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Der Flautenzuber von Eisenack
Ein Fall für die Theatergeschichte · Von Nikolaus
Kuhn
Eisenach, die westthüringische Kreisstadt, zählt rund
44.500 Einwohner. Opel fertigt dort Autos, Fernzüge halten
und die Touristen gedenken auf der Wartburg des Wagner’schen
Sängerkrieges oder des Luther’schen Wurfs mit dem Tintenfass;
danach pilgern sie zu Johann Sebastian Bachs Geburtshaus. Eine Stadt
voller Kulturdenkmäler und Geschichte.
Zeitweilig war Eisenach sogar die Residenzstadt wettinischer Herzöge.
Jacques Offenbach hat diesen einstigen „Hof von Eisenack“
in seiner Ballade vom „Zwerg Kleinzack“ besungen. Laut
„Hoffmanns Erzählungen“ muss auch der Kopf dieses
höckerigen Monstrums defekt gewesen sein: „Mit dem Kopfe,
dem Kopfe, da ging’s Krick Krack!“, singt der von seiner
Mozart-Sängerin Stella träumende versoffene Dichter.
Die Assoziation zu Krick Krack und zu defekten Köpfen stellt
sich ein, wenn im Landestheater Eisenach Wolfgang Amadeus Mozarts
„Zauberflöte“ gegeben wird. Erst distanziert sich
der Intendant vor der Premiere vorsichtig von dieser Aufführung,
indem er einerseits erklärt, er und sein Generalmusikdirektor
stünden selbstverständlich hinter der Neuinszenierung,
andererseits könne die Leitung des Hauses natürlich niemals
wissen, welche Überraschungen eine Gastregisseurin (die Konwitschny-Schülerin
Vera Nemirova) für sie vorbereitet hätte – worauf
prompt keine Schlange keinen Prinzen Tamino verfolgt.
Stattdessen jagt ihn eine Schlange von arbeitslosen Sängerinnen
und Sängern, die gleich ihm zu einer Art Casting in einem Arbeitsamt
bestellt sind und ihm die Bewerbernummer 1 neiden. Aus Frust über
viele vergebliche Bewerbungen und Vorsingen (auf dem Dialogniveau
uralter Theaterwitze) und aus Langeweile beginnt das muntere Völkchen
ein Improvisationsspiel, das in etwa an Mozart, gelegentlich sogar
dann an Schikaneder erinnert, wenn Handlung und Text nicht völlig
verballhornt werden.
Schwer nachvollziehbar ist es, weshalb Wolfgang Wappler, der um
das Landestheater hochverdiente Chef der Landeskapelle, nicht spätestens
nach der Generalprobe den Stab hingeschmissen hat, statt ihn –
ausgerechnet zu seiner Abschiedspremiere –nochmals zu heben.
Es war eine Qual, sehen und hören zu müssen, wie er –
meist vergeblich – versuchte, die Tempi des Orchesters beispielsweise
mit denen der angesichts überfordernder Spielastik musikalisch
völlig außer Rand und Band geratenen Knaben oder des
wohl infolge daueraffengeiler „action“ gehörlos
gewordenen Papageno (Falko Hönisch) im wahrsten Sinne des Wortes
zusammenzuschlagen. Bei den vom Tonband zugespielten Chorpartien
(Opernchor des Meininger Theaters, Chordirektor Markus Baisch) half
auch kein Schlagen mehr. Weder der alte Mann mit dem Schild „Chor“
um den Hals, noch ein aufgebauter Plattenspieler, die wohl das Fehlen
des Chores ironisierend kommentieren sollten, vermochten dem Dirigat
zu folgen.
Das Landestheater zu Eisenack hat die Chance, in die Theatergeschichte
einzugehen als die erste kommunale Opernbühne, die Choropern
in ihren Spielplan aufnimmt, ohne über einen Opernchor zu verfügen.
Sie hatte zwar mal einen, sogar einen fest engagierten eigenen,
doch den hat sie zum Ende der Spielzeit 2003/04 wegrationalisiert.
