Alarmglocken trotz Fusionserfolg
Das Theater Plauen-Zwickau · Ein Porträt von Werner
Wolf
Im an Theatern reichen Freistaat Sachsen konnten sich auch in früheren
Zeiten nur die Residenzstadt Dresden, die Handels- und Wissenschaftsmetropole
Leipzig und das Industriezentrum Chemnitz spezielle Häuser
für Oper und für Schauspiel leisten, dazu die ersten beiden
und zeitweilig auch Chemnitz noch ein Operettentheater. Während
inzwischen über Schließungen der Häuser für
die leichtfüßige Bühnenmuse an Elbe und Pleiße
schon nachgedacht, aber nach heftigen Protesten (zunächst)
davon abgesehen wurde, wagt (vorerst noch?) niemand am Bestand der
Opern- und Schauspielhäuser zu rütteln.
Schwerer haben es die Theater in sächsischen Städten
zwischen 25.000 und 100.000 Einwohnern wie Zwickau, Plauen, Bautzen,
Görlitz, Freiberg, Döbeln, Annaberg, Zittau. Dort erbauten
sich die Bürger im 19. oder spätestens zu Beginn des 20.
Jahrhunderts ihr Stadttheater mit eigenen Ensembles, Orchester und
Chor als zentralen Ort für Erbauung, Unterhaltung und auch
Kommunikation.
Zeit der Fusionen
Nun, da im größer gewordenen Deutschland alles teurer
geworden ist, die Kunst sich „rechnen“ muss, funktioniert
der bisherige Stadttheaterbetrieb auch im Osten nicht mehr wie bisher.
Fusionen erfolgten, über weitere wird noch debattiert. Das
bereitete viel Kopfzerbrechen, auch in Zwickau mit seinen 100.000
Einwohnern und Plauen mit 70.000.
Nach verfehlten Kontakten zwischen den Theatern im nordbayrischen
Hof und im angrenzenden vogtländischen (südwestsächsischen)
Plauen drängten die sächsische Staatsregierung und die
Stadtverwaltungen auf Einsparungen. Die Fusion der Theater Zwickau
und Plauen kam ins Gespräch. Dabei waren sich die Intendanten
Wolfgang Hauswald und Dieter Roth von vornherein einig: Verluste
bei Einsparungen so gering wie möglich zu halten und nach denkbaren
künstlerischen Gewinnen zu streben, bewährte Eigenheiten
beider Theater zu erhalten und weiter zu führen.
Mit der Spielzeit 2000/01 nahmen die bis dahin selbständigen
Häuser als Theater Plauen-Zwickau in der Rechtsform einer gGmbh
mit den beiden Städten und den Kulturräumen als Gesellschaftern
unter der Intendanz von Wolfgang Hauswald die gemeinsame Arbeit
auf. Das seither Gebotene und Erreichte belegt, dass sich die mit
der Fusion gehegten Hoffnungen im Wesentlichen erfüllten. Mit
etwa 180.000 Besuchern (einschließlich der Freilichtaufführungen)
wurde eine Auslastung von 70 bis 80 Prozent erreicht. Eigene Eindrücke
von wichtigen Inszenierungen, Besucherreaktionen sowie Gespräche
mit dem jetzigen Generalintendanten Dr. Ingolf Huhn, dem Orchestervorstand
Karl-Hermann Schlosser, dem VDO-Ortsdelegierten Hans-Wilhelm Wendt,
dem Chorvorstand Tilman Rau und dem Betriebsratsvorsitzenden Nicolaus
Köhler bestätigen die positiven Ergebnisse.
Größere Leistungsstärke
Die etwa gleich großen Bühnen und Zuschauerräume
der Hauptspielstätten in den Städten Zwickau und Plauen
bieten günstige Voraussetzungen für die Arbeit. Bühne
und Zuschauerraum des im altehrwürdigen Zwickauer Gewandhaus
beheimateten, seit 1823 bestehenden Zwickauer Theaters wurden noch
vor der Fusion restauriert und modernisiert, ebenso das 1898 eingeweihte
stattlich aussehende Vogtlandtheater in Plauen.
