Ist Münchens soeben glanzvoll wiedergewählter Oberbürgermeister Christian Ude zum Kulturbanausen
geworden, weil er den fälligen Umzug des Volkstheaters zurückstellt und im Stadtrat laut darüber
nachdenkt, ein paar Dutzend Leute in den städtischen Kulturbetrieben zu entlassen, gar Schulen
zu schließen? Was denkt sich Wuppertals OB Hans Kremendahl, wenn er die überfällige Sanierung
der städtischen Theatergebäude zum Entsetzen des TÜVs weiter hinauszögert und den Bühnenbetrieb
an den Rand der Unterfinanzierung treibt? Weiß Erfurts OB Manfred Ruge, was er tut, wenn er das Schauspiel
und das Kinder- und Jugendtheater schließt und den Betriebszuschuss für das Musiktheater kürzt?
Welcher Teufel reitet Schwäbisch Halls OB Hermann-Josef Pelgrim, die städtische Kunstgalerie abzustoßen,
das Museum zwei Tage in der Woche geschlossen zu halten und die Fortführung der Freilichtspiele in Frage
zu stellen? Und sind die Kommunalpolitiker insgesamt von allen guten Geistern verlassen, weil sie in den vergangenen
Jahren die Zuschüsse für die städtischen Musikschulen um rund fünfundzwanzig Prozent gekürzt
haben?
Diese beliebig verlängerbare Liste stellt ihre Fragen falsch. Nicht am Geisteszustand der hier akutell-zufällig
ausgewählten Stadtväter sind Zweifel angebracht, sondern am Verstand der für die Finanzpolitik
Verantwortlichen in der rot-grünen Bundesregierung.
Puren Unsinn nennt Münchens Stadtkämmerer Klaus Jungfer des Bundesfinanzministers
so genannte Sparpolitik, und sein OB Ude fügt hinzu: Bund und Länder schließen mit ihren
Steuergesetzen sittenwidrige Verträge auf dem Rücken der Kommunen. Jungfer kann im Haushalt
2002 mit den laufenden Einnahmen nicht einmal die Kosten der Referate, geschweige die Tilgungs- und Zinsdienste
der laufenden Kredite erwirtschaften: Zu den 2,5 Milliarden Euro bereits vorhandener Schulden kommt eine Netto-Neukreditaufnahme
von 0,5 Milliarden Euro hinzu. Damit verstößt das reiche München klar gegen die
bayerische Kommunalhaushaltsverordnung. Mindestens ebenso dramatisch ist die Haushaltssituation in Erfurt und
Frankfurt am Main, in Chemnitz und Wuppertal, in Gelsenkirchen und fast überall.
So auch in Schwäbisch Hall. Auf die dort ansässige Bausparkasse kann die Stadt dank Hans Eichels
Steuersenkungsgesetz 2000 nicht mehr vertrauen: Sie zahlt schlicht keine Gewerbesteuer mehr. Damit fehlt Schwäbisch
Hall ein Drittel seines bisherigen 150 Millionen-Etats. Die Bausparkasse macht zwar unverändert satte Gewinne,
verrechnet sie aber mit den Verlusten anderer Firmen der neuen genossenschaftlichen DZ-Bank in Frankfurt, deren
Bestandteil sie durch Fusion geworden ist. So einfach ist das bundesweit. Der Vorsitzende des Bayerischen Städtetages
Josef Deimer spricht von gesteuerten Verlusten und spielt damit auf die Fusionspolitik von Großbanken
und Konzernen, auch auf die steuergesetzlich den Firmen ermöglichten Verlust-Vorträge aus den für
rund 50 Milliarden Euro gekauften UMTS-Lizenzen an, die niemand anderes als der Bundesfinanzminister vor allem
zu Lasten der Kommunen und ihrer Bürger kassiert hat.
Konsequenz der Steuersenkungsgesetze bei gleichzeitiger Anhebung des Gewerbesteuer-Umlagesatzes zu Gunsten
des Bundes gekoppelt mit Wirtschaftsflaute, hoher Arbeitslosigkeit und Überwälzung von Sozialaufgaben
auf die Kommunen ist es, dass die steigenden Defizite der Kommunalhaushalte dem Bundesfinanzminister
im nächsten Jahr den Blauen Brief der EU garantieren, den er in diesem gerade noch vermeiden
konnte. Die vom Deutschen Städtetag angemahnte Gemeindefinanzreform ist auf die nächste Legislaturperiode
verschoben worden.
Wen wundert es da, dass die eingangs falsch adressierten Fragen ebenso falsch an den Deutschen Bühnenverein
zu richten sind, ist dort doch die Stadttheatergruppe mit 88 Theatern und 25 Orchestern die stärkste Gruppierung
der Rechtsträger. Auch dort prägt das Sein des schwindenden Geldes das schwindende Bewusstsein. Und
wie sollen die nicht zuletzt dem Erhalt der Kultur verpflichteten Künstler-Gewerkschaften sich verhalten,
wenn jetzt meist gut gemeinte, oft aber auch abenteuerliche Pläne zur Privatisierung der Bühnen und
Orchester, zum Ausstieg aus den Tarifvertragsbindungen, zu einer Tarifpolitik ohne Gewerkschaften ausgegraben
werden?
Sind Kultur und Bildung bald ganz in der Gosse, frag nach dem Warum die Genossen der Bosse.
Ihr
Stefan Meuschel
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