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Das Unerhörte bleibt vor der Tür
„Nabucco“ an der Münchner Staatsoper · Von Christian
Kröber
Fast zwanzig Jahre mussten vergehen, damit Verdis frühes
Meisterwerk „Nabucco“ in der Münchner Staatsoper
im neuen Gewand in Szene gesetzt wurde. Zwanzig Jahre sind für
die Kunst, vor allem die flüchtige des Regieführens,
eine lange Zeit – mehr als eine Generation. So durfte man
gespannt sein, was der griechische, in Frankreich lebende Künstler
Yannis Kokkos, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich
zeichnete, dieser italienischen Freiheitsoper abzugewinnen vermochte.
Bei Pet Halmen im Jahre 1990 stand die postmoderne Ästhetik
der 80er- Jahre des letzten Jahrhunderts im Vordergrund. Imposante
Kostüme, großformatige, an Mussolini-Architektur erinnernde
Bauten und fliegende Pferde prägten damals das Bühnengeschehen.
Yannis Kokkos, der wie Pet Halmen seine künstlerische Laufbahn
als Bühnenbildner begann, misstraut der Gegenständlichkeit
und überlässt das Publikum einzelnen Andeutungen zeitloser
Kubatur. Gegenwart war gestern, heute sind wir zurück in der
Guckkastenstatik eines Schneider-Siemsen. Umso mehr müsste
sich die Regie mit den Handlungs- und Beziehungssträngen dieser
politischsten aller Verdi-Opern beschäftigen. Nabuccos Hochmut,
seine geistige Umnachtung und die glückliche Rettung in Demut
vor Gott und der Welt. Das alles muss erklärt und in sauberer
Personenregie ausgeleuchtet werden. Doch so sehr sich die Protagonisten
um Glaubwürdigkeit bemühen: Die Regie hat das Interesse
an ihnen verloren.
Man setzt auf die Rampe und die Wucht der Chormassen. Zu Recht
wird „Nabucco“ für seine Chorszenen gerühmt.
Mit dem Gefangenenchor ist Verdi ein wirkliches italienisches Volks-
und Befreiungslied gelungen, das noch heute jedes Kind in der Schule
lernt. Und in den großen Chorpassagen erahnt man, welche
künstlerische Kraft in dem fulminanten Geniestreich des 28-Jährigen
liegt. So ist es in erster Linie dem Chor der Bayerischen Staatsoper
und seinem Leiter Andrés Maspero zu verdanken, dass sich
im Lauf des Abends der oratorienhafte Gestus Bahn bricht in emotionale
Aufgewühltheit und mitreissende Klangemotionalität. Getragen
wird dies alles von der meisterlichen Stabführung des in Mailand
geborenen Paolo Carignani, dem derzeitigen Generalmusikdirektor
der Frankfurter Oper. Er vermag aus den Münchner Musikern
einen inspirierten und luftig klingenden Klangkörper zu formen,
der in den besten Momenten „Italianitá“ verströmt.
Davon sind Paolo Gavanelli (Nabucco) und Maria Guleghina (Abigaille)
leider weit entfernt. Es war sehr deutlich zu spüren, wie
gegensätzlich das Rollenverständnis der beiden Sänger
angelegt ist. Persönliche Animositäten traten hinzu...
So war man froh, in Giacomo Prestia (Zaccaria) und Andreas Kohn
(Il Gran Sacerdote) Künstler zu erleben, die ihrer Rolle mit
großer Bravour gewachsen waren.
Der Abend ließ das Publikum ratlos zurück und bewies
einmal mehr, dass die besonders beliebten und bekannten Werke der
Opernliteratur allzu oft sich selbst überlassen werden.
Christian Kröber
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