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Ein singender Wald
Francois Narbonis „Au Bois lacté“ in Metz uraufgeführt · Von
Gerhard Rohde
Als Dylan Thomas‘ „Under the Milkwood“ zunächst
als Hörspiel erschien, erkannten fantasiebegabte Theaterleute
sogleich auch die szenischen Qualitäten des umfangreichen
Textes. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gelangte „Unter
dem Milchwald“ (so die deutsche Übersetzung) auch auf
deutsche Bühnen. Die vielen, wie ein Film ablaufenden Szenen,
die Bilder aus dem Leben eines kleinen Städtchens an der irischen
Küste, der Heimat des Dichters, fügten sich zu einem
sprachmächtigen, poetischen Menschentheater voller Sehnsüchte,
Traurigkeit und Humor. Der Komponist Walter Steffens hat sogar
eine Achtzig-Minuten-Oper aus der Vorlage gefiltert, die jetzt
eine Nachfolgerin in Frankreich gefunden hat. Am Opérathéàtre
de Metz erlebte Francois Narbonis Oper „Au Bois Lacté“ unter
Leitung des Komponisten ihre Uraufführung.
Es ist eher eine Kammeroper. Narboni, 1963 geboren und in vielen
Stilarten für Bühnen-,Film- und Ballettmusiken erprobt,
benötigt für seinen „Milchwald“ einen Erzähler,
ein Dutzend Vokalsolisten (die durchaus mit gestandenen Chormitgliedern
besetzt werden könnten) für die diversen Figuren im Stück,
einen eher kleinen „Grand Choeur“ im Orchestergraben,
einen kleinen Kinderchor, ein paar Tänzer und einen Solo-Akkordeonspieler,
der mit elektronischer Unterstützung das Orchester repräsentiert.
Der musikalische Gestus ist schlank und beweglich gehalten. Narbonis
Musik erschreckt auch den konservativsten Hörer nicht. Aparte
Klangmischungen, hübsche instrumentale Pointierungen und durchaus
Melodiöses für die Singstimmen prägen den ersten
Höreindruck.
In Metz fand er in dem Regisseur und Bühnenbildner Antoine
Juliens einen gleich gestimmten Partner. Transparente Vorhänge,
phantasievoll bemalt und hintereinander gestaffelt aufgehängt,
geben immer wieder neue Ansichten von Häusern, Innenräumen
und Natur frei, wobei die wild verschlungenen Baumstämme überall
ständig durchschimmern. So bleibt der „Wald“ als
dramaturgisches Kontinuum optisch stets präsent, verbindet
die unzähligen Miniaturszenen mit ihren Phantasmagorien, mit
den vielen lebendigen Menschen und deren kleinen und größeren
Sorgen. Narbonis Musik drängt sich bei allem nicht laut und
geschwätzig in den Vordergrund. Sie stützt die Szenen,
spendet ihnen sozusagen eine klingende Atmosphäre, begleitet
sie geschmeidig, setzt dezent instrumentale Pointierungen. Dem
Akkordeon fällt dabei für das Stimmungshafte eine wichtige
Aufgabe zu – Athony Miller setzt wunderschöne zarte
Klangfarbtupfer. Und die Choreinsätze, wohlklingend und fein
komponiert, fügen sich unaufdringlich und geschmeidig in die
Lebensabbilder auf der Szene ein.
Francois Narbonis „Au Bois Lacté“ wäre
sicher auch für kleinere deutsche Musikbühnen eine reizvolle
und erfolgversprechende Aufgabe.
Gerhard Rohde
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