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Lebhaft und zupackend
Henning Paar, Tanzchef am Gärtnerplatztheater · Von
Malve Gradinger
„Eine Karriere der kleinen Schritte“, so bezeichnet
Henning Paar seine Tänzerlaufbahn mit Start bei Philippe Talard
in Ulm und folgenden Engagements bei Bernd Schindowski in Gelsenkirchen
und Istvan Herzog in Dortmund. Betont aber dabei, er habe immer,
und das schon ganz früh, gleichzeitig choreografiert. Dass
bereits in dem 18-Jährigen eine kreative Unruhe rumorte, bestätigt
eine Anekdote aus seiner Ausbildungszeit an der Münchner Ballettakademie/Heinz-Bosl-Stiftung
unter Chefin Konstanze Vernon: „‚Henningchen, mach‘,
ermutigte mich Konstanze, als ich ihr von meinem Plan für
eine Choreografie erzählte“. Das frisch gewagte Stück
wurde beim Choreografen-Wettbewerb von Hannover ausgezeichnet und
1987
in der Heinz-Bosl-Ballett-Matinee im Münchner Nationaltheater
getanzt. So früh auch schon hatte Paar „den geheimen
Wunsch, einmal ans Münchner Gärtnerplatztheater zu kommen“.
Und genau dort ist der 41-jährige Paar jetzt. Zu Saisonbeginn
2007/08 führte er sich mit der Uraufführung von „Les
Autres“ („Die Anderen“), einem Abendfüller über
Frankreichs „poète maudit“ Jean Genet (1910–1986),
erfolgreich als Tanzchef und als Vertreter eines erzählenden
Tanztheaters ein. Seine hochkarätig besetzte Aids-Gala zum
Welt-Aidstag am 1. Dezember, hierorts die erste dieser Art, setzte
auch gleich ein engagiertes gesellschaftliches Zeichen.
Keine Verschlechterung
Eine Operetten-Tanzcompagnie oder gar eine Streichung des Tanzensembles,
wie sie die Schwarzmaler vorhersehen wollten im Vorgeplänkel
des Intendantenwechsels von Klaus Schultz zu Ulrich Peters – einem
erklärtermaßen auf Auslastung programmierenden Theaterchef – ,
davon kann wirklich nicht die Rede sein. Paars Tänzer waren
nicht einmal in der am 12. Januar zur Premiere gekommenen Phil-Glass-Oper „Die
Schöne und das Biest“ eingesetzt, obwohl Regisseurin
Rosamund Gilmore, ehemals Chefin des Laokoon Tanztheaters, extrem
viel (und übrigens gekonnt in die Oper integriert) tanzen
ließ, aber eben durch eigens für diesen Glass engagiertes
Personal. Und Paar weiter mit konkreten Zahlen: „Ich habe
20 Tänzerstellen, also nicht weniger als mein Vorgänger
Philip Taylor, besetze aber nicht alle. Mit dem freien Geld kann
ich jonglieren, mir gewisse Choreografen leisten, zum Beispiel
jetzt im Februar einen William Forsythe.“
Solche Vorhaben sehen nicht nach anpasserischer Dienstleistung
aus, eher nach kluger Langzeitplanung. Überdies bewies sein
Ensemble, dass es tanztechnisch dem zu Recht gerühmten Vorgänger-Ensemble
in nichts nachsteht. Was aber, das sei hier mal ganz nüchtern
gesagt, weder Verdienst des einen noch des anderen Tanzchefs ist.
Heute sind Tänzer, vor allem in den modernen und zeitgenössischen
Stilen, so hervorragend ausgebildet, dass die Ensemble-Leiter nur
zuzugreifen brauchen. Harte Schule in der Provinz
Wie auch immer, Paars beachtlicher hochprofessioneller Start überraschte
manchen in der Münchner Tanzszene. Hat er doch „nur“ Tanzdirektionen
in Kassel und Braunschweig vorzuweisen – aus Münchner
Sicht eher Provinz. Aber die so genannte Provinz ist, wie man weiß,
eine harte und sehr gute Schule. Bei Bernd Schindowski, bei dem
er fünf Jahre tanzt, bekommt er auch gleich die Chance, für
das Ensemble zu choreografieren, Profi-Erfahrungen, die ihm nach
einem einjährigen Ausflug nach Brasilien sofort wieder Choreografie-Aufträge
in Detmold und Nordhausen verschaffen. Ganz schön viele Wechsel?
Paar zählt nach, grinst: „Ja, ich bin 16 mal umgezogen.“ Das
ist ihm bei seiner Energie wohl nicht schwer gefallen.
Eigentlich hätten ihn seine Eltern, beide musizieren zu Hause,
eher in einer Pianisten-Karriere gesehen. Bereits mit fünf
bekommt er Klavierunterricht. Aber das Stillsitzen fällt dem
quecksilbrigen Jungen schwer. Als er mit sechs im Staatstheater
Kassel sein erstes Ballett sieht, „Schneewittchen“,
mit Deutschlands damaligem Star-Ballerino Heinz Bosl (1946–75)
als Gast, fängt er Feuer. „Meine Mutter erzählte
mir, ich sei in der Pause permanent durchs Foyer gesprungen“,
erzählt Paar mit Lausbubenlachen.
