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Im Schatten des Musiktheaters
Die Stadt München und ihr Tanztheater · Von Malve Gradinger
Traurig, aber Fakt: Die Kunst der Bewegung tanzt in München
immer noch im Schatten des Musiktheaters. Das gilt fürs Bayerische
Staatsballett wie für das Staatstheater am Gärtnerplatz.
Hier treten im Herbst 2012 – nach ungewöhnlich kurzer,
nur fünfjähriger Amtszeit von Intendant Ulrich Peters
und Tanzchef Hans Henning Paar – Klagenfurts Intendant Josef
Ernst Köpplinger und sein bisheriger Hauschoreograf Karl Alfred
Schreiner als neuer Tanzchef an. Was nicht unproblematisch ist,
angesichts der im Mai 2012 beginnenden Sanierung des Hauses.
Peters und Paar hätten – und ja auch mit „einheimischer“ Kompetenz – diese
schwierige Phase gerne auf sich genommen. Von minis-terieller Seite
wurde jedoch anders entschieden. Im Theaterbereich ist zwar ein
Intendantenwechsel und damit ein Wechsel von Künstlern und
Personal ein ganz normaler Vorgang. „Nach acht oder zehn
Jahren auch völlig in Ordnung“, sagt Noch-Tanzchef Paar. „Aber
in nur fünf Jahren kann man sich nicht voll verwirklichen.
Unser Start 2007/2008 fiel in eine wirtschaftlich schwierige Zeit.
Die Leute sind nicht ins Theater gegangen. 2010/2011 aber war für
das Haus die beste Spielzeit seit 16 Jahren. Die Einnahmen des
Tanztheaters haben sich in den letzten 4 Jahren, im Vergleich zu
meinem Vorgänger Philip Taylor, um 75 Prozent gesteigert.
Das Publikum hat sich verjüngt, das ältere ist aber nicht
weggeblieben.“ Ein Erfolg, den er hoffte, noch ausbauen zu
können. Die zunächst schmerzhafte frühzeitige Verabschiedung
hat er inzwischen weggesteckt. Choreograf Paar, demnächst
künstlerisch neu gefordert durch Gastaufträge an der
Oper von Ankara, in Saigon und Hanoi, abgesichert auch durch seine
künftige Tanzleitung unter Ulrich Peters, dem designierten
Intendanten in Münster, argumentiert jetzt ohne Groll, wenn
auch kritisch: „Josef Köpplinger wird mit Gästen
arbeiten – das Sängerensemble wird komplett aufgelöst.
Zu den Umbaukos-ten kommen also noch die Abfindungen. Und es muss
ein ganz neues Repertoire erarbeitet werden.“ Für Paar,
allein schon wirtschaftlich gesehen, „eine vom Kunstministerium
wenig durchdachte Geschichte“.
Das Tanzensemble bleibe zwar mit seinen zwanzig Tänzern erhalten: „Es
wird aber nur noch zwei Tanzabende bekommen. Wir hatten immerhin
pro Saison drei Premieren und zwei Wiederaufnahmen, dabei die Verpflichtung
zu nur zwei Musical-Produktionen. Ab 2012/2013 werden die Tänzer
durchgehend Musical und Operette bedienen müssen, und zwar,
wie es geplant ist, in einem Ensuite-Spielplan.“ Gekappt
also die in Jahrzehnten hart erkämpfte Unabhängigkeit
der Tanzensembles von Oper und Operette – zurück zum
Status des Serviceleisters? International konkurrenzfähig
Das Gärtnerplatz-Tanztheater mit Paars Tanzdramen – wie „Romeo
und Julia“, letzthin „Das Schloss“ – und
mit seinen abstrakten, stilis-tisch auch durch renommierte Gäste
vielfältigen Abenden ist bis jetzt modern-zeitgenössische
Gegenpol-Ergänzung zum großen Staatsensemble an der
Maximilianstraße. Und die Tänzer können mit ihrer
Brio-Technik mühelos auf dem internationalen Tanzparkett konkurrieren.
Nachfolger Schreiner wollte ja auch, wie man von Paar hört,
zwei Drittel von dessen Tanzensemble übernehmen – aber
nur die Hälfte bleibt. Mithin wäre Paars Prognose nicht
unrealistisch: dass nämlich wegen der Musical-Auflage junge,
heute generell glänzend ausgebildete Tänzer kaum noch
hier vortanzen werden. Und sinkt das Niveau dieses Tanzensembles,
könnte schnell, unter bekanntem Sparzwang, seine Abschaffung
erwogen werden. Gerüchte dahingehend kursierten schon vor
Jahren.
