Entdeckung in Chemnitz
Der Fliegende Holländer in der Urfassung · Von Werner Wolf
Die intensive Auseinandersetzung mit Richard Wagners Tannhäuser und den drei Varianten der
so genannten Dresdener Fassung für die Inszenierung von 1995/96 bewog jetzt die Oper Chemnitz, auch bei
der Neueinstudierung des Fliegenden Holländers auf die Urfassung zurückzugreifen. Die
hatte Wagner als Oper in einem Akt und drei pausenlos ineinander übergehende Aufzüge angelegt.
Schon beim Tannhäuser hatte sich gezeigt, dass die nach der Uraufführung in Dresden
zwischen 1845/47 vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen in der letzten Szene des dritten Aufzugs
heute entbehrlich sind. Sie sollten vor allem künstlerischen Unzulänglichkeiten der Interpreten abhelfen
und dem Auffassungsvermögen der damaligen Theaterbesucher entgegen- kommen. Heute wirkt dagegen der knappere,
bündigere Schluss in jeder Hinsicht überzeugend. Auch die erst nachträglich von Wagner komponierten
Aktschlüsse des I. und II. Aufzugs des ursprünglich einaktigen Holländers entstanden unter Rücksichtnahme
auf Publikumsgewohnheiten.
Die Chemnitzer Inszenierung lässt die ursprüngliche Kraft dieser Musik, ihre naturhafte Gewalt erleben.
So ganz traut der Chemnitzer Operndirektor Michael Heinicke dem Original aber doch nicht. Da stürmt der
Holländer nach seinen letzten Worten mit Blitzesschnelle an Bord seines Schiffes, die ihn bedingungslos
liebende Senta stürzt sich nach ihrem Treueschwur ins Meer und bewirkt so den Untergang des Schiffes. Das
wirkt mit der leidenschaftlichen Musik bezwingend. Heinicke aber lässt beide nach ihren letzten Worten
eher bieder auf der Bühne tot umfallen.
Auf dem Ankerplatz der Bühne geht es bewegt und im Ganzen auch spannungsgeladen zu. Den spielfreudigen
Opern- und den Extrachor setzt der Regisseur mit der reichlich genutzten Drehbühne noch in zusätzliche
Bewegung. Jürgen Freier als ständiger Gast der Oper Chemnitz lässt ausdrucksdicht singend und
konzentriert spielend den Holländer ganz aus dem Geist dieser Urfassung erleben und hat in Susan Marie
Pierson eine ebenbürtige Partnerin.
Der neue Chefdirigent Niksa Bareza, der die ursprüngliche Kraft der Musik im Programmheft nachdrücklich
beschreibt, benötigt eigenartigerweise mit der Robert-Schumann-Philharmonie eine ganze Strecke, ehe alles
so beschwörend klingt.
Werner
Wolf
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