|
Musik im öffentlich-rechtlichen Funk
Radio im Wandel – Quoten, Inhalte, Aufgaben · Von
Martin Hufner
Im Anfang der Bundesrepublik Deutschland war der öffentlich-rechtliche
Rundfunk. Er wurde installiert als Gegenmaßnahme zu einem
staatlich gesteuerten Rundfunksystem, wie es ab der Zeit der nationalsozialistischen
Machtübernahme durchgesetzt worden war. Bis in die 80er-Jahre
hinein kannte Deutschland auf seinem Gebiet nur derartige Rundfunkanstalten.
Was heißt aber öffentlich-rechtlich eigentlich? Die Frage
beantwortet stellvertretend die Internetseite des SüdWestRundfunks
(SWR): „Nicht der Staat, sondern dessen heterogene gesellschaftliche
und politische Gruppen nehmen die Aufsichtsfunktion in den Leitungsgremien
wahr. Nicht der Staat finanziert die Programme, sondern die Hörer
und Zuschauer, die damit sicher stellen, dass nur das gesendet wird,
was sie selbst sehen und hören wollen.“ Und das sei gleichzusetzen
mit dem „Prinzip Freiheit“.
Diese Information und Deutung scheint jedoch eine ziemlich neue
Sichtweise darzustellen. Denn, wie jeder weiß, auch private
Rundfunkanstalten werden nicht vom Staat finanziert. Bleibt die
Aufsichtsfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch
heterogene gesellschaftliche und politische Gruppen. Doch stellt
sich die Frage, wer diese Aufsichtsgremien bestellt und inwieweit
politische Einflussnahme in sie hineinreicht. Wer sich an manche
Bestellung von Intendanten erinnert, wird schnell gewahr, dass auch
hier parteipolitische Mächtespiele nicht ausbleiben. Von einer
Rundfunkfreiheit im emphatischen Sinne kann da nicht die Rede sein.
Die letzte Aussage des SWR, dass der öffentlich-rechtliche
Rundfunk durch Hörer und Zuschauer finanziert wird, soll angeblich
sicherstellen, „dass nur das gesendet wird, was sie selbst
sehen und hören wollen.“ Wie man da den Sprung von der
Finanzierung zur Programmgestaltung schaffen will, ist allerdings
schleierhaft. Der Hörer bestimmt, was er hören und sehen
möchte durch seinen Beitrag, den er an die Gebühreneinzugszentrale
entrichtet? Das zumindest ist ein weit verbreitetes Vorurteil.
Mythos Quote
Diese Vorstellung spricht Bände über den gegenwärtigen
Zustand der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Mehr
oder minder deutlich orientiert sich die Programmgestaltung an durch
Meinungsforschungsinstitute erhobenen Quotenermittlungen. Dieses
Instrument ist im Kern allerdings ein Bestandteil der Werbewirtschaft
und damit für die privaten Rundfunkveranstalter wichtig. Wer
hohe Quoten erzielt, kann leichter Werbekunden akquirieren; und
die privaten Rundfunkveranstalter finanzieren sich nicht durch ihre
Hörer oder Zuschauer, sondern durch Werbeeinnahmen. Das freilich
hindert die öffentlich-rechtlichen, gemeinnützigen Anstalten
nicht daran, sich an diesem Instrument zu orientieren, wenngleich
dies nicht ihr Ziel sein darf. Zudem ist die Einschaltquotenfrage
auch aus statistischer Sicht nicht hilfreich. Das lässt sich
an den „Hörerzahlen“ von NDR Kultur demonstrieren.
In der letzten Media-Analyse zur Quotenermittlung wurden 60.324
Personen in ganz Deutschland befragt. NDR Kultur erreichte deutschlandweit
eine Quote von 0,4 Prozent Hörern. Das sind gerade mal 241,29
Hörer, genauer: Befragte, die angaben „gestern“
dieses Programm gehört zu haben. Damit weiß man allerdings
nicht, was und mit welcher Dauer gehört wurde oder ob überhaupt
zugehört wurde. Um in der Media-Analyse 0,1 Prozent mehr oder
weniger Hörer zu bekommen bedarf es etwa 60 weiterer Personen.
Nur: Welche Konsequenzen werden bei NDR Kultur daraus gezogen? Barbara
Mirow, Wellenchefin beim NDR, sieht beispielsweise die Notwendigkeit,
in das Programm häufig sogenannte Claims einzustreuen. Das
sind wiederkehrende Programm-Ansagen der Art: „NDR Kultur
– Der Klassiker.“ Mirow führt dazu aus: „Den
Namen des Programms bekannt zu machen, hat sich als dringend nötig
erwiesen, da es nur dann bei den regelmäßig stattfindenden
Meinungsumfragen richtig genannt und somit in Bezug auf seine Hörerzahl
korrekt gemessen werden kann. Auch jetzt werden wir noch häufig
als ,N3’, ,NDR 3’ oder auch als ,Radio Kultur’
bezeichnet. Um hier zu eindeutigen Antworten zu gelangen, ist es
unerlässlich, dass Hörer und Hörerinnen das gehörte
Programm genau benennen können.“ Ist es der Auftrag des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Hörer dazu zu erziehen,
bei Meinungsumfragen den gehörten (oder nichtgehörten)
Sender richtig benennen zu können? Das kann es wohl doch nicht
sein.
