In so mancherlei Gestalt…
Der Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden · Von
Annegudrun Heilmann
Mit ausladend schwingenden Röcken, hochgeschnürter Brust
und gestrickten Stulpen um die mehr oder weniger strammen Waden
schreiten, rascheln, huschen die Damen und Herren des Staatsopernchores
zu ihrem Auftritt im zweiten Akt der Operette „Die Fledermaus“.
Richtig: Auch die Herren wurden vom Regisseur für den Ball
paradox bei Graf Orlofsky in Dirndlkleider gesteckt und ganz offensichtlich
fühlen sie sich dabei ganz unterschiedlich. Manche nehmen’s
gelassen, manche reißen ihre Witze darüber, andere fühlen
sich sichtlich unwohl. Aber danach fragt keiner. Verkleiden gehört
zum Beruf. Für Ausgleich ist gesorgt: Ein andermal dafür,
in anderen Inszenierungen, stecken die Sängerinnen und Sänger
in Ballkleid und Smoking, Sträflingskleidung, Kimonos oder
in Gewändern aus „Tausend und einer Nacht“ und
auch der alltägliche Straßenanzug unserer Zeit gehört
hin und wieder zum Kostüm.
Immer wieder anders bietet sich das Äußere dar, aber
immer gleich soll die Qualität des Gesangs sein, der allabendlich
aus den Kehlen der Sänger erklingt. Jedes Mal ganz individuell
sein Bestes zu geben und doch aufzugehen in der Gemeinschaft des
Chores, der klingt wie eine einzige Stimme – das ist eine
ganz besondere Aufgabe, auch Anforderung und Anspannung für
eine Sängerin, einen Sänger, der im Chor der Sächsischen
Staatsoper Dresden engagiert ist.
Internationales Renommé
Dass dieser Chor etwas ganz Besonderes ist, weiß man nicht
nur in Dresden, wo man in den Rezensionen nach Neuinszenierungen
oft lapidar lesen kann: „Der Staatsopernchor in gewohnt hervorragender
Qualität…“ Hinter dieser „gewohnten Qualität“
steht immens viel Arbeit und Einsatz. Zunehmend wird dies international
anerkannt: Salzburg ist – nach den Erfolgen von Sächsischer
Staatskapelle und Staatsopernchor in den Jahren 2002 und 2003 mit
„Die Liebe der Danae“ und „Die Ägyptische
Helena“ – wieder im Gespräch für 2006 mit
„Idomeneo“, „ein Zeichen dafür, dass wir
bestehen konnten“, wie Chordirektor Matthias Brauer bescheiden
sagt.
Wenn sich der Dresdner Opernchor durch seine Qualität in besonderer
Weise auszeichnet, so hat das auch etwas mit der Struktur seines
Einsatzes zu tun. Denn er ist beileibe nicht nur ein „Opernchor“.
Er ist ganz selbstverständlich und regelmäßig auch
in Konzerten mit der Sächsischen Staatskapelle präsent,
ist Teil grandioser CD-Aufnahmen, war sogar 2001 mit Dvoráks
„Stabat mater“ unter Giuseppe Sinopoli Anwärter
auf den Grammy Award der Deutschen Grammophon Gesellschaft für
die beste Choreinstudierung. Nicht zuletzt aus diesem Zusammenwirken
in Oper und Konzert bezieht er seine Spannbreite eines immensen
Repertoires, das oft nebeneinander, nahezu zur gleichen Zeit, geboten
werden muss. Vor nicht allzu langer Zeit sang der Chor unmittelbar
nacheinander in Wagners „Götterdämmmerung“,
drei Tage später den 100. Psalm von Schütz in einer a-cappella-Version,
Haydns „Schöpfung“ in einer Inszenierung des Ballett
Dresden bis hin zu Michael Tippett im Konzert und daneben natürlich
das gesamte klassische und moderne Repertoire des Opernbereiches.
Und während gerade „Die Fledermaus“ Premiere hatte,
beginnen schon die Proben für die Neuinszenierung der Alban-Berg-Oper
„Wozzeck“ und für die nächsten Aufführungen
der zeitgenössischen Opern „Lear“ und „Celan“...
Nicht genug mit der Vielfalt der Aufgaben: Vielleicht hat auch mancher
Zuschauer den Dresdner Staatsopernchor bei der ZDF-Übertragung
aus der Dresdner Frauenkirche oder der MDR-Sendung aus der Semperoper
mit jeweils weihnachtlichem Programm am Bildschirm erleben können.
Wichtig vielleicht: Bei zahlreichen Konzertmitschnitten des MDR
handelt es sich um Life-Übertragungen, die ja immer ganz besondere
Anforderungen erfüllen müssen.
