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Lost Violet statt Violetta
Das Junge Musiktheater Hamburg · Von Barbara Stein Mehr oder weniger versteckt liegt es in einem Hinterhof in einer
ruhigen Wohnstraße nahe der Hamburger City. Wenn man die
Hausnummer nicht wüsste und draußen an der Wand kein
Riesen-Transparent auf diesen Spielort hinwiese, man würde
glatt daran vorbeilaufen. Durch ein wenig einladendes Treppenhaus
geht es bis in die dritte Etage eines Gebäudes, in dem man
alles andere als ein Theater vermutet. Hat man aber oben – was
nicht leicht ist -– die richtige Tür erst einmal gefunden,
wird man beim Betreten des Jungen Musiktheaters Hamburg sofort
von der positiven Atmosphäre gefangen genommen. In einem einzigen
großen Raum hat diese kleine, ganz eigene Welt ihren Platz
gefunden, eine Oase mitten in der quirligen Großstadt.
Gummibärchen statt Pausensekt
Im Jahr 2002 begannen die Gründerinnen, die Opernsängerinnen
Inken Rahardt und Yvonne Bernbom, ausschließlich mit Gastspielen.
Und mit dem Ziel, einerseits Kindern und Jugendlichen sowie erwachsenen
Operneinsteigern den Zugang zum Genre zu erleichtern und andererseits
junge Opernsänger zu fördern. Als die Engagements zunahmen,
fand man eine zunächst vorübergehende, angemietete feste
Spielstätte. Erst seit dem vergangenen Herbst nun verfügt
das Ensemble mit dem 100 Besucher fassenden Opernloft über
ein eigenes kleines Theater.
Auch deshalb wirkt dort noch alles irgendwie improvisiert, so,
als würde es gleich wieder abtransportiert werden: die während
der Proben beiseite geschobene Bestuhlung am Eingang, die Bühne,
der Flügel daneben, der Tresen, an dem es statt Alkohol Gummibärchen
und Schokoriegel zu kaufen gibt, die vollgestopfte Garderobe und
die beiden winzigen Büros, die ausgestattet sind mit Camping-Mobiliar.
Mehr ist zurzeit finanziell nicht drin, für aufwändige
Ausstattung fehlt das Geld. Noch. Flexibles Konzept „
Wir haben uns bisher in jedem Jahr steigern können, und zwar
immer um 80 bis 100 Prozent des Gesamtumsatzes. Natürlich
leider auch bei den Ausgaben. Aber es sieht gut aus. Nicht dass
es uns rosig geht, aber wir können überleben“,
sagt die künstlerische Leiterin Inken Rahardt. Finanziert
wird das Ganze zurzeit ausschließlich über die Einnahmen,
die Auslastung liegt bei rund 70 Prozent.
Wenn gewünscht, zieht man mit Ensemble und Ausstattung zu
Gastspielen in Schulen der Umgebung, außerdem werden Konzerte
geboten, Meisterkurse und Workshops. Aber der Schwerpunkt des Jungen
Musiktheaters Hamburg liegt auf den Produktionen im eigenen Haus.
Im Repertoire stehen derzeit sieben Opern für Kinder, darunter „Die
Zauberflöte“, „Hänsel und Gretel“ und „Der
Freischuss“ nach Carl Maria von Weber, sowie „Die lustigen
Weiber von Windsor“, „Carmen“ und „La Bohème“ in
der Erwachsenen-Reihe „OperaBreve“.
