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Editorial

Ohne Ironie, geschweige denn Sarkasmus sei gesagt: Es zeugt einerseits von der Vitalität, andererseits vom institutionellen Beharrungsvermögen des vormals ost- und westdeutschen, jetzt wieder gesamtdeutschen Theater- und Orchesterwesens, dass es sich immer wieder, geradezu masochistisch den immer wieder gleichen Untersuchungsprozeduren mit den immer wieder gleichen, sofort wieder vergessenen therapeutischen Ratschlägen aussetzt. Nur einen einzigen Menschen habe ich kennen gelernt, der dieses Spiel gleichsam mit einem Kanonenschlag beenden wollte: August Everding mit seiner Forderung, ein Bundestheatergesetz zu erlassen, das in schöner Verkennung von föderaler Kulturhoheit, Tarifautonomie, Rechtssetzungen und demokratischen Spielregeln alle Allen sattsam bekannten Störfaktoren beseitigen sollte, die Wanderdünen gleich seit der Düsseldorfer Privatisierungsdebatte und den „Theater der Zeit“-Konferenzen über Fohrbeck/Wiesands Künstlerreport und Everdings eigenen „Runden Tischen“ bis zu Johannes Raus „Bündnis für Theater“ jetzt erneut im Schlussbericht der Enqute-Kommission des Deutschen Bundestages zwar in neuer Hügelung, doch erkennbar als die alten, windgeformten Sandhaufen wieder in Erscheinung treten.

   

Stefan Meuschel

 

Dabei ist dieser Schlussbericht „Kultur in Deutschland“ ein verdienstvolles, gar nicht zu überschätzendes kulturpolitisches Kompendium, hätte er sich doch nur nicht auf das Thema Theater eingelassen oder sich wenigstens auf dessen struktur- und sozialpolitische Aspekte beschränkt. Denn dort, wo sich die „Handlungsempfehlungen“ beispielsweise mit arbeits- und tarifrechtlichen Themen befassen, wird’s kunterbunt. Es sollen, lautet eine Empfehlung, die kommunalen und staatlichen Träger für alle Beschäftigten in den Theatern, Opern und Orchestern bühnengerechte Arbeitsbedingungen schaffen. Als leuchtendes Vorbild hierfür werden der Normalvertrag Bühne und „diverse Haustarifverträge“ hingestellt, die wohl deshalb nicht näher benannt werden, weil es sie nicht gibt.

Dieser Empfehlung, uralt wie Barbarossas Bart, ist tendenziell zuzustimmen, in der Ausformulierung des Berichts ist sie kontraproduktiv. Denn nicht allein von den Trägern, sondern im Zusammenwirken mit den Vertretern der Beschäftigten werden Arbeitsbedingungen geschaffen. Richtig ist, dass beispielsweise alle, die am selben Ort Gleiches tun, nach gleichen Bedingungen arbeiten sollten. Doch dabei dem Betriebstechniker auf der Bühne den für das künstlerische Personal geschaffenen NV Bühne ans Herz zu legen, der nur den Zeitvertrag, nicht den unbefristeten kennt, treibt die Betriebstechniker-Gewerkschaft zu Recht auf die Barrikade, jedenfalls nicht in eine Tarifpartnerschaft mit dem Deutschen Bühnenverein. Und wenn dann noch der Tendenzschutz ausgedehnt, eine allgemeine Öffnungsklausel in das Arbeitszeitgesetz aufgenommen werden soll, mutet Meiningens Theater-Herzog Georg II. als Radikalinski an.

Vergeblich sucht man andererseits nach einer Handlungsempfehlung, wie ausgerechnet das Theater Vorreiter beim Auflösen des Dogmas „von der Einheitlichkeit aller Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes“ sein soll – was wünschenswert und erforderlich wäre – oder wie sich die „Pflichtaufgabe Kultur“ ohne permanente personelle Auszehrung finanzieren lässt. Das Motto „Je ausgezehrter, desto kostengünstiger“ hat jedenfalls keine Zukunft.

Ihr Stefan Meuschel

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