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Eigentlich geht es uns gut
Das Theater für Niedersachsen · Von André Mumot Ohne das Publikum geht gar nichts mehr, ohne den Rückhalt
der Bevölkerung kann kein Theater mehr überleben. Als
die Stadt Hildesheim in diesem Frühjahr verlauten lässt,
dass sie zwecks der eigenen Entschuldung auch über eine Streichung
ihrer Zuschüsse für das Theater für Niedersachsen
(TfN) nachdenkt und damit eine Schließung in Kauf nimmt,
bricht er los, der Sturm der Empörung.
Rückhalt im Publikum
In den sozialen Netzwerken des Internets, auf der Straße,
an der Pförtnerloge werden Unterschriften für den Erhalt
gesammelt, nicht nur in den Medien vor Ort brechen die Diskussionen
los, die so typisch geworden sind für die Theaterlandschaften
unserer Gegenwart. An einer der Ampeln in unmittelbarer Nähe
des Stadttheaters, das wacker auf seinem kleinen Innenstadt-Hügel
thront, klebt noch immer einer der „Cultura non olet“-Zettel.
Das Theater aber, das steht inzwischen fest, bleibt von der Streichung
verschont. Der Druck ist zu groß gewesen, das Bewusstsein,
dass kulturelle Identität unverzichtbar ist. „Vielleicht
ist es auch einfach nur eine Frage der Zahlen gewesen“, stellt
Intendant Jörg Gade trocken fest. „Die Stadt zahlt 3,2
Millionen ans TfN, aber der gesamte Etat von 15 Millionen wird
von uns hier in der Stadt ausgegeben. Das ist ja auch etwas, das
wirtschaftlich denkende Menschen überzeugen sollte.“ Kein guter Start
Es erstaunt, aber Jörg Gade kann gelassen und mit ruhiger
Klarheit auf die bisherige Geschichte des TfN zurückblicken,
die mit der Fusion von Stadttheater Hildesheim und Landesbühne
Hannover 2007 mehr als holprig begann. Zwei Institutionen gingen
damals eine heikle Zweckgemeinschaft ein: ein Dreispartentheater,
mit Oper- und Schauspielbetrieb und kleiner Ballettcompagnie, sowie
eine Landesbühne mit reinem Schauspielensemble, versehen mit
der Aufgabe, in den ensemblelosen Städten Niedersachsens Theater
zu spielen. Für beide wurde 2004 die Kündigung der Zuwendungsverträge
durch das Land Niedersachsen zur Schicksalsstunde, war sie doch
verbunden mit der Ankündigung, den Theateretat um zehn Prozent
zu reduzieren. Für Hildesheim hätte dies den Wegfall
mindestens einer Sparte bedeutet und für die Landesbühne
vermutlich das komplette Aus.
Das TfN sollte außerdem mit einer Deckelung der Zuwendungen
leben müssen, Tarifsteigerungen wurden nicht mehr von den
Geldgebern übernommen. Das Ergebnis: Schon im April 2008,
wenige Monate nach Beginn der ersten Spielzeit, stand das TfN vor
der Insolvenz, weil die Tarife um acht Prozent angehoben wurden,
während zugleich das Pub-likum reserviert und skeptisch blieb.
Die Einsparungen wurden verschärft, die ehrgeizigen Ziele
beschnitten. Die ursprünglich gut 300 Mitarbeiter wurden auf
250 reduziert, die ehemalige Heimspielstätte der Landesbühne
in Hannover geschlossen, Ensembles verkleinert, der Spielplan gekürzt.
Immerhin: 650 Aufführungen in der letzten Spielzeit. Man sitzt
im Bus, man singt, man spielt, man spart. Man überlebt. Modellfall
„Das hat auch damit zu tun, dass wir wirtschaftlich auf
mehreren Füßen stehen“, erklärt Jörg Gade. Ja,
das mobile Stadttheater ist ein kompliziertes Konstrukt: Seine
Gesellschafter sind die Stadt Hildesheim, der Landkreis Hildesheim
(beide geben jeweils 3,2 Millionen Euro pro Jahr) sowie der Zweckverband
Landesbühne Hannover (650.000 Euro), der sich wiederum aus
4 Mitgliedern zusammensetzt: der Region Hannover sowie den Kommunen
Nienburg, Gronau und Bad Bevensen. Der größte Zuschussgeber
mit 6,2 Millionen ist das Land Niedersachsen. Damit ist das Theater
für Niedersachsen eine Art Modellfall. Eine Institution, von
der man Kunst und Kasse gleichermaßen erwartet, höchste
Flexibilität und zugleich das Backen kleiner Brötchen.
