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Mordsmäßig verknallt
Komödiantische und tragische Elemente in „Romeo und Julia“ der neuen Ulmer Tanztheaterdirektorin Annett Göhre

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Mordsmäßig verknallt

Komödiantische und tragische Elemente in „Romeo und Julia“ der neuen Ulmer Tanztheaterdirektorin Annett Göhre

Zeit spielt eine fundamentale Rolle in Annett Göhres eindrücklicher „Romeo und Julia“-Erstaufführung. Zuerst sieht man die Projektion einer riesigen Sanduhr auf dem Eisernen Vorhang, der im Theater Ulm auch den Orchestergraben vom Zuschauerraum trennt. Noch während sich die Schutzwand hebt, beginnt dahinter das Philharmonische Orchester der Stadt unter Leitung von Kapellmeister Nikolai Petersen Prokofjews wunderbar emotional-bildstarke Ballettmusik zu spielen.

In rasantem Tempo eröffnen die Tänzerinnen den Abend – eine Szene später gefolgt von einer nicht minder geschwind ihre Muskeln vergleichenden Männerriege. Wie auf einem Laufband queren alle die Bühnenbreite – noch barfuß und in Unterwäsche. Eine gute Idee, um auf diese Weise die handlungsbestimmenden Teenager mit ihren hormongesteuerten Frühlingsgefühlen einzuführen. Eine der jungen Damen muss Julia sein. Wie ihre Freundinnen hat sie nur die Sorge um die richtigen Klamotten im Kopf. Von der offenen Seitenbühne wird ihr ein pinker Faltenrock zugeworfen.

Carmen Vázquez Marfil und Magnum Phillipy. Foto: Ida Zenna

Bewegungstechnisch geht es heiter und sportiv-zeitgenössisch zu. Einzig die zierliche Maya Mayzel stolziert im schwarz-weißen Kleid als Julias pflichtbewusste Gouvernante hübsch altmodisch auf Spitzenschuhen umher. Dabei reckt sie ihren Allerwertesten im Hohlkreuz meist so weit nach hinten, dass der heimlich kiffende Pater Lorenzo (Gaëtan Chailly) schon mal in verfänglicher Pose dran hängenbleibt oder einer der Ballgäste sein Sektglas drauf abstellt. Humorvoll an Stoffe heranzugehen, ist eine spezifische Eigenart von Göhre seit ihren ersten Choreografien – damals noch als Tänzerin der Ballettkompanie des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München , heute als neue Tanztheaterdirektorin am Theater Ulm.

Die Sanduhr taucht mit Tybalts Erscheinen (Alekseij Canepa als aufrührerischer Alleingänger) erneut auf – als still vor sich hin rieselndes Warnsignal, das über eines der mobilen Hauswandelemente (Ausstattung: Petra Mollérus) flimmert. Doch die zunehmend tragisch verstrickten Figuren reagieren in keiner Weise darauf. Göhre bringt in ihrer aufs Wesentliche reduzierten Inszenierung alles unter: das Hinterhofgezanke der drei Freunde Benvolio (mit versöhnlich-schlichtender Ader: Tsung-Jui Yang), Mercutio (Gabriel Mathéo Bellucci als Draufgänger comme il faut) und Romeo (kampf- und flirtversiert: Magnum Phillipy), ferner den von Gräfin Capulet (mit mütterlicher Dominanz: Alba Pérez González) veranstalteten Ball, ebenso Julias Brief für Romeo und last but not least zwei sehr unterschiedliche Trauerzüge.

Die letzte choreografische Neuinszenierung von Shakespeares berühmtem Liebesdrama hat der Italiener Roberto Scafati vor zwölf Jahren am Theater Ulm herausgebracht. Nun stellt Göhre ihre erzählerischen Qualitäten mit ihrem ersten Abendfüller für das personell zwar kleine, aber feine Ensemble unter Beweis. Toll gelingt ihr an entscheidenden Stellen, den Eindruck von Masse zu erzeugen. Heftige Gefechte lässt sie außer Sichtweite stattfinden und konfrontiert das Publikum stattdessen nur mit den impulsiven Reaktionen der Hauptprotagonisten. Sogar die leidenschaftlichsten Passagen zwischen Romeo und Julia werden dramaturgisch so raffiniert wie tänzerisch berührend gelöst – mitunter ergänzt um bildgewaltig für sich selbst sprechende Videoeinspielungen von Silvio Motta.

Nach zwei intensiven Stunden kommt es, wie es kommen muss: Romeo ersticht sich, weil er Julia für tot hält (keineswegs zerbrechlich und immer bereit, die Initiative zu ergreifen: Carmen Vázquez Marfil). Julia erwacht, noch ehe sein Leben völlig erloschen ist, und bleibt angesichts der Scherben ihres kurzen Glücks allein zurück. Göhre lässt sie zunächst vom Selbstmord zurückschrecken und wie vor der Einnahme des zum Scheintod führenden Gifts ein Solo auf großer Treppe tanzen, das unmissverständlich menschliche Regungen, Angst und Ausweglosigkeit zum Ausdruck bringt.

Bloß elf Tänzerinnen und Tänzer stemmten den dynamisch-straffen Handlungsverlauf treu der literarischen Vorlage. Stürmischer Schlussapplaus für eine rundum gelungene Premiere.

Vesna Mlakar

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