die im 19. und 20. Jahrhundert von den Menschen begeistert gehört wurden, vergessen.

 
Balkis Mele (Chorvorstand) und Heinrich Bröckerhoff (VdO-Ortsdelegierter) vom Theaterchor
 

Balkis Mele (Chorvorstand) und Heinrich Bröckerhoff (VdO-Ortsdelegierter) vom Theaterchor
Bremen. Foto: Daniel Ratchev

 

Werden Chorsänger Ihrer Auffassung nach durch das Studium ausreichend auf die Aufgabe, Neue Musik zu interpretieren, vorbereitet?

Mele: Ich habe in Bremen studiert, wo wir einen Professor für Musikgeschichte hatten, Nicolas Schalz, der sich sehr um die moderne Musik bemüht hat. Und ich muss zugeben, ich wollte als Sängerin damit nichts zu tun haben. Ich hatte unter meinen Gesangslehrern aber auch niemanden, der mich in diese Richtung motiviert hätte. Heute würde ich das Zeitgenössische viel stärker einbeziehen. Ich empfinde es als sehr befreiend, die Stimme auch einmal spontan, quasi improvisierend zu benutzen, und nicht in den vergleichsweise engen Bahnen der klassischen Musik zu verharren. Dadurch zum Beispiel werden dem Stimmorgan Funktionen abverlangt, die einer Sängerin auch gesangstechnisch viel helfen können, mit ihrem Instrument umzugehen.

Bröckerhoff: Ich bin skeptisch, ob man das wirklich schon in der Ausbildung so stark beachten sollte. Wesentlich ist zunächst, singen zu lernen. Dann wird der Beruf oder die Zeit zwischen Studium und Beruf schon zeigen, wie man der modernen Musik begegnet. Ich bin ganz froh, dass ich in meiner Laufbahn erst einen gewissen stimmlichen Erfahrungsschatz sammeln durfte, bevor ich mit zeitgenössischen Opern konfrontiert wurde.

Wie strahlt die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik auf die Arbeit am Repertoire zurück?

Bröckerhoff: Was die Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen Opern betrifft, nimmt für mich die zeitgenössische Musik keine Sonderstellung ein. Der Austausch zwischen Repertoire und Avantgarde ist genauso belebend wie der Wechsel von einer Barockoper zu Puccini oder Wagner. Im Übrigen müssen wir ja nicht so tun, als ob „Lohengrin“ zu singen nicht auch anstrengend wäre.

Welche Erwartungen haben Sie als Chorsänger/Chordirektor an neu komponierte Opern?

Bröckerhoff: Sie sollen singbar sein und ich muss eine emotionale Beziehung zu dem, was ich singe, entwickeln können. Weder möchte ich einfach nur Geräusche produzieren, noch habe ich Interesse an Limonadenmusik.

Mele: Mir ist wichtig, dass ich weiß, warum ich etwas von mir gebe. Nichts ist schlimmer, als wenn man etwas machen muss, das nicht von irgendeiner Art von Ausdruck getragen wird. Sonst bin ich eigentlich für alles offen.

Auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten erweitern einige Komponisten die Palette der stimmlichen Anforderungen bis hin zu einem Singen am Stimmrand inklusive Keuchen, Krächzen und Schreien. Sehen Sie hier Grenzen oder Gefährdungen für den Beruf des Opernchorsängers?

Mele: Es kommt auf die Dauer an: Wie lange soll ich im Stück schreien, mich räuspern oder hörbar Luft ein- und ausatmen? Habe ich Pausen dazwischen? Kann sich meine Kehle wieder erholen und zwar sowohl innerhalb der Aufführung als auch in Hinblick auf die nächste Vorstellung? Die Kehle an sich ist sehr belastbar. Nur ist ein Opernchorsänger fast immer ziemlich eingespannt und hat nicht viele Möglichkeiten, seine Stimme so geschmeidig und flexibel zu halten, wie ein fortgeschrittener Hochschulstudent, der ein experimentelles Musiktheaterprojekt stimmlich unbeschadet übersteht, da er noch viel Zeit zum Üben hat. Es wird oft unterschätzt, was ein Opernchorsänger eigentlich stimmlich leistet. Wie sonst kein Solist springt er von einem Stil zum anderen. Und wenn er dann noch bis zu sechs Vorstellungen in der Woche singt und dazwischen natürlich auch Proben hat, fehlt die Zeit für die Stimmpflege. Das sind Dinge, die man mehr beachten muss.

Bröckerhoff: Abgesehen von den vielleicht höheren künstlerisch-intellektuellen Anforderungen ist entscheidend, wie vom Komponisten die Stimme eingesetzt wird. Ist das noch gesund für uns? Wir haben Uraufführungen von Giorgio Battistelli oder Detlev Glanert erlebt, die sich ganz normal wie Werke des 19. Jahrhunderts singen ließen. Ein wichtiges Kriterium ist für mich: Kann ich meine Stimme so nutzen, wie man das als Sänger, der klassisch ausgebildet ist, gewohnt ist? Oder handelt es sich um eine reine, möglicherweise sogar gefährliche Geräuschproduktion? Manches ist einfach zu abstrakt, zu konstruiert, dann wird es schwierig. Doch glaube ich letztendlich nicht, dass moderne zeitgenössische Musik notwendigerweise gegen die Stimme geschrieben sein muss.

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