Eine Diva als Gesamtkunstwerk
Ein Gespräch mit Jessye Norman · Von Christoph Forsthoff
Ein Gesamtkunstwerk mit Ewigkeitswert: Längst hat sich Jessye
Norman von allen Kritiker-Normen gelöst. Mag die Sängerin
mittlerweile auch 62 Jahre alt und im Herbst ihrer glanzvollen
Karriere angekommen sein, ein Auftritt von La Jessye ist noch immer
Audienz und Anbetung zugleich, reißt das Publikum schon beim
Gang auf die Bühne zu stehenden Ovationen hin. Im Rahmen einer
kleinen Deutschland-Tour gastierte die Sopranistin mit ihrem Pianisten
Mark Markham mit einem Liederabend in mehreren Städten– Christoph
Forsthoff hat vorab mit der großen Diva des Gesangs gesprochen.
Christoph Forsthoff: Als bekennende Demokratin: Sind Sie im aktuellen
US-Vorwahlkampf hin- und hergerissen zwischen der Aussicht auf
die erste US-Präsidentin oder den ersten farbigen US-Präsidenten?
Jessye Norman: Natürlich, das ist schließlich eine historische
Situation! Diese Wahl ist unheimlich wichtig für unser Land:
Die ganze Welt schaut, was jetzt in Amerika passiert, nachdem wir
die vergangenen sieben Jahre mehr als nur ein bisschen gelitten
haben.
Forsthoff: Haben diese sieben Jahre
unter Präsident George
W. Bush dem Ansehen der USA nachhaltig geschadet?
Norman: Ja natürlich – und wir erleben es doch auch
im Alltag: Früher wollte jeder unbedingt nach New York, das
musste man einfach gesehen haben. Doch unter dieser Regierung hieß es
zuletzt immer öfter: Naja, vielleicht sollten wir doch lieber
noch etwas warten mit einer Reise in die USA. Forsthoff: Ihr politisches Herz
schlägt demokratisch, auf
der Opernbühne hingegen haben Sie am liebsten Königinnen
gespielt – wie passt das zusammen?
Norman: Ich bin doch Schauspielerin! Ich habe
immer sehr gern Rollen gespielt, die überhaupt nichts mit meiner Person zu tun hatten – das
ist doch viel interessanter!
Forsthoff: Die Königin auf der Bühne, das ist also nur
eine Rolle?
Norman: Natürlich! Und das ist doch auch das große Glück:
Ich kann auf der Bühne in alle möglichen Rollen schlüpfen – und
mit der Realität haben diese sehr wenig zu tun.
Forsthoff: Immerhin ist im Zusammenhang
mit Ihren Auftritten oft die Rede von der Königin des Gesangs, die Hof hält …
Norman: … was man von mir denkt, kann ich nicht ändern.
Das ist sehr liebenswürdig, aber wer mich kennt, weiß,
dass ich eigentlich ganz einfach bin – naja, ganz einfach
vielleicht nicht... aber sehr oft stehe ich barfuß in der
Küche und mache mir einen Tee – und das macht doch keine
Königin, oder? (lacht)
Forsthoff: In Ihrem aktuellen Liederabend-Programm
geht es um die verschiedenen Lebensphasen und die ewige Liebe – glauben
Sie an letztere?
Norman: Aber natürlich! Wobei ich allerdings hier weniger
die Beziehung zwischen Mann und Frau meine als vielmehr die Liebe
im übergeordneten Sinn: die Liebe, wie wir sie in dieser Welt
alle füreinander empfinden sollten. Und es gibt Menschen,
die sagen: Ich liebe die ganze Welt – unabhängig davon,
was der andere tut. Und das finde ich fantastisch, denn mir fällt
es schwer zu trennen, zwischen dem Sein und Tun eines Menschen. „Hauptsache, sie kommen“
Forsthoff: Das Repertoire Ihrer Liederabende ist weit gesteckt – handelt
es sich jedes Mal um Ihre ganz persönliche Dramaturgie?
