Vermittlung von Musik- und Opernstoffen an ein junges Publikum setzen sich permanent mit diesen Transformationsprozessen auseinander, die mal zu mehr, manchmal auch zu weniger phantasievollen Versionen führen. Konsumenten zu aktiven Teilnehmern werden zu lassen, ist Ziel dieser Prozesse, die oft darauf verweisen: Was wir für ein Original halten, hat mindestens ebenso viel mit dem Prozess der Entstehung und seinen Schöpfern zu tun wie mit dem Prozess der Rezeption und Einordnung. Die Konstruktion des Originals gelingt also nur, wenn es auch Rezipienten gibt, die es als ein solches wahrnehmen wollen. Originalität, Kreativität und vielleicht sogar Genialität entstehen immer im Auge und im Ohr des Betrachters. Was bewegt uns am musikalischen Original, um dessen Bewahrung es einerseits, um dessen Transformation und Vermittlung es andererseits geht? Sagen lässt es sich mitunter schwer, zur Erscheinung bringen aber doch: mit Geschichten, in Partizipationen und über Inszenierungen und nicht zuletzt durch die Musik als auditives Phänomen selbst. Welche Formen aber gibt es, der Originalität die ihr angemessene und eigentümliche Ausdrucksweise zu ermöglichen? Status quo – Beobachtungen„jop! – der junge ohren preis“ sucht nach Formen, Foren und Formaten für musikalischen Einfallsreichtum und ist inzwischen eine Art Seismograph für die Heranführung junger Hörer an Musik geworden. Mit steigender Bewerberzahl beobachtet er die Szene hinsichtlich ihrer Entwicklungen. Er befasst sich mit inszenierten oder moderierten Konzerten und musikalischen Märchen ebenso wie mit musikalisch-literarischen Features, Performances und experimentellem Musiktheater. Soziokulturelle wie rein konzertante Formate, die sich dem Weg zum Erlebnis Musik verschrieben haben, finden gleichermaßen Berücksichtigung. Zwischen 80 und 120 Projekte aus Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie Luxemburg bewerben sich jährlich. Der Wettbewerb um den „jop!“ mit seinem intensiven Auswahlverfahren unterteilt dabei in drei Kategorien: „Best Practice“, „Musik und Medien“ und „LabOhr“, eine experimentelle Kategorie, die sich oft im Zusammenhang mit zeitgenössischer Musik der Sensibilisierung für die auditive Wahrnehmung widmet.
„YEAH! – Young EARopean Award“ bewegt sich im europäischen Kontext. Erstmalig 2010 ins Leben gerufen hat „YEAH!“ über ein Jahr nach Ideen gesucht, die Formen des traditionellen Konzertbetriebs aufbrechen und Kreativität freisetzen – in unterschiedlichen Ländern, in unterschiedlichen Sprachen. 170 Projekte aus 30 Ländern haben sich diesem Wettbewerb und seinem Aufruf gestellt. Dabei wurde deutlich: Nicht nur Länder und Regionen, auch die Musik selbst hat unterschiedliche sprachliche Schichten, man könnte sogar sagen unterschiedliche Sprachen, die sich aus Atmosphären, Klängen, Rhythmen und Gesten fügen. Ihre Unterschiedlichkeit zeigt sich nicht erst im Produkt, also im Konzert, der Performance oder Installation, sondern bereits im Prozess ihrer Herstellung – und natürlich im Rahmen ihrer Vermittlung. Sie ist Ausdruck kultureller Vielfalt in sich selbst. Wettbewerbe wie „jop!“ und „YEAH!“ zeigen Ausschnitte regionaler, nationaler und internationaler Entwicklungen im Musikleben und nehmen darüber hinaus die Haltung einer Gesellschaft ihrer Kultur gegen-über wahr. Sie gehen dabei beobachtend vor und sammeln auf diese Weise Informationen. Dieses Verfahren ist näher an der Feldforschung als an der repräsentativen Umfrage: Es ist auf Handlungen und Reaktionen beschränkt, kann also Meinungen und Einstellungen nicht direkt erfassen, kann aber Daten erheben, die anderen Verfahren verborgen bleiben. Status quo – ErhebungenDie „KulturBarometer“-Reihe des Zentrums für Kulturforschung (ZfKf) ist eine periodisch durchgeführte repräsentative Bevölkerungsumfrage zu wechselnden kulturellen Fragestellungen. Sie startete mit ersten Umfragen in den 1970er-Jahren und griff 1984 Fragen zum Konzertverhalten der Bevölkerung auf. Systematisiert wurden sie in der Reihe „KulturBarometer“. Nach einer umfassenden Umfrage 1993/94 und 2004/05 stellte das ZfKf in Kooperation mit der Deutschen Orchestervereinigung die Ergebnisse einer Neuauflage vor, laut derer sich Opernhäuser und Orchester in Deutschland 2010/11 wieder über mehr Besucher freuen können: Gestoppt werden konnte zum ersten Mal nach sechs Jahren der Rückgang der jährlichen Konzert- und Musiktheaterbesucher