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Notstand Bildungspolitik
Ein Kommentar von Inge-Susann Römhild
Leider ist Musikunterricht in den allgemein bildenden Schulen alles andere als endgeil. Unsere
Kinder und Jugendlichen leben mit ihrer eigenen musikalischen Sprache, die wir landläufig zusammenfassend
als Popularmusik mit verschiedensten Stilen bezeichnen. Nur wenigen engagierten Lehrern gelingt es, bei den
Schülern Interesse zu wecken und Qualität zu vermitteln, nicht selten leiden die Pädagogen an
Ratlosigkeit, wie sie die Quadratur des Kreises in der Musikvermittlung für Jugendliche lösen sollen.
Eltern, Lehrer und Schulbeiräte, die bereits selbst keinen motivierenden Musikunterricht erhalten haben,
leugnen die Nützlichkeit des Faches an allgemein bildenden Schulen, weil sie seine positiven Auswirkungen
auf mangelnde Konzentrationsfähigkeit, soziale Kompetenzen und visionäre Kreativität nicht kennen.
Die Hochschulen als Ausbildungsinstitute der Musiklehrer scheuen den Spagat, indem sie entweder der kulturell
gewachsenen klassischen Tradition den eindeutigen Vorrang gewähren oder die Popularmusik auf den Schild
heben, ohne die Studierenden in beiden Richtungen zu überzeugender Lehre zu befähigen. Musik in der
Gesellschaft entwickelt immer mehr Eventcharakter, wobei das fast ebenso für die Klassik als auch für
die Popularmusik gilt. Sie vegetiert als Häppchenkultur und Hintergrund, deren Infiltrationspotenzial unbemerkt,
jedoch nicht ungenutzt bleibt, während man gleichzeitig Schularbeiten oder Smalltalk macht, bummelt oder
sich sehen lässt.
Es gibt kein Patentrezept, um jeder dieser Tatsachen, Haltungen und Einschätzungen gerecht zu werden und
sie so zu verändern, dass sie Musik hoher Qualität und jeden Stils den Rang verschaffen, der ihr gebührt.
Indes müssen alle, die mit Musik befasst sind, sei es produzierend, komponierend oder interpretierend,
möglichst gemeinsame Ansatzpunkte suchen, die zunächst einmal frei von materiellen Überlegungen
sein sollten. Beispielsweise nützt es der Musikindustrie wenig, einmalig in den Printmedien ihren Einsatz
für Musik in der Schule mit einem Event in Anwesenheit eines Ministers zu lancieren. Stetigkeit,
Behutsamkeit und Qualitätsbewusstsein sind die Rezepte, mit denen man agieren muss. Bildungsschwäche
lässt sich nicht allein an Defiziten im Rechnen, Schreiben und Lesen messen. Es muss die Freude an der
Arbeit und an Leistung belebt werden, wie auch am eigenen Tun und Üben. Blickwinkel und Bildungshorizont
müssen erweitert, der Gewinn durch Initiative aufgezeigt werden. Das Elternhaus wird häufig durch
Doppelverdiener und exzessiven Freizeitkult, der auf Konsum gerichtet ist, geprägt. Kinder werden ruhig
gestellt und beschäftigt, anstatt mit wertvoller Musik, Literatur oder Malerei bekannt gemacht, konfrontiert
und dazu angeleitet zu werden. Die meisten Eltern haben bereits eine ähnliche Jugend erlebt und sind mit
der erzieherischen Aufgabe überfordert.
Da das Elternhaus selten mehr in der Lage ist, die erzieherische Aufgabe im Sinn unserer Jugendlichen wahrzunehmen,
muss die Hauptarbeit an den gesellschaftlichen Problemen vor allem in den Kindergärten und in den Grundschulen
geleistet werden. Dort kann der Samen, der allein den Erhalt unseres über Jahrhunderte gewachsenen Kulturgutes
bewirken kann, Musik am Leben erhalten. Gemeinsames Hören und Erzeugen von Klängen und Rhythmen in
Kombination mit Bewegung und Spiel sind die Voraussetzungen für späteres Differenzierungsvermögen
und Qualitätsbewusstsein.
Um den Stellenwert von Musik zu erhöhen, müssen die Verantwortlichen in Kultur und Bildung unpopuläre
Auffassungen, Überzeugungen und Entscheidungen vertreten. Ein Mitstreiter drückt es so aus: Politiker
müssen sich wieder trauen, Politik zu machen, nicht nur den Schaden gleichmäßig zu begrenzen.
Mit Schuldzuweisungen hat das übrigens nicht das Geringste zu tun, eher mit Bildung, Weitsicht und Prioritäten,
die unserer Jugend eine erlebenswerte Zukunft bescheren könnten.
Die
Autorin ist Rektorin der Musikhochschule Lübeck und Präsidentin des Landesmusikrats Schleswig-Holstein
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