Norman: Oh ja, ich mache immer meine eigenen Programme, denn ich
möchte doch den Menschen die wunderbare Musik die-se Lieder
nahe bringen. „September“ von Richard Strauss etwa
ist ein wunderschönes Lied, doch ebenso gern singe ich Kurt
Weills „September“-Song – und dieses Mal werde
ich die beiden Lieder sogar im selben Programm singen. Auch um
zu zeigen: Ganz gleich aus welchem Genre – gute Musik ist
und bleibt gute Musik.
Forsthoff: Ist dies der rote Faden
in Ihren Programmen?
Norman: Nein, das ist der Leitgedanke meines Lebens.
Meine Programme hingegen orientieren sich an den Themen, die mich
gerade beschäftigen,
denn heutzutage wollen die Menschen irgendein Thema über dem
Programm stehen haben. Früher bin ich einfach auf die Bühne
gekommen und habe meine Lieder gesungen: Natürlich hatte ich
mir über das Programm stets auch meine thematischen Gedanken
gemacht, aber für das Publikum war das nicht unbedingt erkennbar – doch
heute wollen die Leute einfach solch ein Thema haben.
Forsthoff: Nun wird das Publikum
bei Ihnen ja kaum wegen des programmatischen Themas kommen, sondern
weil die
Menschen die Norman erleben wollen …
Norman: … sie kommen doch hoffentlich, um meine Lieder anzuhören?!
Es ist mir doch gleich, warum sie kommen – Hauptsache sie
kommen (lacht).
Es fehlt die musikalische Bildung
Forsthoff: Früher waren Liederabende und ihr Besuch Ausdruck
besonderer musikalischer Empfindsamkeit – heute findet diese
Gattung nur noch schwer ein Publikum. Fehlt es an der nötigen
Bildung und dem Hintergrundwissen?
Norman: Ja, natürlich – und vor allem fehlt die musikalische
Ausbildung in den Schulen! Und daran sind wir Schuld, weil wir
diese Entwicklung zugelassen haben, denn man kann nicht erwarten,
dass jemand im Alter von 25 Jahren plötzlich auf die Idee
kommt, einen Liederabend erleben zu wollen. Man muss sich früh
der klassischen Musik nähern – und dann fällt einem
solch eine Begegnung auch ebenso leicht wie einen Film im Kino
anzuschauen. Gäbe es für die Kinder in den Schulen noch
einen entsprechenden Musikunterricht, dann säße heute
auch in unseren Konzerten ein ganz anderes Publikum.
Forsthoff: Stattdessen lauscht
die Jugend aber lieber Rap und Pop, Madonna oder Alicia Keys …
Norman: … dabei ist allein das deutsche Liedrepertoire so
wunderbar und einzigartig! Allein von Schubert gibt es Hunderte
von Liedern – und viele Menschen kennen leider nicht mal
ein einziges seiner Lieder! Das ist schade, denn man muss nicht
singen können oder jeden Abend in ein Konzert gehen, aber
man sollte zumindest eine Ahnung haben, was es alles gibt. Solch
eine Grundbildung fehlt heute immer mehr – und das ist sehr
schade.
Forsthoff: Nun interessiert sich
auch in Ihrem Publikum mancher weniger fürs Programm als etwa für Ihre Roben – haben
Sie sich schon Gedanken über die Garderobe für Ihre Deutschlandkonzerte
gemacht?
Norman (lacht): Über die Farben noch nicht, aber die Kleider
werden von Caroline Herrera stammen.
Forsthoff: Führen Sie denn noch immer Buch über Ihre
Roben, um in einer Stadt auch ganz bestimmt nie zweimal dasselbe
Kleid zu tragen?
