|
Die Stadt als Klangkörper
Bericht über eine Tagung in Dessau · Von Isabel Herzfeld
Im Rahmen des Kurt Weill Festes in Dessau wurde eine Tagung zum
Thema „Kurt Weill – Musiktheater und die moderne Großstadt“
veranstaltet. Isabel Herzfeld war für „Oper & Tanz“
dabei.
Kurt Weills „Dreigroschenoper“, „Aufstieg und
Fall der Stadt Mahagonny“ oder die Broadway-Oper „Street
Scene“ auf dem platten Land spielen zu lassen, ist wohl undenkbar.
Die moderne Großstadt gibt diesen Werken so etwas wie eine
Physiognomie, von ihrem Rhythmus und Tempo, ihrer charakteristischen
Geräuschkulisse, ihrer rasanten Amüsierwut und ihren schimmernden
Fassaden ebenso geprägt wie von der Szenerie ihres Elends.
Öffnung zum Experiment
Insgesamt finden die gesellschaftlich-technischen Entwicklungen
zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Niederschlag im Musiktheater
wie nie zuvor. Das Thema „Kurt Weill – Musiktheater
und die moderne Großstadt“ unter musik- wie architekturwissenschaftlichen
Gesichtspunkten zu beleuchten, war da ebenso naheliegend wie verdienstvoll.
Ein Konzept von „Stadt als kompositorischer Differenz“
entwickelte Bauhaus-Direktor Omar Akbar, ausgehend vom Begriff der
Komposition als Zusammenstellung heterogener Elemente, die der „Stadt
als Klangkörper“ eine charakteristische Polyphonie abgewinnt.
Diese „Differenz“ lässt die Gleichzeitigkeit des
Verschiedenen zu, heiße Harmonien ebenso wie Disharmonien.
Stadtplanung bedeutete in der Geschichte häufig, Widersprüche
zugunsten eines idealen Ganzen einzuebnen. Doch die moderne Stadt,
vielfach als Moloch, als Kakophonie nicht mehr zu bewältigender
Reize wahrgenommen, müsse sich mehr denn je dem Experiment
öffnen – etwa nach dem Vorbild des zeitgenössischen
Musiktheaters, das in radikaler Abgrenzung zur traditionellen Oper
auf die städtischen Umbrüche experimentell reagiert habe.
Was heißt das für Kurt Weill? Das Panaroma der Revuetheater
im Berlin der Zwanziger Jahre, die die wechselnden Moden und Lebensgewohnheiten
zum Thema machten, entfaltete Nils Grosch. Die Spoliansky-Revue
„Es liegt in der Luft“ etwa verwendete eine Warenhaus-Szenerie
als pars pro toto der urbanen Welt, „Schön und schick“
handelte vom Auto, seinen Chauffeuren und Fahrgästen. Joachim
Lucchesi skizzierte das gescheiterte Projekt des Brecht/Weillschen
„Ruhrepos“ in Essen 1927, das tiefgehender, ebenso futuristisch
wie historisch bestimmt, die Lebenswelt in den Bergwerken einfangen
wollte.
Nicht-Ort oder Lagerraum
Weill schwebte eine monumentale Oratorium-Form vor, mit Arien
und großen Chorpartien, die die riesigen Fabrikhallen nach
Art der venezianischen Mehrchörigkeit nutzen sollten. Szenen
mit Jazz- und Songcharakter sollten für komödiantische
Brechungen sorgen, wie sie auch Weills Lehrer Busoni in seiner „jungen
Klassizität“ vorschwebten. „Mahagonny, das ist
kein Ort“, umriss Marie Neumüllers, Germanistin am Bauhaus,
die Haltung des listigen Bert Brecht zum Großstadtdschungel,
die im Gegensatz zu den übersensiblen Expressionisten weder
apokalyptisch noch euphorisch war, sondern nüchtern die „Rüstung
für den Kampfplatz der Öffentlichkeit“ anlegte.
Dem Nicht-Ort, der Utopie, stellte Laura Frahm die Stadt als „Heterotopie“,
als vertikal geschichteten Lagerraum der unterschiedlichsten Elemente
oder auch als Transitraum, in dem Vergangenheit, Zukunft und Identität
nicht zählen, gegenüber. Wenn auch mit dieser auf Foucault
zurückgehenden „raumtheoretischen Analyse“ das
Haus Nr. 36 in einer New Yorker Siedlung, Schauplatz von „Street
Scene“, zutreffend als sozialer Raum komplexer Beziehungsgeflechte
beschrieben wurde, so fragte man sich doch nach der Deutungsfähigkeit
eines solch aufwendigen Konzepts über traditionelle Ansätze
hinaus.
Großstadtpanorama
Denn anders als in heutigen „Nicht-Orten“ wie Flughäfen
oder Einkaufszentren, die den Identitätsverlust vorprogrammieren,
geht es in „Street Scene“ doch eher zu wie auf dem Dorf,
mit festumrissenen Persönlichkeitsbildern, deren Abwehr des
Fremden uns nur zu bekannt vorkommt. „Verflochtenheit als
Kontext“ mit konterkarierenden Vorgängen ist da eher
eine banale Erkenntnis. Während Jürgen Schebera die Zusammenarbeit
von Weill, Langston Hughes und Elmer Rice in „Street Scene“
in bekannter Weise beschrieb, hatte Stefan Weiss wirklich Erhellendes
beizusteuern. Am Beispiel von Schostakowitschs Oper „Die Nase“
entfaltete er ein auch musikalisch greifbares Großstadtpanorama
von wirklich drangvoller Enge: 78 Personen, gesungene Partien, Sprechrollen
und Chor (Street Scene: 54) bringen hier schon rein zahlenmäßig
die Großstadt auf die Bühne. Mit einem achtstimmigen
Kanon wird die Hauptfigur aus dem sichtbaren und musikalischen Raum
verdrängt; polyphone Strukturen bezeichnen tatsächlich
urbane, schwer überschaubare, die Vielfalt der Differenz wiedergebende
Vorgänge, die in politisch präzise Beschreibung der Machtverhältnisse
im damaligen „St. Leninburg“ münden. Ein solch
kritisches Moment scheint „Street Scene“ denn doch zu
fehlen – wie das ganze Weill Fest diesmal ein wenig beliebig
den Klischeevorstellungen von Großstadt huldigte.
Isabel
Herzfeld
|