Ob vielleicht der für die neue „Zauberflöte“
gewählte „Spielort Arbeitsamt“ (verhartzt: Agentur
für Arbeitsvermittlung) an die einstigen Mitglieder des Eisenacher
Chores erinnern sollte?
Bei der gerichtlichen Überprüfung der Kündigung
des kompletten Chores hatte die Theaterleitung in Erster Instanz
angegeben, notwendige Chorleistungen würden künftig vom
Chor aus Meiningen erbracht (damals stand tatsächlich eine
Kooperation oder gar Fusion mit Meiningen zur Debatte), in Zweiter
Instanz (nachdem die Kooperationspläne geborsten waren) behauptete
sie kühn, das Theater benötige keinen Chor mehr. Das Gericht
fiel auf diese Begründung herein: Keinem Betrieb sei zuzumuten,
ein Ensemble vorzuhalten, das überhaupt nicht gebraucht werde.
So begann der ebenso komische wie angestrengte Kampf des Intendanten
(Michael W. Schlicht) und des Geschäftsführers (Hans-Jürgen
Firnkorn) um die Erbringung des Beweises, dass ein Chor auch dann
nicht erforderlich sei, wenn irgendein Eisenach-unkundiger Komponist
ihn vorgeschrieben habe. Franz Lehár und sein „Land
des Lächelns“ waren das erste Opfer: Eine Chor-kastrierte
Version wurde erstellt. Auch die Verteilung von Chorpartien auf
Soli erwies, wie überflüssig ein Chor sein kann. Immerhin
hat die Theaterleitung Humor: In der neuen Saison steht „Der
Sängerkrieg der Heidehasen“ auf dem Spielplan.
Aber was macht man, wenn „Oh, Isis und Osiris“ chorisch
gesungen werden soll? Dem Vernehmen nach hat Wolfgang Wappler zunächst
versucht, einen Laienchor zu rekrutieren, was zum einen die gerichtsnotorische
Behauptung, es bedürfe keines Chores mehr, Lügen gestraft
hätte, was zum anderen – wiederum dem Vernehmen nach
– gar abscheulich geklungen haben soll. Der nun teuer gewordene
gute Rat erwies sich als billig und allzu teuer zugleich: Eine Tonkonserve
aus Meiningen und ein Generalmusikdirektor, der Lautsprecher dirigiert.
Das gerann zu einer grotesken Mischung aus Mauricio Kagel und Curt
Goetz.
Da half auch der sonore Bass des Sarastro (Bernhard Leube), eines
offenbar arbeitslosen Mechanikers, nicht aus dem Schlamassel, zumal
der statt „weisheitsvoller Reden“ Polit-Gemeinplätze
von sich zu geben hatte. Und warum Papageno bei der Königin
der Nacht putzen muss, weshalb Pamina (Sabrina Martin mit leuchtendem
Sopran) einen Hang zu Krankenhäusern hat, war leider nicht
im Programm nachzulesen. Stimmig der Einfall, die Königin der
Nacht (Alexandra Lubchansky mit strahlender Höhe, aber verwackelten
Koloraturen) als Blinde auftreten zu lassen, die keinen Adressaten
für ihre Hasstiraden findet. Die Landeskapelle begleitete,
als habe sie mit dem Bühnengeschehen nichts zu tun.
Da versucht ein von inkompetenter Stadt- und Landeskulturpolitik
arg gebeuteltes, mit unzureichenden Mitteln ausgestattetes Theater
seine Armut hochstaplerisch mit deformierendem Regie-Klamauk zu
überspielen. Geziemt es sich da eigentlich, sich aufzuregen?
Die Antwort kam aus dem Publikum. Eine Premierenbesucherin sagte
zu ihrer Begleiterin: „Gott sei Dank, dass ich meinen Sohn
nicht mitgenommen habe. Ich hätte ihm nicht einmal erklären
können, weshalb das Stück „Die Zauberflöte“
heißt.“
Nikolaus Kuhn
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