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Kulturpolitik

Ein Theaterleben

Rolf Mares im Gespräch

Dass er Hamburgs Theatergeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg ein Stück mit gestaltet habe: Nein, nie würde Rolf Mares das von sich behaupten. Bescheiden ist der 71-Jährige trotz seiner verschiedenen Direktorenposten im hanseatischen Kulturleben bis heute geblieben. Deutsches Schauspielhaus, Thalia Theater, Hamburgische Staatsoper: An allen Hamburger Staatsbühnen wirkte der einstige Finanzbeamte in den vergangenen vier Jahrzehnten als Herr der Zahlen, zuletzt etablierte er die Komödie Winterhuder Fährhaus als Deutschlands erfolgreichstes Privattheater. Doch als Mares jüngst vom Hamburger Senat mit der Biermann-Ratjen-Medaille für seine Verdienste ausgezeichnet wurde, dankte er vor allem seinen „wunderbaren Mitarbeitern“. Und der Hansestadt, die ihm die vielen Ämter gegeben habe – obwohl er nie ein Parteibuch besessen hat. Christoph Forsthoff sprach mit dem ehemaligen Theaterchef, Kulturpolitiker (er saß bis zum letzten Herbst für die CDU in der Hamburger Bürgerschaft und leitete den Kulturausschuss) und HSV-Präsidenten, der nach einer schweren Leukämie-Erkrankung jeden Tag genießt, „den ich noch habe“.

Oper & Tanz: Bei aller Sorge um die Gesundheit: Haben Sie sich über die Auszeichnung mit der Biermann-Ratjen-Medaille gefreut?
Rolf Mares: Ja – vor allem, da es der damalige Kultur-Senator Hans Harder Biermann-Ratjen war, der mich 1964 aus der Finanzbehörde herausgelöst und zum Verwaltungsleiter des Deutschen Schauspielhauses ernannt hat.

O&T: Eine ganz neue Position in jeder Hinsicht...
Mares: ...in der Tat: Denn ob Sie am Schreibtisch sitzen und ohne Gegenpart und Widerrede entscheiden oder plötzlich jeden Tag in einem Theaterbetrieb mit Menschen zu tun haben, für deren Wohl und Wehe man mit verantwortlich ist, das ist ein großer Unterschied.

O&T: Haben Sie diesen Wechsel aus der ruhigen Beamtenposition in die turbulente Theaterwelt jemals bereut?
Mares: Nein, nie! Im Gegenteil: So hart die Arbeit im Theater stellenweise auch war, bin ich dieser Stadt doch außerordentlich dankbar, dass sie mir alle Positionen, die ich angestrebt habe, gegeben hat. Das Theater war und ist noch heute mein Leben.

   

Der Theatermanager Rolf Mares. Foto: Winterhuder Fährhaus

 

O&T: Nach zwei Jahren wechselten Sie dann 1966 als Verwaltungsdirektor an das Thalia Theater, 1974 ging dann Ihr „allergrößter Traum in Erfüllung“, wie Sie selbst sagen: Sie wurden Staatsoperndirektor.
Mares: Ich habe zur Musik immer eine ganz besondere Beziehung gehabt, hatte schon als Kind Klavier und Blockflöte gespielt – die Musik war für mich etwas ganz Wunderbares.

O&T: Der Wechsel zur Musik war Ihr größter Traum – und auch Ihre größte Herausforderung?
Mares: Ja, die größte Herausforderung war und bleibt die Leitung der Hamburgischen Oper, als Staatsoperndirektor mit Everding, Dohnanyi und Liebermann: Da gingen nun mein größtes Hobby und meine große Zuneigung auf in meinem Beruf – eine irrsinnige Herausforderung. Am Abend der Entscheidung bin ich vom Thalia Theater zur Staatsoper gegangen und habe sie viermal umkreist: Hier angekommen zu sein, das war für mich das Allergrößte.

O&T: Und in der Folge sicher auch die Begegnung mit einigen der allergrößten Sänger.
Mares: Ja, mit Placido Domingo etwa verbindet mich bis heute eine große Freundschaft. Und insbesondere an einen seiner Auftritte denke ich noch heute mit Schmunzeln zurück: Es war im Sommer 1974, die Fußball-Weltmeisterschaft hatte gerade begonnen. Nun ist Domingo ja wie ich ein großer Fußball-Fan und just am Abend seines Auftritts fand in Hamburg das Spiel der Bundesrepublik gegen die DDR statt, das wir unbedingt sehen wollten. Unmöglich bei einem Vorstellungsbeginn um 18 Uhr, und so bat er mich, den Beginn vier Stunden vorzuziehen. Einige Mitarbeiter der Oper erklärten mich für verrückt und auf mir lag das große Risiko, ob ich mittags um 14 Uhr das Haus zu erhöhten Eintrittspreisen ausverkaufen würde. Aber alles ging auf, das Haus war ausverkauft, es gab Ovationen. Geduldig nahm Domingo fast eine Stunde mit Martina Arroyo als Aida den Zuspruch entgegen – dann markierte er vor dem Vorhang einen Fußball-Schuss und flehte das Publikum an, ihn doch zu entlassen. Das geschah – und wir rasten mit der Taxe ins Stadion, wo wir in allerletzter Sekunde, unmittelbar vor dem Anpfiff ankamen. Fazit: Eine grandiose künstlerische Darbietung und eine Pleite der deutschen Nationalmannschaft mit 0:1 – trotzdem wurden wir in dem Jahr Fußball-Weltmeister.