Die mit der Fusion erreichten Einsparungen sind zahlenmäßig
schnell zu benennen. Aus zwei Orchestern mit etwas über 60
Musikern in Zwickau und knapp 60 in Plauen entstand ein 96 Mitglieder
umfassender leistungsstärkerer Klangkörper. Für den
standen aber nur 90 Planstellen zur Verfügung, so dass die
Finanzierung der 96 Musiker schon damals mit Gehaltsminderung durch
eine Haustarifvereinbarung geregelt wurde. Von den knapp 50 Sängern
beider Chöre bilden jetzt 32 einen ebenfalls leistungsstärkeren
gemeinsamen Chor. Das Solistenensemble der Oper mit Sitz in Zwickau
umfasst derzeit 14 Sänger (vorher etwa 25 an beiden Häusern),
die Tanzgruppe 14 Mitglieder. Das Schauspielensemble mit Sitz in
Plauen besteht aus 20 Mitgliedern (vorher um die 30). Die Konzentration
auf eine Intendanz und Verwaltung mit Sitz in Zwickau erbrachte
weitere personelle Einsparungen.
Die Reduzierungen erfolgten durch an Theatern übliche Wechsel,
Auslaufen zeitbegrenzter Arbeitsverträge, Erreichen der Altersgrenze
und Vorruhestandsregelungen so sozialverträglich wie möglich.
Hart bleibt es dennoch, wenn ein für seine Kunst lebender Musiker
vorzeitig auf das Altenteil gesetzt wird. Für die verbliebenen
Künstler wiederum heißt das, einen beträchtlichen
Teil ihrer Arbeit jeweils 40 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt
leisten zu müssen. Das erscheint bei heutiger Motorisierung
und Mobilität harmlos, bringt aber im bergigen Gelände
im Winter bei Schnee und Eisglätte nicht nur bei den nächtlichen
Rückfahrten manche Schwierigkeiten.
Neue Klangqualität
Die künstlerischen Gewinne der Fusion: Jetzt können
große Opern wie Richard Wagners „Tannhäuser“
und „Lohengrin“, Giuseppe Verdis „Aida“
und „Othello“ und Sinfonien wie die von Anton Bruckner
mit einer vorher nicht verfügbaren Streicherbesetzung in bisher
nicht möglicher Klangqualität aufgeführt werden.
Rolf Reuter, der langjährige Chefdirigent der Komischen Oper
Berlin, führte mit einigen Operneinstudierungen, der langjährige
Chemnitzer Orchesterchef Dieter-Gerhard Worm in Sinfoniekonzerten
in der nach der Fusion zunächst cheflosen Zeit das Orchester
zu großartigen Leistungen.
Mit dem jetzigen Generalmusikdirektor Christoph Sandmann und dem
1. Kapellmeister Victor Puhl stehen nun befähigte jüngere
Dirigenten am Pult. In jüngster Zeit bewiesen dies die letzten
Premieren der Spielzeit 2003/04 mit der 1854 von Franz Liszt in
Weimar uraufgeführten, bald auch in Berlin, Wien und weiteren
Städten gespielten Oper „Die Nibelungen“ von Heinrich
Dorn und Georges Bizets unverwüstlicher „Carmen“.
Für „Carmen“, die in Plauen vor der Sommerpause
auf der Freilichtbühne zu erleben war und in Zwickau zum Auftakt
der Saison 2004/05 in der einer großen Arena gleichenden Stadthalle
gespielt wurde, bot das Theater alle verfügbaren Kräfte
auf. Zum Chor des Theaters kamen Mitglieder der Singakademien Plauen
und Zwickau, die Chöre des Diesterweg-Gymnasiums Plauen und
viele Komparsen. So standen im Schlussbild zur Begrüßung
Escamillos über 200 Akteure auf der Bühne.
