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Brennpunkte · Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Neues von „Friss oder Stirb“ aus Mecklenburg-Vorpommern · Von
Sylke Urbanek Nach erfolgter Wahl und Personalwechsel im Bildungs/Kultusministerium
wird die Hoffnung auf eine Erhöhung der Landesmittel für
die stark gebeutelten Theater in Mecklenburg-Vorpommern zunichte
gemacht. Wie man immer wieder in der Presse lesen kann, ist der
neue Kultusminister Mathias Brodkorb nicht bereit, den Theatern
unter die Arme zu greifen. Er delegiert das Problem an die Kommunen – wenn
sich die Kommunen Theater leisten wollen, dann müssen sie
das auch finanzieren. Er verlangt wieder neue Strukturen und Fusionen
und verweist auf die Tatsache, dass die Landesausgaben für
Theater je Einwohner in Mecklenburg etwa doppelt so hoch liegen
wie in
Bayern. Einwohnerdichte, Arbeitslosenzahlen, Durchschnittsgehalt,
Teuerungsrate etc. lässt er dabei außen vor. Mecklenburg-Vorpommern
hat die geringste Bevölkerungsdichte Deutschlands, obwohl
es das sechstgrößte Bundesland der Republik ist. Der
Vergleich mit Bayern hinkt also erheblich.
Der Minister versichert, dass es keine vorgefertigte Meinung
gebe, wie die künftige Theaterlandschaft im Land aussehen soll:
Aber er hat eine neue Idee: Er orientiert sich am Hochschulpakt
von 2006, welcher beinhaltet, dass bis zum Jahre 2017 jede fünfte
Stelle wegfällt. Das Land finanziert an den Hochschulen eine
bestimmte Anzahl von Studienplätzen, im Gegenzug verlangt
es den Abbau der Stellen. Friss oder stirb! Keine Alternativen!
Damals hatte es massive Proteste von Hochschulleitungen und Studenten
gegeben, inzwischen ist es ruhig geworden um das Thema. Zum Thema Theater – hier ist in den letzten Jahren schon
deutlich mehr als jede fünfte Stelle abgebaut worden! – ist
die Aussage vom Minister: „Wenn die Kommunen zu einer konsequenten
Reform bereit sind, bin ich bereit zu Gesprächen über
einen langfristigen Theaterpakt“. Die von der Volksinitiative „Theater
und Orchester sind unverzichtbar“ gesammelten 47.000 Unterschriften
von Menschen in Mecklenburg in nur 7 Wochen scheinen ihn offensichtlich
wenig zu interessieren. Die Unterschriften sollten die Schweriner
Landesregierung dazu bewegen, die Mittel in Mecklenburg-Vorpommern
für die Kultur zu erhöhen und die jetzt bestehenden Theaterstandorte
und Orchester zu erhalten. 15.000 Unterschriften waren nötig,
damit sich der Landtag mit dem Thema befasst. Erreicht wurden 47.000 – ein
phantastisches Ergebnis und ein klares JA der Bevölkerung
zu ihren Kulturstandorten und den beschäftigten Künstlern.
Wird sich die Landesregierung diesem Votum entziehen können?
Wir müssen es abwarten und die Angst begleitet uns jeden Tag,
denn schnelle und noch dazu positive Entscheidungen haben wir nur
sehr selten in den vergangenen 15 Jahren erlebt, leider.
Sylke Urbanek
Wahlversprecher
Die desolate Haltung gegenüber den Belangen der Kultur im
Land Mecklenburg-Vorpommern (s. Artikel von Sylke Urbanek) zeigt
sich auch im Briefwechsel der Künstlergewerkschaften mit der
Staatskanzlei. Die Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer
hatte zeitgleich mit der Deutschen Orchestervereinigung und der
GDBA einen Brief an den Ministerpräsidenten des Landes, Erwin
Sellering, gerichtet (s.u.).
Die Antwort fiel mehr als lapidar aus. Der Leiter des Ministerpräsidenten-Büros
teilte mit, sein Chef habe ihn gebeten, das Schreiben an das „zuständige
Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Beantwortung
weiterzuleiten“. Freundlicherweise wird noch ein Ansprechpartner
mit Telefonnummer genannt. Davon, dass er höchstpersönlich
ein Wahlversprechen in Sachen Kultur abgegeben hatte, dass er eben
die Kultur zu seiner eigenen Sache hatte machen wollen, will der
MP heute anscheinend nichts mehr wissen.
Pikant ist dabei, dass soeben eine Anfrage des Bühnenvereins
bei der VdO einging, in der um die Aufnahme von Haustarifverhandlungen
für das Volkstheater Rostock gebeten wird. Dass die Bereitschaft
der Gewerkschaften vor dem Hintergrund der kultur-unfreundlichen
Haltung im Lande gering ist, mag wohl niemanden überraschen.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident
Sellering,
da sich leider die Situation der Theater und Orchester in Ihrem
Bundesland weiter zuspitzt, sehen sich die Tarifparteien Deutsche
Orchestervereinigung (DOV), Vereinigung deutscher Opernchöre
und Bühnentänzer (VdO) und Genossenschaft Deutscher
Bühnen-Angehöriger (GDBA) genötigt, Sie an Ihr
Wahlversprechen zu erinnern, die Kultur in Mecklenburg-Vorpommern
zur Chefsache zu machen. Wir gehen davon aus, dass Sie dabei
auch die Ansichten der Vertreter der betroffenen Musiker und
Theaterschaffenden einbeziehen werden, und bitten Sie deshalb
um einen zeitnahen Gesprächstermin.
Wir sehen es als sehr wichtig an, in diesem Gespräch einen
Konsens zu finden zwischen der Kulturpolitik des Landes Mecklenburg-Vorpommern
und den Interessen der Theaterschaffenden und Orchestermitglieder.
Sicher liegt die Lösung der problematischen Kultur- und Theaterfinanzierung
auch in Ihrem Interesse und wir wären sehr dankbar, wenn Sie
für Januar 2012 einen oder mehrere Terminvorschläge unterbreiten
können.
Mit freundlichen Grüßen
Gerrit Wedel
Stellv. Geschäftsführer
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