Oper in Kürze, neu, frisch und anders – das möchte
das Theater anbieten. Für ein Publikum, das Oper bislang verschreckt
hat. Weil das Musiktheater, meint Bariton und Arrangeur Frank Valet,
sonst keine Zukunft mehr hat: „Ich finde das sehr richtig,
dass man sich diesen Stoffen ganz unbefangen nähert, weil
ich es in der heutigen Zeit für unsinnig halte, die Oper im
Museum stehen zu lassen, da sie ihr Publikum dann mehr und mehr
verlieren wird.“ Der Typ muss passen
Welche Werke schließlich in den Spielplan aufgenommen werden,
entscheiden alle gemeinsam. Anschließend filtern Frank Valet
und seine Kollegen die musikalische und inhaltliche Quintessenz
des jeweiligen Stoffes heraus, dann geht es ans Bearbeiten, Ergänzen
und Kürzen. Keine Aufführung dauert länger als 60
bis 90 Minuten, sonst lässt, so die Macher, beim Opern-unerfahrenen
Publikum die Aufmerksamkeit nach – und das Ziel wird nicht
erreicht. Ein Orchester kann man sich aus finanziellen und platztechnischen
Gründen nicht leisten, es wird ersetzt durch das Piano oder
eine kammermusikalische Besetzung. Und auch die Ausstattung ist
aufs Minimum reduziert. „Man muss die Phantasie nicht ersticken durch Ausstattung,
sondern eher die Handlung und die Emotionen nach vorn stellen,
das ist
unsere Idee“, sagt Inken Rahardt. Und noch etwas unterscheidet
das Junge Musiktheater Hamburg von herkömmlichen Opernhäusern: „Wir
haben keine dicken Opernsänger, die an der Rampe stehen und
einfach ihr Zeug brüllen. Die Kinder stören sich schon
sehr daran, wenn Tristan und Isolde so dick sind, dass sie sich
nicht mal mehr umarmen können. Wir achten darauf, dass der
Typ Opernsänger passt. Vielleicht muss man da stimmlich hier
und da einen kleinen Abstrich machen, aber das gesamte Ergebnis
muss passen.“ Professionelle Qualität
So lobenswert Selbstkritik ist, an dieser Stelle ist sie nicht
notwendig. Das beweist nicht zuletzt die absolut professionelle
Qualität der jüngsten Produktion, die Electr’Opera „Lost
Violet“ nach Verdis „La Traviata“, die im Februar
Premiere feierte. Die Original-Komposition wurde kombiniert mit
elektronischer Musik, das Werk gekürzt auf rund 90 Minuten.
Das Ganze spielt im heutigen Hamburg, Violetta wurde zu Violet,
die nicht an Schwindsucht zu Grunde geht, sondern die ihrem exzessiven
Leben, geprägt von Männern, Alkohol und Partydrogen,
zum Opfer fällt. Nach den Kinderopern war dies die erste Produktion
des Jungen Musiktheaters Hamburg für Jugendliche ab 15.
Am leichtesten identifizieren die sich mit Altersgenossen. Und
so sind es junge Menschen zwischen 15 und 18, die neben professionellen
Opernsängern die Hauptrollen spielen. Sie wurden beteiligt
an der musikalischen und inhaltlichen Bearbeitung, an Bühnenbild
und Kostümen – und sie stehen mit auf der Bühne.
Ein Wagnis, vielleicht. Sind doch Jugendliche eher sprunghaft in
ihren Vorlieben und wenden sich nach anfänglichem Enthusiasmus
oft schnell wieder ab von dem, was sie eben noch toll fanden. Aber
das Experiment scheint gelungen zu sein. Die zwölf jungen
Mitwirkenden sind allesamt infiziert vom Opern-Virus. Musiktheater
doof zu finden – das war mal. Die 16-jährige Gymnasiastin
Svea Beckedorf etwa ist fasziniert, denn sie hat endlich mal eine
Oper verstanden. Und die Mitwirkung an dieser Produktion findet
sie spannender als feiern, rumhängen und ausschlafen: „Mir
macht das sehr viel Spaß! Meine Freizeit dafür zu nutzen,
ist total in Ordnung. Ich finde das richtig cool.“
Die jungen Leute sind mit Feuereifer dabei, wohl auch, weil sie
ein großes Mitbestimmungsrecht haben. Und weil es um sie
geht und um ihre Probleme. Immerhin steht das Thema Drogensucht
im Mittelpunkt der Produktion. Begleitet wird sie vom Suchtpräventionszentrum
Hamburg, das am Rande der Aufführung vollkommen unaufgeregt
und ohne erhobenen Zeigefinger über die Folgen des Konsums
von Ecstasy, Crack und Alkohol informiert. Auch deshalb gab es
für dieses Projekt Zuschüsse unter anderem von der Hamburger
Kulturbehörde.
Leider aber eben bisher nur für dieses Projekt. So sind zurzeit
noch viel Engagement, Flexibilität und Improvisationstalent
nötig, um den Spielbetrieb zu gewährleisten. Aber das
könnte sich schon bald ändern. Denn zurzeit stehen die
Hamburger Privattheater auf dem Prüfstand, was finanzielle
Unterstützung angeht. Die Betreiber des Jungen Musiktheaters
Hamburg jedenfalls hätten mit ihrem Anspruch, mit der erfolgreichen
Umsetzung ihrer Ideen und der gebotenen Qualität Subventionen
ganz sicher verdient.
Barbara Stein
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