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Leuchtendes Chor-Espressivo
Schönbergs „Moses und Aron“ in Düsseldorf · Von
Christian Tepe
Wie vielen Opernschöpfungen des 20. Jahrhunderts hat man
nicht das Etikett einer Anti-Oper aufgeklebt? Doch im Vergleich
zu den Stücken Kurt Weills oder Mauricio Kagels kommt wohl
allein Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ dieses
Prädikat zu Recht zu. Wenn Schönberg die philosophische
Frage, wie denn der reine Gottesgedanke unverfälscht vermittelt
werden kann, durch die sinnliche Kunstform der Oper darzustellen
trachtet, zieht das eine unauflösbare Diskrepanz zwischen
Inhalt und Form nach sich. Jeder Regisseur, der sich an das Werk
heranwagt, wird an dieser Problematik Schiffbruch erleiden müssen.
Die Frage ist nur: wie?
Wo der Wille zum Wagnis und der Mut zum Scheitern gesucht sind,
haben sich Regisseur Christof Nel und sein Bühnenbildner Roland
Aeschlimann in ihrer Düsseldorfer Neuinszenierung dafür
entschieden, die theologischen Klippen des Stückes bequem
zu umschiffen, indem sie Schönbergs religiöses Bekenntniswerk
zu einem Volksdrama vereinfacht und verweltlicht haben. Die Ereignisse
um den Auszug ins gelobte Land zerlaufen in vagen und konturlosen
Traumbildern. In der Fremdartigkeit und Unkenntlichkeit der Traumvorgänge
mit ihren geheimnisvollen Wesensspaltungen und Metamorphosen erscheint
zwar auf abstrakte Weise der Rätselcharakter des Werkes. Doch
was Nel in dieser an sich klug gewählten Form erzählt,
ist nur die weltimmanente Tragödie der menschlichen Kultur
als ziellose ewige Wiederkehr von Revolte, Anarchie und Aufbruch.
Aeschlimanns klaustrophobe Bühnenarchitektur mit aufwändiger
Wendeltreppe ins Nirgendwo suggeriert eine resignative Atmosphäre
zeitloser Verlassenheit und Abgeschiedenheit, auf die der Strahl
des Gottesgedankens, wenn überhaupt, nur als matte Illusion
trifft. Alles geschieht wie in Trance, selbst der Tanz um das Goldene
Kalb ist von jeder Erinnerung an Obsessives, Wildes und Ekstatisches
gereinigt. Mitleidsvoll liebkost die Menge einige der Kultopfer
und auch Aron ehrt sie mit zärtlicher Trauer. Den Tod des
als sympathischen Philanthropen porträtierten Hohepriesters
zieht Nel aus dem von Schönberg nicht mehr komponierten dritten
Aufzug in die letzte Szene des zweiaktigen Opernfragments vor,
so dass Moses’ berühmter Verzweiflungsausbruch „O
Wort, du Wort, das mir fehlt!“ nun auf den toten Bruder zielt,
den ihm die Stimme aus dem Dornbusch einst als Mittler des abstrakten
Gottesgedankens zugewiesen hatte. Diese Lösung des Schlusses
ist charakteristisch für Nels humanistische Reduktion der
theologischen Thematik. Wer aber ist Moses? Wer hat ihn geschickt?
Darüber übt sich Nel in Diskretion.
Einen starken Gegensatz zum schwachen Puls der Inszenierung bildet
die lebendig fließende musikalische Ausdeutung unter Wen-Pin
Chien am Pult der Düsseldorfer Symphoniker. Wer noch immer
behaupten sollte, dass die Musik der Zwölftonoper „Moses
und Aron“ nicht wirklich berührt, wird durch Chiens
Dirigat Lügen gestraft. Da ist kein einziger Ton, der keinen
Ausdruck besitzt. Gewissenhaft fächert Chien die monumentale
Riesenpartitur auf, koordiniert präzise die Gesangs-, Sprech-
und Instrumentalstimmen, nimmt Rücksicht auf die Sänger,
ohne das Orchester zu schwächen. Das Ergebnis ist eine Klangevidenz
von hoher Prägnanz und Tonschönheit.
Mit der Chorpartie dokumentiert Schönberg eindrucksvoll,
wie weit die Aussagekraft eines Opernchores noch über die
Möglichkeiten einer großen Solopartie hinaus gesteigert
werden kann. Auf dem Fundament einer sicheren Intonationsreinheit
hat Chordirektor Gerhard Michalski den Chor und Extra-Chor der
Deutschen Oper am Rhein zu disziplinierter rhythmischer Schlagkraft
und einer fein nuancierten Dynamik angeleitet. Noch die vertracktesten
polyphonen Zaubereien kulminieren in einem leuchtenden Espressivo,
das bei aller Ausdrucksmacht, zumal im Schönberg’schen
Sprachdeklamato, sich nicht gegenüber dem musikalischen Kontext
verselbständigt. Die Partie des Moses hat Schönberg fast
durchgängig als Sprechstimme fixiert. Bravourös meistert
Michael Ebbecke den diffizilen Balanceakt, die vom Komponisten
bezeichneten Tonhöhen in eine Sprechmelodie umzuwandeln, ohne
dabei unmerklich in sonoren Wohlklang überzugleiten. Letzterer
bleibt die vokale Signatur Arons, die Wolfgang Schmidt mit seinem
schlanken, geschmeidigen Tenor nachzeichnet.
So kann man der dezenten Inszenierung wenigstens zugute halten,
dass sie die Kontemplation über den Formenreichtum und die
Schönheit der Komposition nicht durch ein hybrides Regiespektakel
erschwert hat. Der musikalische Gedanke blieb an diesem Abend gleichsam
rein und bei sich. Aus dem Opernfragment wurde beinahe wieder ein
Oratorium.
Christian Tepe
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