Noch einmal zu NDR Kultur. Obwohl Quoten bei Minderheitenprogrammen
nicht genau ermittelt werden können, führen Veränderungen
zu drastischen Maßnahmen. Das war auch bei NDR Kultur der
Fall. So berichtet der Programmdirektor des NDR, Gernot Romann,
in einem Beitrag für das im Hause produzierte Klassikclub Magazin:
„Vor rund drei Jahren sahen sich Programmverantwortliche und
Programmmacher von NDR Kultur (damals Radio 3) mit alarmierenden
und bis dato nie da gewesenen Einbußen von Reichweite konfrontiert.
Der dramatische Hörerverlust in Hamburg von 3,0 Prozent Hörern
im Jahre 2001 auf 0,7 Prozent im Jahr 2002, bildete schließlich
den Ausgangspunkt für grundlegende Programmanalysen und -überlegungen
sowie für sorgfältige und umfangreiche Medienforschungsaktivitäten.“
Vielleicht hätte es auch weniger getan. Denn woran es liegen
mag, dass in nur einem Jahr und ohne große Veränderung
der Programmstruktur die Hörerzahl angeblich so dramatisch
zurückgeht? Haben sich die Hörer in dieser kurzen Zeit
so stark in ihrer Programmwahl verändert? Die Programmreform
kam und bewirkte die Umarbeitung zu einem „durchhörbaren“
Programm mit musikalischen Schmankerln – als ein sogenanntes
Tagesbegleitprogramm. Zu welchen Ergebnissen derartige Forschungen
kommen, hat vor einem Jahr Barbara Molsen, die Hörfunkchefin
des MDR, klar gemacht, als sie sagte: „Der Begriff Kultur
ist sehr tradiert besetzt und schafft eher eine Zugangsbarriere“
und MDR Kultur in MDR Figaro umtaufte. Doch geht es längst
nicht mehr um den Begriff sondern seinen Inhalt. Kultur selbst wird
von Verantwortungsträgern im Funk offenbar als Zugangsbarriere
empfunden und in Quotenniederpreisigkeit aus den Programmen verjagt.
Kritik der Kulturwellen
Mittlerweile hat sich gegen die NDR-Reform eine Art Bürgerinitiative
gebildet unter dem Namen „Das GANZE Werk“ (http://www.dasganzewerk.de),
die sich „für den Erhalt kultureller Standards einsetzt
und als Kompromiss verlangt, dass von 6 bis 19 Uhr in einer Dauer
von mindestens vier Stunden ganze Werke gesendet werden, so wie
es bisher üblich war, wie es in anderen Sendegebieten geschieht
und wie es viele Stammhörer schätzen.“ Die Entwicklung
beim NDR Kultur ist nur ein drastisches Beispiel in Richtung der
Verflachung des Kulturprogramms bei den öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten. Ähnlich wandelte sich Anfang 2004 MDR Kultur
zu MDR Figaro; WDR und HR reformierten sich ebenfalls, wobei das
Kulturprogramm WDR 3 bestimmte Änderungen unterdessen stillschweigend
zurücknahm, die Situation dadurch aber noch verschlimmerte.
So berichtete Andreas Rossmann in der FAZ vom 14. September 2004
unter dem Titel „Schönes bleibt. Das Kulturradio WDR
3 nimmt seine Reform heimlich zurück“: „Die kleinlaute
Revision der groß angekündigten Reform geht aber noch
hinter den altbewährten Status quo ante zurück. …
Statt mehr gibt es künftig weniger aktuelle Kultur auf dem
,Kulturradio’ WDR 3.“
Die Kritik ist längst beidseitig. Der Programmdirektor des
NDR, Gernot Romann, bezeichnet die Kritiker des Programms von NDR
Kultur als „Kultur-Ajatollahs“. Die Kritiker selbst
verweisen auf den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks. In einer Entschließung der Mitgliederversammlung
der „Akademie der Künste“ vom 5.6.2004 wird kritisiert
und gefordert: „Einer so genannten Durchhörbarkeit und
den vermeintlichen Interessen eines jüngeren Publikums verpflichtet,
werden anspruchsvolle Wortsendungen und zeitgenössische Musik
verdrängt, Feature-Termine gekürzt, Literatursendungen
gestrichen oder auf unattraktive Sendeplätze verschoben. Der
öffentlich-rechtliche Rundfunk, noch immer eine der wichtigen
Kulturinstitutionen, läuft Gefahr, seinen intellektuellen Anspruch
preiszugeben: auf der Jagd nach Publikumsquoten im Wettbewerb mit
den am Kommerz orientierten Sendern riskiert er Eigenart und Qualität.“
Der Deutsche Musikrat, sozusagen der höchste Rat der musikalischen
„Kultur-Ajatollahs“ hat sich eingeklinkt und stellte
am 18. August 2004 fest: „Um jüngere Menschen an das
Kulturradio heranzuführen, ist der Versuch zu beobachten, Kulturkanäle
verstärkt zum Begleitradio zu entwickeln. Man entfernt sich
dadurch aber von anspruchsvollen musikalischen Konzepten mit der
Gefahr einer qualitativen Verflachung bis hin zur Beliebigkeit.
Kein Wunder also, wenn sich kulturell anspruchsvolle Hörerkreise
enttäuscht abwenden und den Kulturkanälen verloren gehen.“
Wenn das mal nicht ein Angriff auf die Rundfunkfreiheit ist, die
Gernot Romann fürchtet? Immer klarer wird: Es geht inzwischen
um eine Kulturfreiheit des Rundfunks als eine Befreiung von Kultur.
Martin
Hufner
|