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Verzauberung im Schlosshof
„Traviata“ der Jeunesses Musicales · Von Barbara
Kerschkowsky
Opern-Premiere in Weikersheim – das weckt Erwartungen, ruft
Erinnerungen an frühere Jahre wach, fordert Vergleiche und
ist immer voller Überraschungen. Im Jubiläumsjahr –
50. Sommerkurs der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) und 60.
Jubiläum der Jeunesses Musicales International (JMI) –
segelte das „Flaggschiff“ der Weikersheimer Kursarbeit
mit voller Takelage in den Opernsommer 2005. Mit einer musikalisch
ungemein sensiblen und sehr lebendig inszenierten Aufführung
der Oper „La Traviata“ von Giuseppe Verdi begeisterten
Sängerinnen, Sänger und Orchester im Weikersheimer Schlosshof
das Premierenpublikum.
Äußerst zart, geradezu zerbrechlich und sehr hellhörig
lässt Yakov Kreizberg das Vorspiel zu Giuseppe Verdis „La
Traviata“ anklingen – so, als wäre es ein Stück
Kammermusik. Leise Klänge einer zerbrochenen Seele, langsame
Tempi, mehr lyrische Ausleuchtung als dramatische Impulse und weite
Spannungsbogen, die sein junges Orchester ganz fordern. Yakov Kreizberg
fasziniert durch eine konzentrierte, zurückgenommene und auf
wenige , fast nur angedeutete Gesten gesammelte Leitung am Dirigentenpult
Zuhörer und Orchestermitglieder gleichermaßen.
Das Nationale Jugendorchester Spaniens ist in diesem Jahr das Opernorchester.
Die jungen Musiker folgten der behutsamen aber straffen Führung
von Yakov Kreizberg, der auch die Akteure auf der Bühne an
unsichtbaren Fäden leitete und damit ein Gesamtbild einer Bühnen-
und Orchesterlandschaft schuf. Mittelpunkt der Weikersheimer Premiere
ist Violetta, La Traviata, die Verirrte, Zerrissene. Auf sie ist
die Inszenierung zugeschnitten, auf diese wunderbare Stimme der
Koreanerin Ga-Seoul Son. Mit ihrem klaren, kraftvollen Sopran meisterte
sie die schwierigsten Koloraturen ebenso wie die weichen, tieferen
Passagen ihrer Arien oder Rezitative. Beeindruckend ist, wie leidenschaftlich
diese zierliche Frau ihre zwei Gesichter – die Hure und die
Liebende – zu einer Person vereint, wie sie Hingabe, Schmerz,
Verlassenheit und Stolz ausdrucksvoll zu spielen weiß. Ihr
Partner Alfredo, Sa-Hoon Johannes An, hatte dieser strahlenden Violetta
wenig entgegenzusetzen. Jae-Seop Kim als Giorgio, Alfredos Vater,
überzeugte dagegen mit einem kräftigen, warmen Bariton.
Die Inszenierung , nach einem Konzept von Manfred Weiß, ist
in die heutige Zeit gesetzt. Sie ist aus einem Guss, was Bühnenbild
und Kostüme deutlich machen. Fünf Container in zwei Stockwerken
übereinander, riesige Rachen, die Menschen verschlucken und
wieder preisgeben, mit Jalousien zu öffnen oder zu verschließen,
was im Zusammenspiel mit Licht und Farbe überraschende Effekte
auslöst. Ein karges Bühnenbild spielt dennoch mit vielen
Symbolen. Eine große Tapetenwand weitet den Blick in einen
Park, Monitore holen dem Zuschauer den Weikersheimer Schlosspark
und Alfredo die glückliche Violetta gleich mehrfach auf die
Bühne.
Schrill und bunt ist die Welt Violettas und ihrer Freunde, einer
trinkfreudigen und sexbesessenen Gesellschaft. Hier tritt der Chor
in Aktion, in grellen, frechen, ja, gewagten Kostümen, geschminkt
und gestylt. Der Landesjugendchor Nordrhein-Westfalen ist hier in
seinem Element . Lärmende, ineinander verschlungene Paare.
Das tanzt, wiegt und wackelt, stampft, hüpft und liebt nur
so durcheinander. Alles ist hier mit Geld zu haben: Spiel, Sex und
Spaß. Farbige, lebendige Szenen, die durch die Container wogen,
Menschen auf der Suche nach ein bisschen Nähe, Zärtlichkeit
und Glück, bis auch sie der Schrecken erreicht, den Krankheit
und Tod ihrer Primadonna Violetta verbreiten. Da wird im dritten
Akt das Bühnenbild in fahles Weiß getaucht, ein Leichentuch,
das Violettas Sterben andeutet. Noch einmal geht der Blick zurück
auf ein Leben, das ihr nur eine kurze Zeit Glücklichsein schenkte,
eine kleine Hoffnung keimt auf, als Alfredo noch einmal zu ihr zurückkommt.
Eine Szene mit Violettas Double, ein Bild wie eine Metapher.
Ganz unsentimental hat die Regie die Weikersheimer Oper zu einem
rundherum stimmigen Kunstwerk geformt, vor allem mit jungen Menschen,
die in Weikersheim gemeinsam arbeiten, sich austauschen, gegenseitig
anregen und internationale Gemeinschaft erleben, und für die
der Sommerkurs im Schloss darüber hinaus oft schon ein Sprungbrett
auf die Bühnen der Welt geworden ist. So stand auch die Weikersheimer
„Traviata“ ganz in der Tradition der Jeunesses Musicales
Deutschland, die sich „für die Vision einer humanen Gesellschaft
im Zeichen der Musik“ einsetzt und musikalische Bildung „als
Weg des Menschen zu sich selbst“ sieht, verbunden mit „innovativen
Impulsen für das Musikleben“.
Barbara Kerschkowsky
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