Portrait
„Opera Meets New Media“
Die Ausstellung „Puccini, Ricordi und der Aufstieg der modernen Unterhaltungsindustrie“
Giacomo Puccinis hundertster Todestag (am 29. November 2024) wirft seine Schatten voraus. Auch und gerade in Berlin, wo der Medienkonzern Bertelsmann in seiner pompösen Repräsentanz (der rekonstruierten alten Kommandantur) Unter den Linden 1 am Beispiel Puccinis den Aufstieg der modernen Unterhaltungsindustrie in einer Medieninszenierung sichtbar macht und dem Besucher dafür neben klassischen Exponaten auch mehrere audiovisuelle Installationen zur Verfügung stellt.
Umschlag des Ausstellungskatalogs, Prestel-Verlag, Frankfurt am Main 2024.
In der sehenswerten Ausstellung wird mit ausgewählten, zum Teil erstmals zu sehenden Exponaten aus den Beständen des Archivio Storico Ricordi das Zusammenspiel von Oper und Medien beleuchtet, um die Modernität von Puccinis Wirken darzustellen, dessen Werke seit mehr als hundert Jahren zu den weltweit meistaufgeführten Opern gehören. Damit wirft die Ausstellung ein neues Licht auf die „Ära Puccini“, dessen Verlag an der Industrialisierung und Internationalisierung des Musiktheaters im frühen 20. Jahrhundert maßgeblich beteiligt war.
Das Archivio Storico Ricordi (das seit 1994 Bertelsmann gehört) ist eine der bedeutendsten Musiksammlungen der Welt und bewahrt unter anderem die Manuskripte sämtlicher Puccini-Opern auf (mit Ausnahme von „La Rondine“). Darüber hinaus beherbergt es eine umfangreiche ikonographische Sammlung mit Dokumenten zu Uraufführungen und Premieren.
Gezeigt werden in einer Lese-Schau auf Tafeln, Bildschirmen und in Vitrinen Dokumente, Bühnenbild- und Kostümentwürfe, Plakate, Libretti, Partituren und Geschäftskorrespondenz, aber auch früheste Puccini-Opernfilme (auch Stummfilme), Schellackplatten, erste Radios und Grammophone, Partituren und Filmausschnitte, in denen Puccini höchstselbst zu sehen ist, in seinem Anwesen in Torre del Lago, bei der Entenjagd, im Automobil, in New York und in der Casa Ricordi (dem Stammsitz seiner Verleger). Auch Briefe, Geschäftsunterlagen, Kompositionsregister, Zeitschriften und viele weitere Zeitzeugnisse sind zu sehen. Thema sind ferner Puccinis bedeutendste Dirigenten (darunter Toscanini) und Sänger (Claudia Muzio, Enrico Caruso, Beniamino Gigli, Pasquale Amato u.a), und last but not least Puccinis Skizzen zum geplanten, aber wegen seines Ablebens nicht von ihm, sondern von Franco Alfano ausgeführten „Turandot“-Finale. Auch der Rechtsstreit zwischen Puccini und Ricordi wegen der populären Vermarktung einiger Nummern aus „Madama Butterfly“ 1923 kommt zur Sprache.
Puccini war ein Pionier der multimedialen Selbstdarstellung seiner Person und seiner Werke. Die Ausstellung demonstriert dies eindrucksvoll. Er wurde zu einer der international ertragreichsten „Marken“ des wohl bedeutendsten italienischen Musikverlags. Die „Markenbildung“ rund um den erfolgreichsten Komponisten, die Entwicklung neuer, moderner und effizienter Verlags- und Marketingstrategien zur Vermarktung des Opernrepertoires sowie dessen global expandierendes Geschäft ist das zentrale Thema der Ausstellung. Exponate und Installationen dokumentieren die Herausforderungen der damals neuen Medien für das bestehende Urheberrecht und die Rechteverwertung.
Es war eine singuläre Symbiose aus wirtschaftlichem Handeln und künstlerischem Schaffen, die Puccini und seine Verleger (Giovanni, sein Sohn Tito und auch dessen Sohn Giulio Ricordi) auszeichnete. Der rasante Aufstieg von Tonträgern und Film zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Konkurrenten für Operntheater und das expandierende Geschäft der Musikverlage steht im Fokus der Ausstellung, die deutlich macht, wie Medienumbrüche die Kunst und Kulturwelt beflügeln und verändern, aber auch nationale Inhalte zu internationalem Erfolg führen können.
Eigens für die Ausstellung hat der Designer und Art Director Sascha Geddert historische Bühnenentwürfe mithilfe modernster Technologie und KI animiert, mit erstaunlichen realistischen Details, Texturen und Farben. Ein digitales 3D-Modell des iranischen Digitalkünstlers Hadi Karimi zeigt außerdem Puccini im Alter von 42 Jahren als verblüffend lebensechte Figur. Es ist das Titelbild der Ausstellung wie des beim Prestel Verlag erschienenen, lesenswerten Katalogs. Zu sehen war die Ausstellung von Mitte April bis Mitte Mai.
Dieter David Scholz |