in Deutschland. Eine Kehrtwende? Wohl leider noch nicht ganz, denn der Zuwachs bezieht sich nicht auf ein steigendes Interesse junger Leute. Im Gegenteil: Der Anteil der Besucher über 65 Jahre stieg überproportional, während er bei den unter 25-Jährigen erneut sank. Die Entwicklung hin zum älteren Klassikpublikum könnte sich parallel zum allgemeinen demografischen Wandel vollziehen. Die Gesellschaft altert. Unabhängig davon zeigt sich aber eine interessante Tendenz: Der Klassikfan ist weiblich – und zwar unabhängig vom Alter. Was hält die Erhebung sonst noch fest? Das Gros des Publikums besucht jährlich nur ein Live-Konzert. Präferenzen sind weniger eindeutig – der „Kulturflaneur“ bleibt ein typisches Phänomen im gegenwärtigen Musikleben. Lediglich drei Prozent der Bevölkerung gingen mehr als dreimal im Jahr in die Oper oder ins Konzerthaus. Jeder dritte Befragte hat schon einmal ein Bildungs- beziehungsweise Vermittlungsangebot in einer Kultureinrichtung besucht. Bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund und in den neuen Bundesländern ist der Besucheranteil von Bildungsangeboten etwas höher, als in der allgemeinen Bevölkerung. Deutlich erhöht ist der Anteil der Bildungsbesucher unter den Besuchern von E-Musikkonzerten und Musiktheatern (51 beziehungsweise 52 Prozent). Bei der Frage nach der Hauptaufgabe der Orchester nannten 48
Prozent der Befragten an erster Stelle die Nachwuchsarbeit. Noch
stärker
unterstreichen die aktuellen Konzert- und Musiktheaterbesucher
(54 Prozent) die Aufgabe, junge Menschen für das musikalische
Erbe zu begeistern. Weitere Wünsche an die Orchester sind
für 42 Prozent aller Befragten „der Gesellschaft niveauvolle
Unterhaltung zu bieten“, 39 Prozent erwarten, dass allgemein „das
kulturelle Musikerbe bewahrt“ wird. „Dass derzeit ein
weiterer Abwärtstrend verhindert werden konnte, liegt am Zuwachs
des Publikums ab 65 Jahren. Die jungen Altersgruppen bis 24 Jahren
konnten nach wie vor nicht ausreichend angesprochen werden. Deshalb
muss künftig noch verstärkt Jugendarbeit geleistet werden,
um das Publikum von morgen zu sichern“, sagt Susanne Keuchel,
Geschäftsführerin des Zentrums für Kulturforschung. Für die deutschen Opernhäuser und Orches-ter bedeutet die erfreuliche Trendwende einen Ansporn zu noch mehr Vermittlungsarbeit. Ein langer Atem scheint dabei Voraussetzung zu sein, da die Bildungs- und Vermittlungsangebote der Orchester, mit denen verstärkt junge Leute gewonnen werden sollen, nur langfristig greifen. Ein Grundschulkind wird erst in zehn oder fünfzehn Jahren ein potenzieller Konzertbesucher. Nachwuchsarbeit in den Orchestern und Musiktheatern sollte also intensiviert, doch gleichermaßen sollte mit neuen Vermittlungs- und Konzertformaten experimentiert werden. Das zahlreicher werdende ältere Publikum wird noch über Jahre die Besucher-bilanzen verbessern und stabilisieren. Doch das junge Publikum muss auch in Zukunft mit immer neuen intelligenten, innovativen und kreativen Projekten über die Schwellen der Opern- und Konzerthäuser gebracht werden. Die Wege dorthin sind vielfältig. Das Zentrum für Kulturforschung empfiehlt daher, Bündnisse mit dem Bildungssektor und den Medien zu suchen, um den „Erlebnis- und Unterhaltungsfaktor“ beim Konzertbesuch für alle Zielgruppen zu stärken. Eintrittspreise sollten differenzierter gestaltet werden, um das Finanzbudget einzelner benachteiligter oder auch junger Zielgruppen zu berücksichtigen. Auch die Vernetzungen mit regionalen Akteuren vor Ort kann dabei helfen, die Zahl der Befürworter von Musiktheater und Orchestern zu erhöhen. Jenseits aller Erhebungen und Beobachtungen gilt es, immer wieder neu die Frage zu stellen: Was bewegt uns an Musik? Was ist wichtig, wohin geht der Weg mit ihr? Wie können Tendenzen erspürt und Akzente gesetzt werden? Welche Formen finden wir, innere Motivation und äußere Anreize in eine Balance zu bringen, damit das öffentliche Bewusstsein für ein Thema nicht nur temporär inszeniert, sondern langfristig und immer wieder einfallsreich wachgehalten wird? Aus diesen Fragen werden wir trotz Wettbewerben und Studien nicht entlassen, so lang die gesellschaftliche Haltung unserer Kultur gegenüber nicht zur selbstverständlichen Ausbildung zum Menschsein gehört, sondern im Gegenteil aus dem Alltag in Familie und Schule weiter verdrängt wird. Ingrid Allwardt
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