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Grell-schöne Turandot-Show
Puccini als 3D-Totaltheater in München · Von Wolf-Dieter
Peter Doch, es gab Piano-Stellen: Ekaterina Scherbachenko, die sich
aus Liebe für den Prinzen Calaf opfernde Liù, rührte
in ihrem Todesentschluss mit zarten lyrischen Soprantönen – und
erntete zu Recht den lautesten Sängerjubel. Sogar der sonst
nur wuchtige Marco Berti beantwortete Liùs Hingabe einmal
mit einem an der Rampe ostentativ vorgeführten Piano. Ja,
und auch der berühmte „Mond-Chor“ begann in Sören
Eckhoffs Einstudierung klangschön schwebend. Überhaupt
wird der Staatsopernchor diese Produktion lieben: vokal durfte
er überwiegend strahlen wie die von Chu Uroz entworfenen Kostüme – hinreißend
farbige Kimono-Imitationen, bis ins Grelle gesteigert (Bravo Kostümwerkstätten!).
Immer wieder gab es gezirkelte Aufmärsche als chinesische
Volksmasse, von der Regie immer auch klanggünstig gerundet
in Richtung Publikum oder gleich an der Rampe sitzend wie im „Mond-Chor“.
Ansonsten aber präsentierten Carlus Padrissa und sein spanisches
Theater-Kollektiv „La Fura dels Baus“ Puccinis unvollendet
gebliebene letzte Oper als Tsunami-artiges Totaltheater. Da gab
es Anleihen bei den Kostümen und mehrfach auch bei der Gestensprache
der Peking-Oper. Doch da sich Turandot in Erinnerung an eine verschleppte
und vergewaltigte Vorfahrin frigid bis zur Eiseskälte verhält,
spielt alles auf einer imitierten Eisfläche. Also gibt es
Hockey spielende, kesse Girls auf raffiniert imitierten Schlittschuhen,
die mehrfach durchs Geschehen flitzen. Also tritt Turandot in einem
Eisrahmen samt projizierten Eisbergen im Hintergrund auf und schmilzt
bei jedem durch Calaf beantworteten Rätsel ein Stück
tiefer bis auf Augenhöhe zu ihrem Eroberer. Dazu gibt es Luft-Artisten
an Drahtseilen, die die Mächtigen spektakulär begleiten
oder chinesische Kalligraphieblätter in den Bühnenraum
halten. Die Staatsmacht bietet aber auch mal barbusige Tänzerinnen,
mal eine Breakdance-Gruppe oder mal „Killing fields“-artige
Projektionen mit den Köpfen der an Turandots drei Rätseln
gescheiterten und dann hingerichteten Bewerber, gesteigert zu einem
wohl schon von gefräßigen Raupen gespenstisch wabernden
Berg aus Köpfen in der Bühnenmitte. Die „Volksmillionen“ sitzen
wiederholt in wabenförmigen Kästchen, die aufzugsartig
hoch- und niederfahren, mal beleuchtet, mal nur als Schattenriss.
Alles gipfelt in einer mehrfach herabfahrenden, stilisierten Sonnenscheibe,
in deren Zentrum sich Staatsmacht und Turandot präsentieren.
Dazu taucht auf der Übertitelfläche ein Brillensymbol
auf: Raschelnd setzen sich alle die ausgegebene 3D-Brille auf und
die ja ohnehin dreidimensionale Bühne, speziell aber das Herrschaftssymbol
wird durch virtuelle Projektionen ins Hautnahe gesteigert, Fahnen
wehen, Aufmärsche von Gelehrten und Schutztruppen, Artisten
in der Luft und am Boden, Tänzerinnen, Rollwagen für
den Kaiser – Totaltheater.
Diese technisch stupende Mischung aus „Holiday on Ice“ und „Cirque
du Soleil“ kann man als „Veräußerlichung“ ablehnen – und
ein Gutteil des Premierenpublikums tat dies am Ende lautstark.
Doch man muss sich auch den Show-Charakter von Puccinis Asien-Oper
für das europäische Publikum vergegenwärtigen, vor
allem aber an die ebenso gigantomanischen wie verführerischen
Show-Inszenierungen erinnern, die blutige Diktaturen für Staatsfeiern
oder Sportereignisse noch in unseren Jahrzehnten veranstalten.
Da verdienen Bühnentechnik und Padrissas „Fura“ doch
auch beeindrucktes Staunen – und dazu passte der tosende „Sound“ des
klangprächtig aufspielenden Staatsorchesters unter dem wie
ein heimkehrender Geliebter gefeierten Zubin Mehta. All dieser
Bühnenzauber machte auch vergessen, dass der recht handfeste
Calaf von Marco Berti und die schneidend kalte Turandot-Heroine
von Jennifer Wilson viel an der Rampe agieren durften – im
Gegensatz zu den drei Ministern Ping, Pang und Pong, die die Herren
Previati, Conners und D’Aguanno zu musiktheatralischen Kabinettstückchen
singschauspielerten. Vokal fiel auch noch der edle Bass Alexander
Tsymbalyks als Calafs Vater Timur auf. Und Puccini-Kenner können
sich auch damit trösten, dass alle Opulenz und Show herb endete:
ohne eines der nachkomponierten Finali.
Wolf-Dieter Peter
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