Gesittet strenge Form
Sein lebhaftes, zupackendes Temperament drückt sich auch unmittelbar
in seiner choreografischen Dynamik aus. Sein erdhaft-rustikaler,
skurriler Bewegungsduktus ist sichtbar vom schwedischen Meister
Mats Ek beeinflusst. Auffallend dabei, dass er vielfältig
spannend phrasiert: einerseits im Dialog mit der Musik, für
die er dank früher Schulung ein feines Gehör entwickelt
hat; zugleich aber ganz pointiert aus dem Impuls heraus, etwas
zu erzählen, den Zuschauer an Gefühl und Verstand zu
packen: „Es gibt Choreografen, auch gerade jetzt Marco Goecke,
der hier für uns choreografiert, die haben ihren Stil. Wenn
man eine Arbeit von ihm sieht, weiß man: Das ist ein Goecke.
Ich gehe aus vom literarischen Hintergrund oder dem Stück,
das ich gerade mache. Dementsprechend wähle ich den Stil oder
die Körperform, um das auszudrücken, was ich ausdrücken
möchte.“
Genet, den kriminellen Vagabunden, Fremdenlegionär, Advokaten
der Ausschweifung und dann vielschichtig schreibenden Dichter,
als Gegenstand von Tanztheater hätte man allerdings eher einem
Alt-Tanzrevoluzzer wie Hans Kresnik zugeordnet. Der ebenfalls lustvoll
provozierende britische Performer Lindsay Kemp inszenierte 1971
eine sexorgiastische, bluttriefende Pantomime zu Genets erstem
Roman „Notre-Dame-des- Fleurs“ (1948), die in den 80er-Jahren
auch hierzulande gastierte. Auf den selben – nach seiner
schwulen Hauptfigur betitelten – Roman nimmt (neben „Querelle
de Brest“) auch Henning Paar Bezug. Eine Transvestiten-Schockperformance à la
Kemp allerdings kann Paar sich im bürgerlich-lauschigen Gärtnerplatztheater
nicht gestatten. Er findet stattdessen zu einer gesittet-strengen
Form, die Genets Obszönitäten behutsam abstrahiert, auch
die lyrische Seite aufleuchten lässt. Zu einer in sich geschlossenen
Form, nicht zuletzt dank einer geschickten Musikdramaturgie: atmosphärisch
bedrückende Soundcollagen und Bach, Kagel, Satie sowie weitere
jüngere Komponisten, gespielt von einem Live-Akkordeon – Frankreich
ist da gleich ganz nah. Für die Innenwelt Genets steht Kammermusikalisches
von Piano und Flöte.
Das Stück beginnt in der Besserungsanstalt Mettray, wo der
uneheliche Genet aufwächst. Die Bühne dafür hat
Paar mit entworfen: eine düstere Stätte mit vielen sich
später zu Knast und Rotlichtviertel verschiebenden Türkästen.
Hier schon kann er sehr gut Motive aus Genets Romanen und seiner
Vita überblenden: die Einsamkeit des auf sich selbst zurückgeworfenen
Kindes, die nächtlichen Liebesbedürfnisse im Großraum-Schlafsaal,
die Machtkämpfe innerhalb der Gruppe und die knebelnde Überwachung
durch die Heimwärter. Bei Paar ist das ein schwarzes Schatten-Trio,
das mit surreal bedrohlich verlängerten Armen die insgesamt
expressionistisch wirkende Anstaltsatmosphäre noch betont.
Im Kontrast dazu ist die „Verführung zur Homosexualität“ aus
dem „Notre-Dame“-Roman licht und lyrisch gehalten.
Es ist, ganz nebenbei, mit die schönste und (von Loni Landon,
David Russo, Sebastian Nichita) sehr anrührend getanzte Szene. Bereicherung für die Stadt
Kontraste, Abwechslung, Spannungsbögen zu schaffen, nach literarischen
Materialien und Vorlagen Tanz-Szenen zu „bauen“, da-rin
hat Paar langjährige Übung. Im Juni wird man sein überarbeitetes „Romeo
und Julia“ sehen können: „Die Klassiker, die ich
bringen werde, gibt es vom Titel her sicher teilweise auch im Staatsballett,
aber es werden andere Interpretationen sein. Ein Vergleich kann
interessant werden und die Stadt nur bereichern. Für das intime
schauspielerisch-gestische Tanztheater ist die Bühne im Nationaltheater
fast zu groß. Das ist die Chance des Gärtnerplatztheaters:
auf dieser relativ kleinen Bühne ganz spannendes menschenbezogenes
Tanztheater zu machen. Das ist es, wo ich hin will.“
Malve Gradinger
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