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Hamburger Chance für Powerfrau
Ein Porträt der neuen GMD in Hamburg Simone Young ·
Von Barbara Stein
„Es geht doch nichts über das Vergnügen, etwas
selbst komponiert zu haben und dann zu hören“, schrieb
Clara Schumann 1848 in ihr Tagebuch. Um im selben Atemzug einzuschränken:
„Natürlich bleibt es immer Frauenzimmerarbeit, bei der
es an der Kraft und hie und da an der Erfindung fehlt.“ Als
Gattin eines Genies passte sie sich an, ordnete sich unter, fügte
sich ein in die Rolle, die ihr per Tradition zukam. Bekannt war
Clara bestenfalls als Pianistin, aber in die Musikgeschichte ging
sie ein als Muse ihres Mannes. Stellvertretend für den Geist
der Zeit notierte damals Hans von Bülow: „Ich glaube
nicht an das Femininum des Begriffes: Schöpfer. In den Tod
verhasst ist mir ferner alles, was nach Frauenemanzipation schmeckt.“
Die Rolle der Frau hat sich nicht verändert
Das war Mitte des 19. Jahrhunderts. Und heute, über 150 Jahre
später? Da schreibt der „Spiegel“ unter der Überschrift
„Matadorin am Pult“ im April 2005: „Diese Karriere
ist bislang weltweit einzigartig, zumindest für eine Frau.“
In Vogue, Elle, Gala und ähnlichen Blättern ist die Rede
von der „Lady mit den High Heels“, der „Maestra“
und von „Frauenpower mit dem Stöckchen“. Und alle
meinen damit die australische Dirigentin Simone Young, Hamburgs
neue Opernchefin. Die kommentiert: „Es erstaunt und amüsiert
mich, dass mein Geschlecht immer noch ein Thema ist. Vor zehn Jahren
dachte ich, das würde sich bis heute geändert haben.“
Hat es nicht, aber davon mag sie nichts hören. „Darüber
rede ich gar nicht mehr, das lehne ich grundsätzlich ab“,
sagt Simone Young in unserem Interview. Das abschließende
„Basta!“ muss sie nicht aussprechen. Ihre Stimme, auf
Krawall gebürstet, signalisiert: Nachhaken ist zwecklos! Obwohl
uns schon interessiert, weshalb sich, ihrer Meinung nach, bezüglich
der Rolle der Frau in der Musik seit Jahrhunderten eigentlich nicht
viel bewegt hat. Ob ihr auf dem Weg nach oben Steine, oder besser:
Stöckchen in den Weg gelegt wurden. Ob sie glaubt, dass sie
als Frau in ihrem neuen Amt besonders kritisch beäugt wird.
Also gut. Geben wir uns zu diesem Thema Vermutungen hin und widmen
uns anderen, nicht minder wichtigen Fragen. Zum Beispiel, was den
Ausschlag gab für Simone Youngs Weg ans Pult. „Ich wollte
nicht Dirigentin werden“, meint sie, „die Idee ist später
gekommen. Ich wollte zuerst Komponistin werden, habe das auch studiert,
und dabei habe ich bemerkt, dass mich viel mehr das Musizieren mit
anderen zusammen interessiert, nicht dieses ständige Alleinsein.
Und da meine Interessen in der Sprache und im Theater lagen, begann
ich, als Repetitorin zu arbeiten. Auf diesem Weg kam ich dann zum
Dirigieren.“
Erste Karriereschritte und Auszeichnungen
Zwischenbilanz einer 44-Jährigen 2005: „Mir ist schon
mehr gelungen, als ich je erträumt hat-te.“ Geboren wird
Simone Young 1961 in Sydney, dort studiert sie Komposition und Klavier.
Debütiert ebendort 1985 als Dirigentin. Wird ein Jahr später
mit dem Preis „Young Australian of the Year“ ausgezeichnet,
kommt mit einem Stipendium nach Europa, wird für vier Jahre
Daniel Barenboims Assistentin in Bayreuth und Berlin. Dann, in den
1990er- Jahren, der Beginn ihrer internationalen Karriere: Engagements
in Paris, New York, Los Angeles, Tokio und in anderen Opern-Metropolen,
Zusammenarbeit mit den bedeutendsten Orchestern der Welt.
Sie dirigiert („als erste Frau“, vermerkt bewundernd
nicht nur das Goethe-Institut) die Wiener Philharmoniker, in Berlin
(„als erste Frau in Deutschland“) Wagners kompletten
„Ring“. Wird für einen Grammy nominiert. Und amtiert
von 2001 bis 2003 als Chefdirigentin der Oper von Sydney, schmeißt
den Job selbstbewusst hin, als das Budget nicht mehr stimmt.
Verhandelt im Frühjahr ihres australischen Ausstiegs erfolgreich
über den Einstieg in Hamburg, wo sie nun, im März in Weimar
eben noch mit der Goethe-Medaille 2005 geehrt, das schwere Erbe
von Ingo Metzmacher antritt.
