Wortspiel und Video
Weill-Schwerpunkt bei den Bregenzer Festspielen · Von
Stefan Rimek
Erst ist man zu zweit, dann geht einer und dann ist man allein“,
lässt Regisseur Nicolas Brieger den Protagonisten in Kurt Weills
gleichnamiger einaktiger Kurzoper laut vor sich hingrübeln,
bevor der Protagonist dem Publikum erzählt, dass er auf der
Bühne schon einmal einen Kollegen durch Herzinfarkt verloren
hat. Die Figur des „1. Schauspielers“ ergötzt sich
an ausufernden und mehr oder weniger amüsanten Wortspielen,
unter anderem über das Wirtsvolk und weist dann auf die besondere
Wichtigkeit eines Satzes hin, den er aber aus Trotz jetzt nicht
mehr sagen mag. Zuvor wird schon mal die Ouvertüre unterbrochen
und dem Publikum mitgeteilt, dass einer der Bühnenakteure indisponiert
sei, man wisse jetzt aber nicht mehr genau welcher, was aber ohnehin
schon egal sei, da man ja manchmal glauben könnte, mehrere
seien angeschlagen. Deshalb sei es ja auch fast schon egal, ob die
Besucher nun die Handys ausmachen oder nicht.
Ob nun solche – zugegebenermaßen hier und da auch durchaus
amüsanten – eigenmächtig ins Libretto eingeschobenen
„geplanten Improvisationen“ ein probates Mittel darstellen,
um dieser polternden Tragikomödie Weills aus den Zwanziger-Jahren
heutzutage ein fesselndes Antlitz zu verleihen, darf mehr als bezweifelt
werden. Selbiges gilt auch für die von Brieger sehr plakativ
in Szene gesetzten sexuellen Handlungen der Pantomimen, die wohl
in den Zwanziger-Jahren die gewollte Provokation erreichten, heute
aber eher lächerlich wirken. Da hilft es auch nichts wenn man
wie Brieger dem ohnehin schon übertrieben angelegten Gestöhne
noch eins draufsetzt. Das ist für eine Produktion im Rahmen
eines so renommierten Festivals wie den „Bregenzer Festspielen“
ganz einfach zu wenig.
Das Bühnenbild von Raimund Bauer mit den übereinandergeschobenen
Theaterstuhlreihen verdient hingegen ebenso Lob wie die modernen
Kostüme mit Künstlerdetails von Margit Koppendorfer. An
den Bühnenakteuren lag es nicht, dass die Produktion nur wenig
zu fesseln vermochte, wenngleich Gerhard Siegel hier und da Mühe
hatte, sich in der Rolle des Protagonisten gegen das Orchester durchzusetzen.
Schauspielerisch und gesanglich ausdrucksstark agierten vor allem
Catherine Nagelstadt als Schwester und Peter Bording als junger
Herr.
Ungleich beeindruckender gestalteten Nicolas Brieger und sein Team
Weills Einakter „Royal Palace“, der im ausverkauften
Bregenzer Festspielhaus nach der Pause zu erleben war. Packend gelang
es hier, durch die Unterstützung der Videoartisten von „fettFilm“
und die Projektionsfirma „Rezac“ die im orbitalen Raum
zwischen Realität und Surrealität oszillierende Handlungsebene
und damit die äußerlich karge, jedoch innerlich überreiche
Handlung des Werks umzusetzen.
So werden hier auf eine schräge plafondartige, in die Tiefe
der Bühne abfallende Deckenebene unter vielen anderen kreativen
Einfällen Sonnenuntergänge, „Metropolis“-ähnliche
Flüge durch die Wolkenkratzerwelt oder ein Liebesakt der handelnden
Figuren auf einem fliegenden weißen Bettlaken projiziert und
dramaturgisch äußerst geschickt in die Handlung miteinbezogen.
Innovationen der besonderen Art stellen auch die auf die handelnden
Figuren projizierten Videowerke dar, die es unter anderem ermöglichen,
überdimensionale rote Blutkörperchen über die Verbindung
der Hände von einer Person zur anderen wandeln zu lassen. Transparent
und mit großem Gespür für den Charakter des Werks
setzt Brieger auch die äußeren Handlungen in Szene. So
erlebt man auf einem spiegelnden Boden zwischen Bar und Sitzgruppe
der Neuen Sachlichkeit gut durchdachte Bewegungsabläufe der
in eleganter Abendgarderobe gekleideten Akteure.
Catherine Nagelstadt als Dejanira, Otto Katzameier als Ehemann,
Peter Bording als Geliebter von gestern und Gerhard Siegel als Verliebter
von morgen sowie alle anderen Bühnenakteure komplettierten
hier durch ausgesprochen überzeugende Leistungen den fesselnden
Gesamteindruck. Dies gilt auch für die Wiener Symphoniker,
die wie in der Partitur des „Protagonisten“ unter der
Leitung von Yakov Kreizberg auch hier immer die angemessenen Tempi
fanden und die dynamischen Verästelungen bis auf den Grund
hervorragend auszuloten wussten. Der Applaus fiel an diesem zwiespältigen
Eröffnungsabend der 59. Bregenzer Festspiele für „Royal
Palace“ zu Recht wesentlich intensiver aus als für den
„Protagonisten“.
Stefan
Rimek
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