Aber es funktioniert: Gerade die Gastspielorte sind zufrieden
mit dem bunten, vorsichtig modernisierten und mit Herzblut präsentierten
Angebot. Es scheint fast eine Selbstverständlichkeit zu sein,
dass hierfür von Anfang an die Ballettcompagnie aufgegeben
und durch eine Musical-Company ersetzt werden musste. „Das
ist ja bisher ein Unikum“, betont Gade. „Ein festes
Musical-Ensemble an einem Haus, das dann auch gleichzeitig auf
Tour geht.“ Und sitzt man dann in einer dieser Musical-Aufführungen,
versteht man auch, dass sich die Entscheidung gelohnt hat. Das
Ensemble spielt nicht das, was jeder zur Genüge kennt, sondern
amerikanische Beinahe-Klassiker, auch Neu- oder Wiederentdeckungen,
und sorgt für größten Publikumsjubel. In der vergangenen
Spielzeit wurde so eine rauschhaft-übermütige Inszenierung
von Bernsteins „On the Town“ zum Triumph, eine freundlich-beschwingte „Footloose“-Produktion
zum Herzenswärmer. Zur Zeit sorgt „Der Mann von La Mancha“ für
volle Reihen, und Musical-Company-Chef Christian Gundlach (der
das Haus zur nächsten Spielzeit allerdings verlassen wird)
hat mit „Das letzte Einhorn“ wieder einmal auch ein
eigenes Werk uraufgeführt – ein Fantasy-Märchen,
das zwar musikalisch nicht viel mehr als gefällige Routine
aufbietet, aber genug Charme und Originalität besitzt, um
die großen kommerziellen Einheitsproduktionen alt und kalt
aussehen zu lassen. Überhaupt: das Musiktheater. „Wir haben nicht damit gerechnet,
mehr als 5 Opern pro Spielzeit auswärts aufführen zu
können“, sagt Gade, „aber ganz schnell lagen wir
bei 15 bis 20.“ Ein Faktum, das gewiss auch mit ihm zu tun
hat: Generalmusikdirektor Werner Seitzer ist eine Instanz, ein
Urgestein des Stadttheaterapparates. 1985 kam er nach Hildesheim
(als man hier noch hauptsächlich für Operetten bekannt
war) und ist dem Haus auch mit der Fusion treu geblieben „Ich
bin ein Überzeugungstäter in Sachen Provinz“, betont
Seitzer und erklärt, was ihm nach wie vor vorschwebt: „Wir
wollen Volksoper machen – auch für das Flächenland
Niedersachsen. Ich möchte, dass unser kulturelles Erbe in
möglichst breiten Schichten verankert wird, dass die Leute
ein Bewusstsein aufrechterhalten dafür, dass es mehr gibt
als Shoppen und den neuesten Flachbildschirm.“ Breites Spektrum des Populären
Wer auf Vermittlung setzt, muss auch das Populäre betonen.
In dieser Spielzeit steht neben einer mit furiosem Witz inszenierten „Glücklichen
Reise“ von Eduard Künneke eine öde „Bohème“,
eine vertrackt-komische, üppig ausgestattete Produktion von „Hoffmanns
Erzählungen“ – und eine sehr erfolgreiche Inszenierung
von Giuseppe Verdis „Aida“. Aber Werner Seitzer, der
gern auch Leos Janácek, Benjamin Britten und Hans Werner
Henze aufs Programm setzt und im Februar die Operneinakter „Erwin
und Elmire“ von Othmar Schoeck sowie „Der zerbrochene
Krug“ von Viktor Ullmann präsentieren wird, scheut keineswegs
die Herausforderung.
Nichts hat das so deutlich zum Ausdruck gebracht, wie Seitzers
auch von der Presse hoch gelobte Produktion von Richard Wagners „Meistersingern“,
die in der Spielzeit 2009/2010 das 100-jährige Bestehen des
Stadttheaters feierte – mit 60-köpfigem Orchester, einem
altdeutschen (dem Hildesheimer Marktplatz nachempfundenen) Bühnenbild
und großen Extrachören, die aus der Hildesheimer Bevölkerung
zusammengestellt wurden. Selten ist es wohl gelungen, Stadt und
Theater so stark miteinander zu verbinden, eine so starke Identifikation
zu erreichen. Wichtige Rolle: Der Chor
Der feste Opernchor selbst ist ohnehin klein, verfügt gerade
einmal über 18 Mitglieder. Hinzu kommt jedoch der von Werner
Seitzer gegründete Symphonische Chor, der heute von Achim
Falkenhausen geleitet wird. Insgesamt kommen hier rund 100 Sängerinnen
und Sänger zusammen, und nachdrücklich wird der Nachwuchs
gefördert: „Wer bei uns in den großen Opern mitmachen
will, muss erst mal hier durch“, sagt Seitzer. In vom Chor
selbst ausgerichteten Produktionen wie dem Kindermusical „Honk“ oder
einer Aufführung von „Fame“ mit Jugendlichen werden
zugleich erste Auftritte vor großem Publikum möglich
gemacht.
Es waren die Hildesheimer Bürger, die sich bereits im Jahr
1902 zusammenschlossen, um den Bau ihres eigenen Theaters zu finanzieren,
das 1909 eröffnet wurde. Und so ist es dann auch kein Wunder,
dass sie heute bereit sind, mit großen Unterschriftenaktionen
für ihr Theater für Niedersachsen zu streiten. „Die
Kinderkrankheiten haben wir hinter uns“, resümiert Intendant
Jörg Gade und lächelt. „Wir sind inzwischen ein
Jahr früher als erwartet wieder liquide. Und bis 2014 sind
wir abgesichert, die Deckelung wurde jetzt aufgehoben, keine neuen
Kürzungen stehen an.“
Ein bisschen klingt es, als könne er es selber kaum glauben,
als er noch hinzufügt: „Eigentlich geht es uns gut.“
André Mumot
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