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Konzentriertes Heldentum
Peter Breuers „Siegfried“ in Karlsruhe · Von
Vesna Mlakar Was gut ist, entscheide ich!“ Seit der Spielzeit 2003/2004
regiert Stuttgarts ehemalige Spitzenballerina Birgit Keil (flankiert
von Ex-Ensemblekollege Vladimir Klos) das Ballett am Badischen
Staatstheater Karlsruhe. Ihr Erfolg ist dabei ebenso beachtenswert
wie ihre liebenswürdige, absolut professionelle Resolutheit.
Schließlich müssen von Produktion zu Produktion nicht
nur Zuschauer für das 30-köpfige Ensemble gewonnen, sondern
auch die Sponsoren bei Spendierlaune gehalten werden. Wie das auf
elegante und charmanteste Art und Weise geht, demonstrierte Birgit
Keil im Anschluss an die zwar nicht frenetisch, aber doch heftig
beklatschte „Siegfried“-Uraufführung im nahezu
ausverkauften Großen Haus. Und räumte dabei eventuell
bestehende Zweifel an der Wahl des insgesamt recht düster
geratenen Sujets für die erste Ballettpremiere unter der neuen
Intendanz von Peter Spuhler entschlossen aus dem Weg: „Mit
seinem neuen Werk ‚Siegfried‘ hat Peter Breuer sich
unserem Spielzeitmotto ‚Von Helden‘ gewidmet und die
Sage um den ersten Helden der deutschen Literatur zu einem Ballett
geformt. Die Arbeit mit Peter Breuer bedeutet nicht nur mentale
Hingabe, sondern natürlich vor allem großen körperlichen
Einsatz, denn sein Stil ist ausgesprochen kraftvoll und dynamisch.
Das Ensemble hat sich dieser Herausforderung mit vollem Einsatz
erfolgreich gestellt.“ Das Erstaunliche daran: Man kann nicht
widersprechen. Es stimmt!
Schon die Übernahme von Peter Breuers 2005 in Salzburg uraufgeführtem
Ballett „Tschaikowsky“ war 2008 in Karlsruhe gut angekommen.
Nun also eine Kreation, die inhaltlich auf das mittelalterliche
Nibelungenlied zurückgreift, in seiner musikalischen Zusammensetzung
aus Kompositionen von John Adams, Franz Liszt und Richard Wagner
dabei (natürlich stringent unerfüllt) Assoziationen an
den „Ring“-Siegfried heraufbeschwört. Hat Wagner
doch dem Mythos „Siegfried“ einen Stempel aufgedrückt,
wie kein anderer. Dazu kommt hier – mehr noch als in Dessau,
wo Tomasz Kajdanski Anfang März 2011, ebenfalls mit Dorin
Gal als Ausstatter, „Die Nibelungen: Siegfriedsaga“ (Musik: „Ring
ohne Worte“ von Carlos Kalmar) nach Friedrich Hebbels Dramatisierung
choreografisch umsetzte – die hohe Symbolhaftigkeit der raffiniert-schlicht-multifunktionalen
Bühnenausgestaltung zum Tragen: formverhaftet in einer riesigen
Ringscheibe, die mal von der Decke auf halbe Bühnenhöhe
herabgelassen die Protagonisten quasi ausweglos umschließt,
später schräg aufgebäumt das Nachtlager von Brünhild
säumt.
So schleichen sich Verständnisirritationen ein, die sich nicht
unbedingt ohne Blick ins Programm klären – trotz der
an sich dramaturgisch und kostümdesignerisch schicken Idee
des Gespanns Breuer (Choreografie) und Andreas Geier (Libretto),
dem Quartett Siegfried (blondes Glückskind: Admill Kuyler),
Kriemhild (zart und temperamentvoll als eigentliche Schlüsselfigur:
Bruna Andrade), Brünhild (ungezähmte Punkbraut: Barbara
Blanche) und Hagen (zackig auf Draht: Andrey Shatalin) personifizierte
mystische Begleiter in Gestalt einer Amazone, eines Adlers, eines
Pferdes und einer Krähe zuzugesellen.
Dafür zäumt Breuer den Stoff, der Kriemhilds Verrat
von Siegfrieds einzig verletzlicher Stelle und den daraus resultierenden
Mord Hagens zum Kern hat, regelrecht von hinten auf. Um ihn sodann
gleich zweimal – als traumhafte Erinnerungsparabel Kriemhilds
zuerst, dann beginnend mit Siegfrieds Taten (Sieg über den
Drachen), seinem Verlangen nach der Wormser Prinzessin und seiner
Unterstützung bei Gunthers Werben um Brünhild und dem
Konkurrenzdisput der beiden Frauen – Szene für Szene
aufzurollen. Optisch schöner Auftakt dazu: Ute, Kriemhilds Übel
vorausahnende Mutter, die in wallenden schwarzen Stoff gehüllt
mit überlangen Armen im (Sound-)Wind um Gleichgewicht ringt,
bevor sie den Blick auf das Corps de Ballet im Hintergrund freigibt.
Vor allem in den Gruppenpassagen der Höflinge und Walküren
geht tanzmäßig in den folgenden zwei Stunden sprunggewaltig
und Beine werfend die Post ab. In den stilleren, intimeren Sequenzen
vermag Breuer es, den Erzählfaden anschaulich zwischen seinen
Protagonisten – genannt sei noch Flavio Salamanka als ergeben-sanftmütiger
Gunther – durch kleine Soli, Pas de deux und Trios zu führen.
Um handlungstreibend zweckgemäß ein Kaleidoskop an Emotionen
aufzublättern, die nach manch hitzigem Ausbruch berührend
in Kriemhilds Erkenntnis von Schuld gipfeln.
Eine ähnlich starke Rollenentwicklung bleibt Breuers Siegfried
versagt. Vielmehr verpufft seine jugendliche Kraftausstrahlung
in hohlem Pathos, das sich neben einfühlsamem Partnering vornehmlich
aus raumgreifendem Dahinschreiten und In-die-Brust-Werfen speist.
Hier hätte man „dem Affen mehr Zucker“ gewünscht,
vergleichbar Mario Schröders 14-Tänzer-Pendant in dessen
Kieler „Nibelungenlied“.
Vesna Mlakar
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