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Elektronisches Wissen ist Macht
Das Urheberrecht im digitalen Zeitalter · Von Gerhard
Pfennig
Im Jahr 2001 verabschiedete der Ministerrat der EU die Richtlinie
zum „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“,
kurz „InfoSoc“ genannt. Diese Richtlinie definiert den
Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken, die durch das
Internet und vergleichbare Medien verbreitet werden, neu. Sie stellt
Regeln darüber auf, wer über die Online-Verbreitung entscheidet
(der Urheber / Rechteinhaber), und enthält neue Definitionen
der Möglichkeiten und Grenzen des freien Zugangs zu vervielfältigten
Werken zu Zwecken, die etwa der traditionellen Fotokopie beziehungsweise
der Video- oder Audioaufzeichnung entsprechen. Der Deutsche Bundestag
setzte die Bestimmungen der InfoSoc-Richtlinie durch Änderung
des Urheberrechtsgesetzes zum 13.09.2003 in Kraft.
Bereits während der Brüsseler Debatte um die Richtlinie
begann ein heftiger Kampf zwischen verschiedenen Interessengruppen,
in dem es vor allem um zwei Fragen ging, die heute noch relevant
sind: zuerst um den Zugang zum Wissen in der Informationsgesellschaft,
genauer um die Sicherung des privaten Zugangs zu (gedrucktem) Wissen
und Informationen und weiterhin um die Frage, wem die Erlöse
aus der digitalen Vervielfältigung zufließen sollen.
Zunächst stand eine wichtige Errungenschaft des deutschen und
kontinentaleuropäischen Urheberrechts auf dem Spiel: die Zulässigkeit
der Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke
wie Texte, Musik, Bilder und Filme durch den Bürger und die
Bürgerin zum privaten Gebrauch in Form des Tonband- und Videomitschnitts
sowie der Fotokopie. Diese Vervielfältigung wird durch pauschale
Vergütungen über Verwertungsgesellschaften vergütet.
Debattiert wurde auch eine Neudefinition der Grenzen des Urheberrechts,
nämlich die Zulässigkeit von Zitaten in wissenschaftlichen
Werken, die Katalogbildfreiheit und anderes vor allem im Hinblick
auf digitale Techniken und ihre Anwendung.
Geiz ist geil
Für eine Einschränkung des freien Zugangs zu Wissen
und Information, darin eingeschlossen Literatur, bildende Kunst
und Teile des Filmschaffens, aber auch zu Unterhaltungsmusik und
Spielfilmen kämpft die internationale Lobby der Gerätehersteller,
die die Urheberrechtsabgabe als Zuschlag zu ihren Preisen abführen
müssen, denn ihr geht es darum, diese preissteigernde Belastung
loszuwerden: Geiz ist bekanntermaßen geil. Der Verbündete
der Gerätehersteller ist die Unterhaltungsindustrie, vor allem
die großen Musik- und Filmkonzerne, denen es darum geht, der
uneingeschränkten Ausplünderung ihrer Schätze durch
Musiktauschbörsen und Schulhofpiraterie sowie der Verbreitung
von illegal in großem Maßstab gefertigten Kopien von
Filmen vorzubeugen, am besten durch die Abschaffung der legalisierten
Privatkopie. Die Gefahr für diese Anbieter ist deshalb so groß,
weil die digitale Kopie wie ein Klon Reproduktionen in Originalqualität
ermöglicht, während die analoge Kopie bei jeder Vervielfältigung
einen Qualitätsverlust mit sich bringt. Gegen diese Lobbys
stehen die Urheber und ihre Verwertungsgesellschaften, die das System
der kollektiv wahrgenommenen Vergütungsansprüche erhalten
und auf digitale Geräte ausdehnen wollen, um eine wichtige
Einnahmequelle speziell für die Urheber zu erhalten. Die eigentlichen
Nutznießer des gegenwärtigen Systems, die Verbraucher
und ihre Lobbyisten, beteiligen sich bisher kaum hörbar an
der Debatte; sie werden sich des Problems erst langsam bewusst.
Nutzlose Verbote
Mit der Reform 2003 wurde das Vergütungssystem im Prinzip
auch auf digitale Geräte ausgedehnt, gleichzeitig aber auf
Druck der Content - Industrie der Umfang der zulässigen privaten
Vervielfältigung gesetzlich eingeschränkt: das Herunterladen
von „offensichtlich“ rechtswidrig eingestellten Inhalten,
etwa über Musiktauschbörsen, ist nunmehr verboten. Allerdings
handelt es sich um ein stumpfes Schwert, weil das Verbot in der
Praxis kaum durchgesetzt werden kann. Untersagt ist jetzt auch die
Verbreitung von Hilfsmitteln zur Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen.