Jeder Sänger ein Solist
Noch vor wenigen Jahren waren Gastdirigenten überrascht,
an der Semperoper einen Chor vorzufinden, der in jeder musikalischen
Richtung stilsicher agiert – heute rechnen die Dirigenten
damit und setzen den Chor entsprechend gern ein. So bedeutende Dirigenten
wie Michael Boder, Sir Colin Davis, Myung-Whun Chung, Sir Eliot
Gardener, Daniele Gatti, Bernard Haitink, Sir Neville Marriner,
Fabio Luisi, Massimo Zanetti, um nur einige zu nennen, schätzen
die Zusammenarbeit mit ihm.
Hier Sänger zu sein heißt, wie ein Solist singen und
agieren zu können, aber anders als dieser nicht in nur einem
„Fach“ engagiert zu sein. (Ganz nebenbei: Manchmal übernimmt
eine im Chor engagierte Sängerin oder ein Sänger auch
kleinere, solistische Partien: Die Brautjungfern im „Freischütz“,
die Edelknaben in „Tannhäuser“ und „Lohengrin“,
die Knaben in der „Zauberflöte“, verschiedene Partien
in „Madame Butterfly“, „A Midsummer Night’s
Dream“ und zuletzt die Partie der Ida in „Die Fledermaus“
seien hier genannt.)
Bei den abendlichen Vorstellungen und den täglichen Proben
stellt der Opernchorsänger sein Können unter Beweis. Er
kombiniert die musikalischen mit den gewünschten szenischen
Anforderungen und führt sie zur Deckungsgleichheit –
das in Dresden erreichte Niveau hält jedem Vergleich mit anderen
deutschen Opernchören stand. Reizvoll und schwierig zugleich
ist es, sich dabei innerhalb der Gemeinschaft aller Chorsänger
integrieren, zurücknehmen und dennoch als Bühnenpersönlichkeit
mit möglichst großer Individualität auftreten zu
müssen.
Nachwuchs-Arbeit
Chordirektor Matthias Brauer ebenso wie sein Stellvertreter Christof
Bauer und der Chorrepetitor Christoph Heinig sorgen in umfangreicher
Probenarbeit für eine hohe Klangkultur, die sich aus kraftvoller
Stimmführung und homogenem, schlankem Chorklang auch im Opernbereich
speist. Diese Kultur ist nicht nur seit Jahrzehnten, sondern seit
Jahrhunderten historisch gewachsen (Chorbegründer war im Jahre
1817 niemand anders als der Dresdner Hofkapellmeister Carl Maria
von Weber). Auf diesem Fundament bauen Chorleitung und alle neunzig
Chormitglieder gemeinsam weiter.
Als sich die Leitung Sorgen wegen des mangelnden Nachwuchses machen
musste, wurde 1989 ein Opernchorstudio gegründet, in dem seither
gemeinsam mit der Hochschule für Musik Dresden Opernchorsänger
praxisnah ausgebildet werden. So gelang es in den vergangenen Jahren,
den Staatsopernchor wesentlich zu verjüngen. Aber noch immer
fehlen bestimmte Stimmgruppen, gerade jetzt Tenöre (zur Zeit
gibt es vier Vakanzen) und tiefe Bässe. Vereinzelt wurden deshalb
schon Kräfte aus fernen Ländern auch für den Chor
engagiert; aus Japan, Korea und der Ukraine kamen Mitarbeiter mit
ausgezeichneten Deutschkenntnissen und einwandfreier Phonetik ans
Haus – beides eine Grundvoraussetzung für ein Festengagement.
Ebenso wie sich Musiker der Staatskapelle zu kammermusikalischen
Vereinigungen zusammenschließen, haben sich auch einige Opernchorsänger
dem kammermusikalischen Singen verschrieben. Diese nebenberufliche
Tätigkeit fördert außerhalb von beruflichen Zwängen,
eigene musikalische Interessen zu pflegen, individuelle Kraft zu
schöpfen und (im musikalischen Sinne) aufeinander zu hören
– also die Dinge zu tun, die der Sänger im Berufsleben
täglich braucht. Sänger und Sängerinnen des Dresdner
Staatsopernchores agieren außerdem als ständige Gäste
in verschiedenen Rundfunkchören und werden auch gern in den
Bayreuther Festspielchor aufgenommen.
Der Chor und die Presse
Wünsche? Vor allem, dass die Konzertarbeit in gleicher Intensität
wie in der jüngeren Vergangenheit fortgesetzt werden möge.
Das Singen im Konzert ist die hohe Schule des Chorgesangs und bildet
eine Grundlage für seine Qualität.
Ein weiterer Wunsch richtet sich vor allem an die Kritiker. Wenn
– wie in der Neuinszenierung von „Götterdämmerung“
geschehen – der Chor vom Publikum mit Bravi bedacht und dann
mit keinem einzigen Wort in der Rezension erwähnt wird, dann
stimmt dies eben doch traurig. Mitwirkende (und der Staatsopernchor
wirkt sicht- und hörbar in vielen Aufführungen mit) haben
auch das Recht, bei guter Leistung zumindest benannt, besser noch:
beschrieben zu werden.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem „Theaterjournal“
der Sächsischen Staatsoper Dresden.
Annegudrun
Heilmann
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