|
Ohne Ironie, geschweige denn Sarkasmus sei gesagt: Es zeugt einerseits
von der Vitalität, andererseits vom institutionellen Beharrungsvermögen
des vormals ost- und westdeutschen, jetzt wieder gesamtdeutschen
Theater- und Orchesterwesens, dass es sich immer wieder, geradezu
masochistisch den immer wieder gleichen Untersuchungsprozeduren
mit den immer wieder gleichen, sofort wieder vergessenen therapeutischen
Ratschlägen aussetzt. Nur einen einzigen Menschen habe ich
kennen gelernt, der dieses Spiel gleichsam mit einem Kanonenschlag
beenden wollte: August Everding mit seiner Forderung, ein Bundestheatergesetz
zu erlassen, das in schöner Verkennung von föderaler
Kulturhoheit, Tarifautonomie, Rechtssetzungen und demokratischen
Spielregeln alle Allen sattsam bekannten Störfaktoren beseitigen
sollte, die Wanderdünen gleich seit der Düsseldorfer
Privatisierungsdebatte und den „Theater der Zeit“-Konferenzen über
Fohrbeck/Wiesands Künstlerreport und Everdings eigenen „Runden
Tischen“ bis zu Johannes Raus „Bündnis für
Theater“ jetzt erneut im Schlussbericht der Enqute-Kommission
des Deutschen Bundestages zwar in neuer Hügelung, doch erkennbar
als die alten, windgeformten Sandhaufen wieder in Erscheinung treten.
Dabei ist dieser Schlussbericht „Kultur in Deutschland“ ein
verdienstvolles, gar nicht zu überschätzendes kulturpolitisches
Kompendium, hätte er sich doch nur nicht auf das Thema Theater
eingelassen oder sich wenigstens auf dessen struktur- und sozialpolitische
Aspekte beschränkt. Denn dort, wo sich die „Handlungsempfehlungen“ beispielsweise
mit arbeits- und tarifrechtlichen Themen befassen, wird’s
kunterbunt. Es sollen, lautet eine Empfehlung, die kommunalen und
staatlichen Träger für alle Beschäftigten in den
Theatern, Opern und Orchestern bühnengerechte Arbeitsbedingungen
schaffen. Als leuchtendes Vorbild hierfür werden der Normalvertrag
Bühne und „diverse Haustarifverträge“ hingestellt,
die wohl deshalb nicht näher benannt werden, weil es sie nicht
gibt.
Dieser Empfehlung, uralt wie Barbarossas Bart, ist tendenziell
zuzustimmen, in der Ausformulierung des Berichts ist sie kontraproduktiv.
Denn nicht allein von den Trägern, sondern im Zusammenwirken
mit den Vertretern der Beschäftigten werden Arbeitsbedingungen
geschaffen. Richtig ist, dass beispielsweise alle, die am selben
Ort Gleiches tun, nach gleichen Bedingungen arbeiten sollten. Doch
dabei dem Betriebstechniker auf der Bühne den für das
künstlerische Personal geschaffenen NV Bühne ans Herz
zu legen, der nur den Zeitvertrag, nicht den unbefristeten kennt,
treibt die Betriebstechniker-Gewerkschaft zu Recht auf die Barrikade,
jedenfalls nicht in eine Tarifpartnerschaft mit dem Deutschen Bühnenverein.
Und wenn dann noch der Tendenzschutz ausgedehnt, eine allgemeine Öffnungsklausel
in das Arbeitszeitgesetz aufgenommen werden soll, mutet Meiningens
Theater-Herzog Georg II. als Radikalinski an.
Vergeblich sucht man andererseits nach einer Handlungsempfehlung,
wie ausgerechnet das Theater Vorreiter beim Auflösen des Dogmas „von
der Einheitlichkeit aller Tätigkeiten des öffentlichen
Dienstes“ sein soll – was wünschenswert und erforderlich
wäre – oder wie sich die „Pflichtaufgabe Kultur“ ohne
permanente personelle Auszehrung finanzieren lässt. Das Motto „Je
ausgezehrter, desto kostengünstiger“ hat jedenfalls
keine Zukunft. Ihr Stefan Meuschel
|