Ideen zum Kopierschutz
Der Druck auf eine weitergehende Eingrenzung der Privatkopie läßt
jedoch nicht nach. Das Zauberwort, mit dem die Abschaffung der privaten
Vervielfältigung gegen Vergütung im digitalen Zeitalter
ermöglicht werden soll heißt „Digital Rights Management
(DRMS)“: Wer zukünftig durch die private Vervielfältigung
seiner Werke wirtschaftliche Nachteile erleidet, soll nicht länger
durch eine pauschale Vergütung entschädigt werden, sondern
die Technik zu Hilfe nehmen. Er soll die Verbreitung seiner Werke
möglichst ausschließlich über das Internet organisieren
und zu diesem Zweck die Daten verschlüsseln und mit zusätzlichen
„Metadaten“ versehen, um dann die Nutzung im Einzelfall
inklusive der Vervielfältigung gegen genaue Abrechnung zu lizensieren.
So träte an die Stelle des freien Zugriffs gegen Pauschale
der elektronische Geschäftsverkehr. I-Tunes von Apple für
Musikdownloads ist das erste funktionierende System: das Kopieren
eines Musiktitels kostet 99 Cent und bringt dem Rechteinhaber damit
einen erheblich höheren Betrag als die von der GEMA in Deutschland
über die Geräte- und Leerträgergebühr von CD-Brenner
und Leer-CD kassierte Summe, die nur einen Bruchteil dieses Betrages
ausmacht. Die entsprechende Einführung von Kopiersperren auf
bespielte CDs hat sich allerdings bisher technisch nicht durchgesetzt,
besser funktionieren solche Sperren bei Film DVDs. Der neueste Vorschlag
der Musik- und Filmindustrie zielt weitergehend auf eine gesetzliche
„Bereichsausnahme“, das heißt ein zeitlich begrenztes
totales Kopierverbot, das durch technische Manipulationen der CDs
beziehungsweise DVDs durchgesetzt werden soll. Ergebnis wäre,
dass innerhalb eines Jahres nach Ersterscheinen eines bespielten
Trägers Kopien ausgeschlossen sind; nach dieser Zeit läuft
die innere Uhr der CD/DVD ab und der glückliche Besitzer kann
beginnen zu kopieren. Alternativ wird die drakonische Kopiersperre
ins Gespräch gebracht, bei der ein Kopierschutz in der CD oder
DVD durch korrespondierende technische Komponenten im Abspielgerät
unterstützt wird, um die Privatkopie sicher zu verhindern.
Wie werden die Verbraucher auf diese Vorstellungen reagieren?
Informationsgesellschaft?
DRMS ist nach allem das Stichwort zukunftsbegeisterter Politiker,
die sich an die Spitze des Fortschritts stellen möchten. Sie
müssen Verständnis für die Probleme der Kulturindustrie
aufbringen, wenn man die Verluste betrachtet, die die Konzerne durch
Downloads erleiden. Man könnte der Entwicklung zustimmen, solange
es nur um Produkte der seichten Unterhaltung ginge: Das Grundrecht
der Informationsfreiheit schützt nicht den unbegrenzten freien
und möglichst kostenlosen Zugang zu eigentumsrechtlich geschützten
Werken der kreativen Musiker beziehungsweise der ausübenden
Künstler. Problematisch wird die Sache jedoch, wenn man bedenkt,
dass auch der Zugang zu Informationen und Wissen von den neuen Vorschriften
beschränkt wird. So sieht der neue § 52 a die Möglichkeit
vor, für Forschungs- und Unterrichtszwecke in Datennetzen,
die nur einer begrenzten Nutzerzahl zugänglich sind, Teile
von Werken, also Artikel aus wissenschaftlichen Zeitschriften und
Fachbüchern sowie Bilder in Datennetze einzustellen, die nur
den Kursteilnehmern zugänglich sind. Die angemessene Vergütung
sollen Verwertungsgesellschaften durch Pauschalen erheben. Ein Zugriff
auf frei verfügbare Vorlagen soll aber nur möglich sein,
soweit er „zu dem jeweiligen Zweck geboten“ ist, in
der Auslegung der Verlagsbranche nur dann, wenn die Werke nicht
von Verlagen zum download angeboten werden. Wissenschaftliche Großverlage,
die mittlerweile fast den gesamten Bestand aktueller wissenschaftlicher
Zeitschriften herausgeben und digital anbieten, stellen sich die
Zukunft so vor, dass für diese Nutzungen Aufsätze aus
ihren Blättern in Zukunft ausschließlich gegen Entrichtung
meist hoher Nutzungsgebühren beim Verlag selbst bestellt werden.
