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Ungeniert, alle maskiert
Venezianische Nacht in Cottbus · Von Susanne Geißler
Erstmals lud das Staatstheater Cottbus die Besucher zu einem Spektakel
besonderer Art ein: Für die 13 Vorstellungen der Karnevalsoperette
,,Eine Nacht in Venedig” von Johann Strauss verwandelte sich
das Große Haus am Schillerplatz in einen venezianischen Palast
voller Überraschungen und Geheimnisse.
Das Staatstheater ist ein Kleinod des Jugendstils. Eine florierende
Textilindustrie hatte Cottbus zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu
einer wohlhabenden Stadt gemacht. Der Architekt Bernhard Sehring,
der bereits mit seinem „Theater des Westens” in Berlin
großes Aufsehen erregt hatte, erhielt den Bauauftrag. Nach
nur 16 Monaten Bauzeit wurde das Theater am 1. Oktober 1908 eröffnet.
Von Anfang an favorisierten die Theaterbesucher die Operette. Das
Schauspiel und die Oper hatten es dagegen schwer, das Haus zu füllen.
Erst ab 1912 gab es ein theatereigenes Orchester und ein festes
Opernensemble. Wunderbarer-weise überstand der Bau den Krieg
weitgehend unbeschadet. Cottbuser Bürger verhinderten 1945
die Sprengung des Gebäudes, das während des Krieges auch
als Munitionslager gedient hatte. Seit 1992 ist das Cottbuser Theater
Staatstheater, das einzige im Land Brandenburg. Durch die Qualität
seiner Inszenierungen hat es sich seither auch überregional
einen Namen gemacht.
Die Liebe zur Operette ist den Cottbusern nach fast einem Jahrhundert
nicht abhanden gekommen. Die Aufbauten vor dem Theater— Canal
Grande mit Gondel und Brücke — verführte auch die
Zögernden und Unentschlossenen, sich einer venezianischen Nacht
hinzugeben. Beim Eintritt in den „Palast“ erhielt jeder
Zuschauer eine venezianische Maske, um ungeniert und unerkannt in
die Lustbarkeiten einzutauchen. Viele Gäste waren, einer Anregung
des Theaters folgend, köstümiert erschienen und machten
so den Figuren der Comedia dell‘ arte Konkurrenz. Im Foyer
erwarteten Arlecchino, Colombina, Pantalone, Brighella und viele
von der Kostümdirektorin Susanne Suhr phantasievoll und aufwändig
gewandete Venezianer und Venezianerinnen die Gäste und geleiteten
sie zu den Überraschungen des Rahmenprogramms, das eine Stunde
vor dem Vorstellungsbeginn startete. Die Regisseurin des Begleitprogramms,
Bettina Jahnke, hat sich viel einfallen lassen. Über drei Etagen
verteilte sie so viel italienische Kleinkunst, dass auch der wendigste
Besucher nur mit Mühe wenigstens einen Blick auf die versammelte
Ideenpracht werfen konnte. In den Seitenbögen lasen Schauspieler
in der Rolle des alternden Casanovas erotische Märchen. Im
Kuppelfoyer (eine bemerkenswerte Adaption des Schinkelschen Sternenzelts
mit schmückenden Glühbirnen als Sterne) wurden Liebesgedichte
vorgetragen. Wahrsagerinnen und Handleserinnen boten ihre Dienste
an. Ein Buffett mit italienischen Leckereien rundete den Genuss
der Sinne ab.
Mit seiner Karnevalsoperette ,,Eine Nacht in Venedig” hat
Johann Strauss nicht unbedingt einen musikalischen Höhepunkt
komponiert, doch Ohrwürmer wie ,,Steig‘ in die Gondel,
mein Liebchen...” und ,,Alle maskiert, alle maskiert, wo Spaß,
wo Tollheit und Lust regiert...” erfreuen sich noch heute
beim Publikum großer Beliebtheit. Der Wiedererkennungs- und
Mitsummeffekt tun ein Übriges. Die Handlung des Spektakels
ist ein wenig dünn und entspricht in weiten Teilen den einschlägig
bekannten Operettenklischees: Drei Paare wollen zueinander finden.
Das gelingt nur mit List und Tücke, mit Verwechslung und Verwirrung.
Am Ende hat jede Dame den passenden Kavalier erobert. Die Grenzen
der Schicklichkeit werden mehrfach touchiert, jedoch nie überschritten.
So weit, so schlicht.
Sehens- und bemerkenswert ist jedoch, was man in Cottbus unter
der Regie von Martin Schüler aus dieser Vorgabe gestaltet.
Mit größtem Einfallsreichtum wird das Ganze modernisiert,
entkitscht und appetitlich zubereitet. Ein Spielleiter in wallendem
Schwarz mit Vogelschnabelmaske nimmt das Publikum an die Hand und
geleitet es durch den Abend. Er erklärt, kommentiert und parodiert
das Bühnengeschehen, animiert zum Mitsingen, Mitklatschen und
anderen Narreteien, kurz: er inszeniert eine Art Mitmach-Operette
zum großen Vergnügen der Laiendarsteller im Parkett und
auf den Rängen. Das überwiegend weiße, so einfach
wie stimmungsvolle Bühnenbild von Gundula Martin gibt den pastellfarbenen
Kostümen (ebenfalls von Susanne Suhr) Leuchtkraft und Eleganz.
Der Chor (Einstudierung von Christian Möbius) ist wohldisponiert,
ausgesprochen spielfreudig und engagiert. Das Ballett (Choreographie
Michael Apel) wirbelt mit schier artistischer Leichtigkeit und Grazie
über die Bühne. Sängerinnen und Sänger agieren
souverän und sind stimmlich überzeugend. Den musikalischen
Schwung gibt das Philharmonische Orchester Cottbus unter der Leitung
der jungen 1. Kapellmeisterin Judith Kubitz, die mit straffen Tempi
manch allzu schmachtende Arie wohltuend im Zaum hält. Wenn
nach zwei Stunden der begeisterte Schlussapplaus einsetzt, das Publikum
förmlich auf den Sitzen kleben bleibt, als erwarte es einen
weiteren Akt als Zugabe, darf man getrost von einem gelungenen Abend
sprechen. Bleibt zu hoffen, dass die Strauss‘sche Karnevalsoperette
ins Repertoire aufgenommen und so auch im kommenden Jahr ein Kassenmagnet
wird.
Susanne
Geißler
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