Administrative und künstlerische Aufgaben
Und das in einer Doppelfunktion als Generalmusikdirektorin und
Intendantin, in der ihr künstlerische und verwalterische Kompetenz
abverlangt wird. Die „Zeit“ gibt zu bedenken: „Dirigenten
bringen einfach nicht mehr die Zeit mit für die administrativen
Aufgaben eines modernen Intendantenjobs, für zeitraubende kulturpolitische
Lobbyarbeit oder die Beobachtung des internationalen Theaterbetriebs.“
Simone Young indes kontert: „Ich werde viel in Hamburg sein.
Die meisten Chefdirigenten verbringen etwa drei bis vier Monate
in ihren Häusern. Ich werde mehr als acht Monate in Hamburg
sein und heftig arbeiten. Das weiß ich: Es kommt auf mich
eine Menge zu.“
Vor allem wohl aber eine große Chance. „Die Position
in Hamburg“, schreibt die „Zeit“ weiter, „wird
ihre erste große künstlerische Bewährungsprobe in
Europa sein. Dafür akzeptiert sie Rahmenbedingungen, unter
denen ein Christian Thielemann oder ein Kent Nagano wohl kaum zu
haben gewesen wäre.“ Simone Young: „Das Budget
ist mir schon bekannt. Und ich mache meine Pläne entsprechend.
Von mir wird ein spannender Spielplan erwartet, und die Reaktionen
auf unsere Vorstellung des Spielplans 2005/2006 sind vielversprechend.
Die Frage, ob ich diesen Job machen kann oder nicht, raubt mir nicht
den Schlaf. Diese Überlegungen habe ich angestellt, bevor ich
unterschrieben habe. Jetzt heißt es nur, die Arbeit zu tun,
also meine künstlerischen Pläne vorzubereiten, zu realisieren
und als Künstlerin zu versuchen, immer in die Tiefe des Werks
zu gehen und immer neue Aspekte in die Musik hineinzubringen.“
Vielversprechende Spielzeit-Pläne
Die Spielzeit 2005/2006. Im Programmheft schreibt Simone Young
von „Inspiration“, „Aufregung“ und „Erlebnis“,
benutzt Adjektive wie „packend“ und „brandaktuell“,
Verben wie „mitreißen“ und „berauschen“
und schließt mit den Worten: „Neue Zeiten erfordern
neue Wege. Lassen Sie sie uns gemeinsam gehen!“ Wer mit-,
also hingeht, wird an der Hamburgischen Staatsoper fünf Premieren
erleben, inszeniert von Regie-Teams, die in Hamburg noch unbekannt
sind. Hindemiths „Mathis der Maler“ steht zuerst auf
dem Plan, dann Verdis „Simone Boccanegra“, Brittens
„A Midsummer Night’s Dream“, „Idomeneo“
im Mozart-Jahr 2006 und Donizettis „La Fille du Régiment“.
Keine Uraufführungen, dafür Wiederaufnahmen und „zahlreiche
und beliebte Repertoireaufführungen“. Zeitgenossen sind
eher ein Fall fürs Hinterhaus, die „opera stabile“,
und für die Philharmoniker. Deren Programm sieht junge Komponisten
genauso vor wie Kompositionen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts
und natürlich klassische Werke von Beethoven oder Haydn. Als
„Stars“ auf der Bühne sind Anja Silja, Franz Grundheber
und Kurt Moll zu erwarten, als „Super-Star“, allerdings
erst 2006/2007, der grau melierte Placido Domingo. Und als Dirigenten?
Michel Plasson, Stefan Soltesz oder Julia Jones – und ganz
oft Simone Young.
„Für mich ist das Dirigieren einfach die vollkommenste
Art zu musizieren“, sagt sie. „Das Orchester ist dann
mein Instrument. Und diese ungeheuren Werke, die in den letzten
drei Jahrhunderten für dieses Instrument geschrieben wurden,
dirigieren zu dürfen, das ist schon ein großes Privileg.“
Wenig Platz für Freizeit und Familie
Ein Workaholic sei sie, meint Simone Young: „Alle wissen,
dass ich die Arbeit brauche.“
Und ein Privatleben? Braucht sie das nicht? Doch, natürlich.
Sie hat einen Mann und zwei Töchter, und alle drei ziehen gemeinsam
mit ihr nach Hamburg. Mit der Familie beschäftigt sie sich
in ihrer Freizeit, mit Literatur und mit dem Aufbau einer Hitchcock-Filmsammlung.
„Ich habe nie Probleme, meine freien Stunden zu füllen
– wenn die ab und zu auftauchen.“
Vermutlich wird Freizeit ab sofort ein Fremdwort sein in ihrem
Leben. Für sie gibt es jede Menge zu tun, viel wird von ihr
erwartet, der Druck ist enorm, der auf ihr lastet – gerade
in einer hin und wieder kulturpolitisch recht turbulenten Metropole
wie Hamburg. Leistung: Simone Young definiert sich darüber.
Schauen wir mal, welche Leistung sie bringt. Und ob sie auch alle
anderen darüber definieren. Oder ob der Maßstab, an dem
man sie misst, lediglich dazu taugt, die Höhe ihrer High Heels
zu bewerten.
Barbara Stein
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