Ist das Stadium der Sicherheit im Notentext erreicht, so ist aber unbedingt zu empfehlen, zunehmend ohne Klavier zu proben. Zum einen wird das Klavier von den Chorsängern oft akustisch gar nicht wahrgenommen, wenn der gesamte Chor singt. Zum anderen widerspricht der Klavierton dem homogenen Chorklang und auch als Mittel zur Intonationsschulung ist das Klavier ungeeignet. Angenommen, der Chor hat in der Probe die Ausgangstonart eines Stückes verlassen, obwohl er vom Klavier begleitet wurde: Die Chorsänger vergleichen dann jeden gesungenen Ton mit dem Klavierton und versuchen, meist vergeblich, die Originaltonart wieder zu erreichen. Der Chorklang wird dadurch sehr verkrampft und unfrei, das klangliche Ergebnis ist für die Sänger unbefriedigend und die Ursache für die Intonationsschwäche ist nicht gelöst. Dieses aktive Korrigieren des ganzen Chores widerspricht grundsätzlich dem Sinn der Intonationsarbeit. In der Regel ist die Ursache für ein Intonationsproblem nur ein Einzelton, der ungenau getroffen oder unbewusst vernachlässigt wird und damit einen ganzen Abschnitt aus seiner Lage geraten lässt. Verzichtet der Chorleiter auf das Klavier, so kann er den Chorklang viel besser beurteilen und die Intonationsarbeit effektiver gestalten: Er kann den Einzelton oder die Einzelstimme heraushören und benennen, der oder die Grund für die Intonationstrübung ist, und dann ganz konkret an der Verbesserung dieses Tons oder der Phrase arbeiten. Die Sänger werden einerseits gezielt auf die betreffende Ursache aufmerksam gemacht, das heißt für die musikalische „Schwierigkeit“ sensibilisiert, ihnen werden andererseits konkrete Korrekturmöglichkeiten vermittelt. Intonationsschulung als Arbeit beim ChorklangDie Arbeit an der Intonation wirkt sich unmittelbar auf den Klang des Chores aus. Ausgangspunkt ist die Verlagerung der Konzentration von der eigenen Stimme hin zur Funktion der eigenen Stimme im Gesamtklang. Die Chorsänger sollen das Gefühl bekommen, dass die gesungenen Töne in der Harmonie „einrasten“ und der Klang tragfähig ist. Ziel muss sein, der Intonation eine Intention zu geben, um damit den Klang zu verfeinern. Dabei ist immer auf die Balance zwischen der musikalischen Linie und der zu Grunde liegenden Harmonie zu achten. In diesem Spannungsfeld ist es zunächst der Zielklang, der die Schrittgröße der einzelnen Stimmen endgültig festlegt. Von kleinen Tonschritten hat der Chorsänger kein genaues Hörbild, er orientiert sich vorwiegend an der zu Grunde liegenden Harmonie und ist durch das Voraushören des harmonischen Zieles in der Lage den jeweiligen Tonschritt einzupassen.
Dieses Prinzip, „stabiler Klang – bewegliche Melodik“, ist die Grundlage der Intonationsarbeit”. Die natürlich-harmonische Stimmung bietet eine sichere Grundlage für die Intonationsschulung. Basis sind die reinen Intervalle der Oktave, Quinte und auch die Naturterzen. Bei richtiger Einstimmung geben sie das Gefühl eines völlig in sich ruhenden Klanges, der schwebungsfrei klingt. Das geschieht jedoch nur, wenn neben der Tonhöhe auch auf die einheitliche Tongebung mit gleicher Vokalfärbung und Lautstärke geachtet wird. Dieses Prinzip der reinen Intervalle und ruhenden Klänge dient vor allem der Sensibilisierung und Stabilisierung für bestimmte Klänge. Belebt wird der Chorklang jedoch vor allem durch die Beweglichkeit bestimmter Tonschritte, die beispielsweise aus einer „ruhenden“ eine „leittönige“ Terz werden lassen. Darin liegt der Reiz der Arbeit an der Intonation. Es wurde zudem untersucht, ob solch kleine Tonhöhenunterschiede vom Chorsänger tatsächlich wahrgenommen werden können. Dabei spielt das Phänomen des „Zurechthörens“ eine entscheidende Rolle. Es beschreibt die Unabhängigkeit der Intervallauffassung von genauer Intonation. Untersuchungen haben ergeben, dass es tatsächlich möglich ist, bei isoliert dargebotenen Klängen unterschiedliche Stimmungssysteme zu erkennen. Das bloße Empfinden, ob ein Klang „sauber“ ist, erlaubt dagegen viel größere Toleranzen. Entscheidend ist es daher, die Chorsänger für diese kleinen Unterschiede zu begeistern. Musizieren mit historischem InstrumentariumBeim gemeinsamen Musizieren eines Chores mit „historischem“ Instrumentarium muss der Chor ganz bewusst von der natürlich-harmonischen Stimmung abweichen können. Er muss in der Lage sein, über die bloße Transposition hinaus, sich in die andere „Stimmung“ zu versetzen. Ein Beispiel: In der mitteltönigen Stimmung sind die Terzen in den zur Verfügung stehenden Tonarten rein, die Quinten sind etwas enger als die reinen Intervalle. Vor allem sind es aber die unterschiedlichen Größen der Halbtöne, die besonders beachtet werden müssen. In der A-cappella Musik ist vor allem die Ausrichtung auf die harmonischen Zielklänge von Bedeutung, dem sich die melodischen Schritte beweglich anpassen. In der von Instrumenten begleiteten Chormusik muss nun auch den melodischen Schritten besonderes Augenmerk gelten, nicht nur wenn bestimmte Instrumente die Chorstimmen mitspielen. Meiner Meinung nach besteht die einzig praktikable Möglichkeit in der Verwendung einer entsprechend gestimmten Orgel schon im Einstudierungsprozess. Der Chorsänger kann nur auf diese Weise ein Gefühl für dieses System entwickeln. Die Orgel muss dann die Chorstimmen vor- und mitspielen, um den Sänger für die unterschiedlichen Tonschritte zu sensibilisieren. Eine Einstudierung A-cappella oder mit Klavier ist nicht sinnvoll und eine spätere Einbeziehung der Orgel oder der anderen Instrumente käme dem Erlernen eines neuen Stücks gleich. Anweisungen, bestimmte Tonschritte enger als gewöhnlich zu singen sind zu ungenau, als dass sie dauerhaft verlässlich umgesetzt werden könnten. Setzt man aber die Orgel rechtzeitig im Einstudierungsprozess ein, so ist bei entsprechender stimmlicher Qualität des Chores durchaus eine spürbare Änderung der Intonation erkennbar. Inwieweit sich nun die Anwendung einer solchen Stimmung im Chorgesang auf das A-cappella- Singen auswirkt, müsste noch untersucht werden.
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