Vielseitiger Spielplan
Mit den Premieren von Wolfgang Amadeus Mozarts Buffooper „Die
Hochzeit des Figaro“, Carl Millöckers Operette „Der
Bettelstudent“, Giacomo Puccinis japanischer Tragödie
„Madame Butterfly“, der musikalischen Revue „Das
Küssen macht so gut wie kein Geräusch“, den Musicals
„Hair“ und „Anatevka“ und – als szenische
Uraufführung – das musikalische Märchen „Der
Rose Pilgerfahrt“ von Robert Schumann ist das Konzept für
die weitere Planung angedeutet. Die Intendanz ist darauf bedacht,
für die verschiedenartigen Erwartungen der beiden Städte
und ihres Umlands einen vielseitigen Spielplan zu gestalten. Wie
in der vorigen Spielzeit mit Dorns „Nibelungen“, in
der jetzigen mit Schumanns „Rose“ soll auch künftig
ein vergessenes oder selten gespieltes und von Zeit zu Zeit ein
zeitgenössisches Werk aufgeführt werden. Das Theater Plauen-Zwickau
befindet sich jedenfalls auf erfolgreichem und guten Weg.
Nachdem in den wenigen Jahren seit der Fusion das Zusammenführen
beider Theater gefestigt und die größeren künstlerischen
Möglichkeiten genutzt wurden, drohte aber in der zu Ende gegangenen
Spielzeit ein beträchtlicher Verlust: Ein Beschluss der Gesellschafter
verminderte die derzeit 87 Stellen für das Orchester auf 66.
Die nun „überzähligen“ Musiker erhielten eine
Kündigung. Damit wären wesentliche künstlerische
Gewinne der Fusion verloren gegangen.
Lösungsversuche...
In nicht leichten Verhandlungen fanden Vorstand und Freundeskreis
des Philharmonischen Orchesters in Verbindung mit der Deutschen
Orchestervereinigung (DOV), Intendanz und Betriebsrat durch beispielhafte
Solidarität der Orchestermitglieder zu einer ungewöhnlichen
Lösung. Es wurde Einigkeit erreicht, dass nach den Reduzierungen
bei der Fusion kein weiteres Mitglied des Orchesters entlassen werden
soll und mit dem Etat für 66 Musiker die jetzigen 87 bezahlt
werden, damit niemand in die Arbeitslosigkeit getrieben wird. Das
bedeutet, die gekündigten Musiker bleiben mit 75-prozentiger
Teilzeit im Orchester, die anderen Kollegen verzichten auf 16 Prozent
des Tarifgehaltes. Diese Haustarifvereinbarung soll für drei
Jahre abgeschlossen werden, um bis 2007 finanzielle Sicherheit zu
garantieren.
... und neue Gefahren
Doch im Jahresprogramm für die Spielzeit 2004/05 kündigte
der Plauener Bürgermeister Uwe Täschner als Vorsitzender
des Aufsichtsrates der Theater Plauen-Zwickau gGmbH an, „die
Finanzsituation unserer kommunalen Haushalte zwingt uns bereits
nach wenigen Wochen, die Diskussion um die Struktur unseres gemeinsamen
Theaters für die Zukunft wieder zu beginnen“. Er hofft
„auf die Weitsicht der Entscheidungsträger, die bisher
erfolgreiche Fusionsgrundlage nicht zu gefährden und dem gemeinsamen
Theater in unserer Region eine Zukunft zu geben“.
Inzwischen erschien am 3. September in der „Freien Presse“,
der einzigen Zwickauer Tageszeitung, ein Artikel, der die Alarmglocken
schrillen lässt. Das Konzept des Zwickauer Oberbürgermeisters
Dietmar Vettermann zur Konsolidierung des städtischen Haushalts
sieht vor, die Zuwendungen für das Theater im nächsten
Jahr um eine Million auf 1,9 Millionen Euro und im folgenden Jahr
weiter stark zu kürzen. Zwar wird das als einer von vielen
Vorschlägen relativiert, doch sind solche Überlegungen
eines Verantwortungsträgers bedrohlich. Sie könnten zur
Insolvenz und Auflösung der gGmbH führen und das seit
der Fusion Erreichte zunichte machen.
Unerlässlich ist es, dass endlich die führenden Politiker,
Ökonomen, Wirtschafts- und Bankenvorstände, aber auch
Stadtoberhäupter neue Ideen entwickeln, die über Reformen
genannte bisherige Flickschusterei hinausgehen und auch die Bedeutung
der Kultur für das Land erkennen. Das Plato zugeschriebene
Wort, ein Land sei so gut wie seine Musik, hat sich in der Geschichte
immer wieder bewahrheitet.
Werner
Wolf
|