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Eine musikalische Sternstunde

„Tannhäuser“ an der Oper Frankfurt unter neuem GMD Thomas Guggeis

Mit keinem anderen Werk hat Wagner so gerungen wie mit dem „Tannhäuser“, in dem sein Lebensthema, der Kontrast zwischen Eros und Agape, sinnlicher wie geistiger Liebe, zum ersten Mal und paradigmatisch thematisiert wird. Es existieren nicht weniger als vier Fassungen. Die vierte (für Wien 1875 bearbeitete) Fassung letzter Hand wurde allerdings erst 2003 komplett als Partitur in der neuen Wagner-Gesamtausgabe veröffentlicht. Es ist die Version mit der größten (von Wagner überhaupt vorgeschriebenen) Orchesterbesetzung von 145 Musikern. Doch obwohl er diese Fassung als musterhaft verstand, war er auch damit nicht zufrieden. Gattin Cosima bekannte er am 23. Januar 1883: „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig.“

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Die Wiener Fassung hat nun der neue GMD der Oper Frankfurt, der erst 31-jährige Thomas Guggeis, eindrucksvoll einstudiert und dirigiert. Er hat das Orchester der Frankfurter Opern- und Museumskonzerte zu einer nicht nur präzisen und klangopulenten, sondern auch ebenso rauschhaften wie sensiblen, bis in die feinziselierten Nebenstimmen transparenten Interpretation animiert. Immerhin ist der „Tannhäuser“ ein „hybrides Werk“ (Guggeis), das musikalisch Traditionelles wie Neuartiges, Magisches, aber auch Dis­parates auszeichnet, eine Reverenz an die Form der romantischen Oper und doch schon auf dem Weg zum Musikdrama als „symphonische Oper“ (Egon Voss). Die Frankfurter Aufführung ist musikalisch, aber auch sängerisch sensationell, da man ein rundum erstklassiges Ensemble zusammengestellt hat.

Sängerin des Abends ist die international gefeierte Sopranistin Christina Nilsson, die eine lupenrein intonierende, trompetenhaft unangestrengte, warm strahlende Elisabeth gibt. Die Venus von Dshamilja Kaiser wartet mit betörendem Mezzosopran auf. Der weltweit gefragte Tenor Marco Jentzsch meistert die schwierige Titelpartie mit schlanker, gut fokussierter, schöner Stimme, sowohl lyrisch, als auch dramatisch gestaltend. Seine Rom-Erzählung ist überwältigend.

Zu Recht gefeiert vom Premierenpublikum wurde auch der fulminante, nobel gestaltende Bass Andreas Bauer Kanabas als Landgraf von Thüringen. Auch auf den jungen, aufstrebenden Tenor Magnus Diet­rich, auch er Ensemblemitglied, kann die Frankfurter Oper stolz sein. Er singt einen strahlend klaren Walther von der Vogelweide, der in dieser Fassung sein ansonsten kaum je zu hörendes Lied vortragen darf. Ein Paradebeispiel an Klangschönheit und Gesangskultur ist der ebenfalls hauseigene Bariton Domen Križaj. Aber auch der Rest der Sängerequipe ist vorzüglich. Einhelligen Jubel erntet auch der scheidende Chordirektor Tilman Michael, der an die New Yorker Metropolitan Opera wechselt. Er lässt den Chor und Extrachor der Frankfurter Oper zu eindrucksvoll bewegender, großer Form auflaufen.

Die Inszenierung von Matthew Wild ist dagegen befremdlich, aber konsequent durchgeführt. Aus Tannhäuser wird ein deutscher Schriftsteller (Heinrich von Ofterdingen), der vor den Nazis in die USA flüchten muss. Dort schreibt er einen berühmten Roman („Montsalvat“) und gewinnt den Pulitzer-Preis. Durch Sex, Alkohol und Drogen enthemmt, bekennt er sich zu seiner Homosexualität (Thomas Manns „Tod in Venedig“ lässt grüßen) und schockt damit die prüde Wartburggesellschaft, die der Regisseur in die katholische Maris Stella University in Kalifornien umfunktioniert. Raphaela Rose steckt das Personal in 60er Jahre-Kostüme.

Elisabeth ist Tannhäusers größter Fan und sucht nach dessen Tod (sie selbst stirbt entgegen Wagner Anweisung nicht) Notizen seines neuen Romans und schreibt anschließend ein eigenes Werk zu seinem Gedenken.

So fragwürdig diese Konzeption, so faszinierend ist ihre szenische Umsetzung zwischen drehbarem Universitätshörsaal und dreifach aufklappbarem Hotelzimmer. Psychedelische Projektionen, Videos und ein Pandämonium mythologischer Gestalten (Amor, Bacchus und Jupiter als Adler, der Hl. Sebastian, Ganymed und Satyrn, ein schwarzer Bock, Botticellis Venus als Mann) machen den suggestiven Reiz dieser psychologisch aus­holenden, virtuos theatralischen, anspielungsreichen Produktion aus, die zumindest musikalisch als Sternstunde bezeichnet werden darf.

Dieter David Scholz

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