O&T: War das Verhältnis zu den Primadonnen und Star-Tenören immer so entspannt?
Mares: Nun, ich erinnere mich an eine „Liebestrank“-Inszenierung, in der Luciano Pavarotti den Nemorino singen sollte. Wir hatten uns auf die damalige Höchstgage von 25.000 Mark geeinigt und standen am Anfang der Proben, als Pavarotti zu mir kam und erklärte, statt des vereinbarten Honorars wolle er ein Pferd. Einen Hengst aus einem nahe Hamburg gelegenen berühmten Gestüt – ich war sprachlos. Erzählte dann Everding von dieser Forderung und wir waren uns einig, den Wunsch abzulehnen. Woraufhin Pavarotti seine Gagen-Wünsche deutlich erhöhte. Bei schwierigsten Verhandlungen einigten wir uns – künstlerisch wurde es ein grandioser Erfolg bei sieben ausverkauften Vorstellungen.

O&T: Mit der Biermann-Ratjen-Medaille werden Ihre Verdienste um die Kultur in Hamburg gewürdigt: Worauf sind Sie selbst denn stolz?
Mares: Fast unzumutbar war für mich, 1979/80 neben der Staatsoper übergangsweise auch das Deutsche Schauspielhaus zu leiten. Mit Everding und Dohnanyi hatte ich ja zwei hochklassige Intendanten, die jedoch als künstlerische Intendanten häufig auf Gastspielen in der ganzen Welt unterwegs waren – und dann trug ich die alleinige Verantwortung für das Haus. Dieses Jahr der Doppelfunktion, das war ohne Frage die größte Herausforderung meines Lebens.

O&T: Sie haben Hamburgs Kulturleben über fünf Jahrzehnte verfolgt – was hat sich verändert in dieser Zeit?
Mares: Früher war doch vieles besser: Ich habe Aufführungen gesehen von unglaublicher Klasse und allerhöchster künstlerischer Qualität. Solche Highlights gelingen heute zu selten.Wir brachten den „Otello“ raus in der Inszenierung von Everding, Domingo sang und Levine dirigierte. Karl Böhm dirigierte „Elektra“ in der Besetzung Varnay, Rysanek, Nilsson: Das habe ich alles erlebt, und ich werde es nie vergessen.

O&T: Haben die Künstler heute nicht mehr diese Qualität?
Mares: Zumindest die Ensembles haben heute nicht mehr die Qualität von früher. Schon die Sänger kleinerer Rollen können heute an großen Häusern an einem Abend das verdienen, was sie früher im Monat verdienten – da reisen sie natürlich lieber durch die Welt, als sich an ein Haus zu binden...

O&T: Müssten die Opernhäuser also mehr Geld aufwenden, um den hoch begabten Nachwuchs im Ensemble zu halten?
Mares: Früher fühlten sich die Künstler an einem Haus unter der liebevollen Betreuung des Intendanten einfach wohler. Und die Spitzen der Theaterwelt und die Sänger waren nicht darauf aus, in der ganzen Welt zu gastieren: Heute sind die Künstler da sehr materiell ausgerichtet – wie die ganze Gesellschaft.

O&T: Neben den Künstlern spielt heute das Geld am Theater eine immer entscheidendere Rolle. Können Sie die Klagen der Intendanten über die mangelhafte Subventionierung nachvollziehen?
Mares: Das Problem ist, dass die Theater belastet sind durch Tarifverträge für Technik, Verwaltung und Kollektive, deren Gehälter von Jahr zu Jahr steigen. Wenn ich als Staat drei oder vier Prozent mehr Lohn aushandele, dann muss ich das auch den Theatern oben drauf packen – anderenfalls muss ich Leute entlassen oder es geht zu Lasten der künstlerischen Qualität: Darüber muss ich mir im Klaren sein. Solange es wirtschaftlich noch zu vertreten ist, kann ich auch die Eintrittspreise erhöhen – wenn ich aber damit das Haus leer spiele, dann gerät dies zum Fiasko und führt letztlich dazu, dass wir etliche Theater in Deutschland schließen müssen.

O&T: Mit dem Geld kommt ja auch immer die Politik ins Spiel: Hat sich das Verhältnis Politik-Kultur in Hamburg im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Mares: Es ist härter geworden, weil der Kampf ums Geld so in den Vordergrund gerückt ist. Es wird ja kaum noch über Kunst, Kultur und die Klasse der Aufführung gesprochen, sondern nur noch über Einnahme-Solls und Platzausnutzung, über die Zuschüsse und Zuwendungen an die einzelnen Theater. Und kein Theater kommt mit seinem Geld aus: Hier wird auch die Hauptaufgabe der neuen Hamburger Kultursenatorin Dana Horáková liegen – einen Weg zu finden und in klarer deutlicher Diktion zu sagen: Ich habe nicht mehr, ich bin bereit, euch das und das zu geben – wollt ihr dafür in dieser Stadt Theater in höchster Qualität gestalten? Die künstlerische Fantasie und eine gewisse Bescheidenheit müssen wieder in den Vordergrund gestellt werden.

O&T: Ist aus Ihrer Sicht bei der Regierungsbildung vieles schief gelaufen, weil Ole von Beust das Thema Kultur nicht ernst genug genommen hat?
Mares: Die Kultur ist so vielfältig und diffizil in ihrer Breitenwirkung nach innen und außen, dass sie mit ganz besonderer Behutsamkeit angepackt werden muss. Und das hat man ganz klar unterschätzt. Ich sehe das mit einer gewissen Sorge und kann nur hoffen, dass Herr von Beust mit Frau Horáková eine gute, sachliche Lösung und einen Menschen gefunden hat, der bereit und in der Lage ist, sich in kürzester Zeit den Problemen zu stellen, Klartext zu reden und Hamburg strahlen zu lassen. Mit faulen Kompromissen geht das Ganze nicht. Die Kultur ist ja leider ein Stiefkind in der deutschen Gesellschaft und insbesondere in der Politik, doch sie ist lebensnotwendig.

 

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