Käme es so, wären die Fachbibliotheken aus dem Spiel:
der Professor oder Lehrer dürfte nicht länger ein ihm
oder seiner Bibliothek zugängliches Exemplar „ins Netz
stellen“, sondern müsste die Vorlage, sei es für
ein Forschungsnetzwerk, für die Lehre oder für den Unterricht
gegen einen vom Verlag festgesetzten Obolus käuflich –
und in Bezug auf die Nutzung limitiert – erwerben. Mit anderen
Worten: Wissen, das nicht in gedruckter Form und damit der Fotokopie
zugänglich, sondern elektronisch gespeichert ist, ist zukünftig
nur noch gegen Genehmigung und Vergütung im Einzelfall erreichbar.
So haben sich die wenigsten das Funktionieren einer „Informationsgesellschaft“
vorgestellt. Ein erstes Beispiel der Macht der Verlage erleben wir
gegenwärtig beim Kopienversand durch Bibliotheken auf Bestellung,
der von den Bundesländern im Projekt „subito“ subventioniert
wird, damit der Zugang zu den Beständen erleichtert und die
Forschung gefördert wird : Auf Druck der internationalen Verlage
ist dieser Versand gegenwärtig nur mittels traditioneller Fotokopien
und per Fax, nicht aber über das Internet in digitaler Übertragung
möglich.
Radikaler Widerstand
Gegen diese ganze Richtung regt sich freilich anarchistischer
Widerstand. Es formiert sich die radikale Lobby derjenigen, die
das Kind mit dem Bade ausschütten wollen und deshalb gleich
weltweit die vollständige Abschaffung des Urheberrechts fordern
(„Copyleft statt copyright“), um die erwähnten
Einschränkungen der Informations- und Wissensfreiheit zu vermeiden.
Sie übersehen nicht, dass die Content-Industrie nicht mehr
funktionieren kann, wenn eine Amortisierung ihrer Aufwendungen ausbleibt.
Ihr Angebot ist freilich utopisch: die Einführung einer globalen
Netzgebühr, die wie die Fernsehgebühr abgerechnet wird.
Internet-Vergütung
Die zweite Frage betrifft die materielle Position der Urheber,
der kreativen Menschen, die das geistige Fundament der Informationsgesellschaft,
den „Content“ schaffen. Die pauschalen Vergütungen
für die traditionelle private Vervielfältigung werden
von Verwertungsgesellschaften verwaltet und im Rahmen ihrer Verteilungspläne
im Wesentlichen den Urhebern, im erforderlichen Umfang auch den
leistungsschutzberechtigten Produzenten von Filmen und Musikwerken
ausgezahlt. Auf gleiche Weise werden Journalisten an der Verbreitung
ihrer Artikel über Papierpressespiegel beteiligt. Die neue
Form der kontrollierten Verbreitung von Werken aus Online-Datenbanken
der Verlage und Filmproduzenten über das Internet verändert
jedoch die Voraussetzungen. Die Verlage - Zeitungs- wie Buchverlage
- und Filmproduzenten gehen davon aus, dass es sich bei diesen Nutzungen
um primäre Nutzungen handelt, deren Rechtszuständigkeit
ausschließlich bei ihnen liegt. Die Urheber haben in der Regel
keine Möglichkeit mehr, für die Internetverbreitung angemessene
Zuschläge zu den Erstveröffentlichungsvergütungen
durchzusetzen. Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Erlöse im
Wesentlichen den Verwertern zufließen, während die Werkschöpfer
in die Röhre schauen. In diesem Zusammenhang ist das 2002 in
Kraft getretene Urhebervertragsrecht wesentlich, das im Binnenverhältnis
zwischen marktschwachen Urhebern und marktstarken Verwertern zivilisierte
Beteiligungsformen (angemessene Vergütungen für jede Nutzungsform)
gewährleisten soll.
Hohes Gut
Der Gesetzgeber, der gegenwärtig erneut mit dem Urheberrecht
beschäftigt ist und speziell die angesprochenen Fragen des
privaten Zugangs zu Wissen, Information und Unterhaltung und die
Voraussetzungen für die Vergütung der Urheber - durch
DRMS oder Pauschalen- neu definieren will, wird dem Gesichtspunkt
der Kunst-, Informations- und Wissenschaftsfreiheit sein Augenmerk
widmen müssen: Wer in der Informationsgesellschaft Kunst, Bildung
und Wissen für alle zugänglich erhalten will und noch
dazu Elite-Universitäten plant, muss darauf achten, dass der
Zugang zu diesem hohen Gut nicht privatisiert wird.
Rechtsanwalt Gerhard Pfennig ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied
der VG Bild-Kunst
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