Norman (lacht): Das ist eine Erfindung von Journalisten – ich
habe doch viel zu viel zu tun, um so etwas zu machen! Und so gut
organisiert bin ich dann auch nicht …
Forsthoff: … immerhin spielen solche Äußerlichkeiten
auch im Klassik-Geschäft zunehmend eine Rolle. Schließlich
werden hier ständig neue Images kreiert, mit Hilfe von TV
und PR-Kampagnen Stars gemacht und das – ich denke etwa an
Ihre Kollegin Anna Netrebko – ohne Rücksicht auf deren
Stimme und Zukunft. Wie haben Sie in diesem Business Ihre eigene
Identität bewahrt und den Verlockungen des schnellen Ruhms
widerstanden?
Norman: Entscheidend sind Selbstbewusstsein und
Unterstützung – sei
es nun von der Familie, von Freunden oder Lehrern. Man muss einfach
den Mut haben, Nein zu sagen. Zu sagen: Zum jetzigen Zeitpunkt überfordert
dieses Angebot mich und meine Fähigkeiten. Ich bin nie auf
die Idee gekommen, jemand anderen zu fragen, was ich tun soll – das
ist doch mein Leben! Ich bin es, die da ganz alleine auf der Bühne
steht – kein Manager oder PR-Agent, sondern ganz allein ich
präsentiere meine Musik.
Den Mut, Nein zu Sagen
Forsthoff: Nun ist es ja aber sehr verlockend,
etwa vor Zehntausenden Besuchern in einem Stadion zu singen oder
mit Popstars zusammen
aufzutreten …
Norman: … aber man verliert sich dabei doch selbst! Ich finde
es traurig, wenn fremde Menschen versuchen, aus einem jungen Künstler
einen bestimmten Typ zu formen: Denn eines Tages schaut dieser
dann in den Spiegel und weiß nicht mehr, wer ihn da überhaupt
anschaut. Ich habe mich all diesen Partys und Galas immer verweigert – man
muss einfach Mut genug haben, um Nein zu sagen.
Forsthoff: Aber kann sich das ein junger Künstler erlauben,
der Karriere machen will?
Norman: Natürlich! Als ich jung war, habe ich sehr oft Nein
gesagt, denn ich habe doch die Menschen in meiner Umgebung gesehen:
Da gab es Kollegen, die waren grad mal 30 Jahre alt, und ihre Stimmen
waren bereits kaputt – wie kann so etwas passieren? Weil
die eben an einem Abend Violetta gesungen haben, am nächsten
Tag im Rosenkavalier und zwei Tage später in Figaros Hochzeit – da
ist die Stimme natürlich schon mit 30 ruiniert.
Forsthoff: Die trieb vermutlich die Angst, mit
der Ablehnung einer Rolle der eigenen Karriere im Wege zu stehen...
Norman: ... das kann sein. Aber sie müssen sich doch fragen:
Wollen sie für drei Jahre singen oder für 30 Jahre? Eine
wunderbare Kollegin hat mir vor vielen Jahren einmal gesagt: Niemand
wird deine Stimme jemals so lieben, wie du deine Stimme lieben
musst. Und niemand wird deine Stimme jemals so achtsam behandeln,
wie du dich um deine Stimme sorgen musst. Damals dachte ich, das
klinge etwas hart – aber es stimmt. Und wer das nicht begreift,
dessen Stimme wird zerbrechen unter den Wünschen all dieser
Veranstalter, PR-Leute und Musikmanager – denn denen ist
das egal, die haben in zwei Jahren wieder einen neuen „Star“ gefunden.
Forsthoff: Eine neue Jessye Norman wird es zweifellos
nicht mehr geben. Ihre Kollegin Montserrat Caballé sagte mir jüngst,
sie wolle bis ans Ende ihrer Tage singen – haben Sie sich
schon Gedanken über ein Ende Ihrer Karriere gemacht?
Norman: Ich werde singen, solange es geht. Wenn
das eines Tages nicht mehr der Fall sein sollte, höre ich auf – schließlich
möchte ich mich nicht vor meinem Publikum blamieren. So wie
es umgekehrt viele Menschen gibt, die mich seit Jahrzehnten begleitet
haben und auch nicht möchten, dass ich mich vor ihnen schämen
muss. Und das habe ich auch nicht vor. Das Gespräch führte Christoph Forsthoff
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