So düster muss es nicht kommen. Wenn Musical und Operette
gut gemacht sind – Intendant Köpplinger hat auf seinem
Gebiet, wie Paar betont, einen guten Ruf –, sind möglicherweise
auch Top-Tänzer interessiert. Außerdem ist München
als Stadt sehr attraktiv. Und Karl Alfred Schreiner, wenn auch
erstmals Tanzchef, hat langjährige choreografische Erfahrung.
Als Tanzschöpfer, die ihn beeindruckt haben, nennt er Pina
Bausch, Meg Stuart, Sasha Waltz, William Forsythe, Wayne McGregor,
Wim Vandekeybus, also wichtige Erneuerer von Neoklassik bis Tanztheater
und Physical Dance in den 1980er-Jahren. „Ich liebe Dynamik,
gehe aber trotzdem nicht in die komplette Abstraktion“, gibt
Schreiner eine Idee seiner Handschrift. Hauptsache: Gutes Musiktheater
„Für mich muss eine Bewegung immer motiviert sein.
Wenn mich etwas innerlich bewegt, dann hoffe ich auch, andere zu
bewegen.“ Angesprochen
auf den Verlust der bisher gültigen, zumindest relativen Eigenständigkeit
des Tanzensembles meint Schreiner: „Wenn der Intendant den
Tanz fördert, sehe ich keinen Rückschritt in das alte
System. Und wenn man ein Stück ernst nimmt, sehe ich auch
keinen Unterschied zwischen Oper, Operette und Tanzabend.“ Ebensowenig
solle man in einer Musiktheater-Produktion die einzelnen Sparten
und Mitwirkenden kritisch bewertend auseinanderdividieren. Es gehe
nicht um Unterordnung und Zuarbeiten, sondern darum, mit allen
verfügbaren Kräften „gutes Musiktheater zu machen,
um dem Publikum einen schönen Abend zu bescheren“. Das
Ziel der neuen Intendanz sei es, „als ganzes Haus aufzutreten,
von einer Plattform aus“. Angst vor den sanierungsbedingten
vier Ersatzspielstätten Cuvilliés-, Prinzregententheater,
Reithalle und dem Fröttmaninger Zelt des Deutschen Theaters
hat Schreiner nicht: „Ich habe es im Leben nie einfach gehabt,
bin an den Schwierigkeiten immer gewachsen. Für mich ist die
Arbeit am Gärtnerplatztheater eine große Aufgabe, auf
die ich mich freue. Aber wenn die Realität mir beweist, dass
ich der Falsche bin, werde ich die Konsequenzen ziehen.“
Dem Bayerischen Staatsballett wird der gebürtige Prager Ivan
Liska nach 14-jähriger Leitung nun bis 2015/2016 vorstehen.
Die Vertragsunterzeichnung hatte sich bis in den Dezember verzögert – wegen
spezifischer Vertragseinzelheiten: unter anderem die angefragte,
aber nicht gewährte finanzielle Unterstützung für
die von Liska gemeinsam mit der Ballettakademie und der Heinz-Bosl-Stiftung
gegründete Junior Company, wie man von Liska erfuhr. Ein weiterer
Verhandlungspunkt mag die Absicherung des 1989 von Liska-Vorgängerin
Konstanze Vernon erhandelten Unabhängigkeits-Verhältnisses
des Balletts von der Oper gewesen sein. Liska, ein überaus
vorsichtiger Mann, hat sich diesbezüglich nur in Andeutungen
geäußert, betonte aber mehrmals, er wolle, „dass
die 22-jährige Geschichte des Bayerischen Staatsballetts sich
uneingeschränkt entwickelt“. In Anbetracht von Sparzwängen – die
am Gärtnerplatztheater ab Herbst zu einer rückschreitenden
Umstrukturierung führen – könnte eine erneute Operndominanz über
das Ballett durchaus zu befürchten sein. Liska beteuerte jedoch,
er sei weiterhin mit eigenem Budget und eigener Spielzeit-Planung
völlig selbstständig. Zur Festschreibung dieses Status
für die Zukunft wäre – nach den Beispielen John
Neumeier in Hamburg und Vladimir Malakhov in Berlin – seine
Ernennung zum Ballettintendanten sinnvoll gewesen. Um diesen absichernden
Titel sollte sich dann 2016 unbedingt sein Nachfolger bemühen.
Malve Gradinger
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