Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Brenn-Punkte: Situation deutscher Theater
Brandmeldungen von Aachen bis München
Kulturförderung durch Arbeitslose
Der Streik der „Intermittents“ in Frankreich
Die Stadt als Klangkörper
Bericht über eine Tagung in Dessau
Elektronisches Wissen ist Macht
Das Urheberrecht im digitalen Zeitalter

Portrait
Zwischen Tanz und Stummfilm
Ballett-Repetitor und Filmkomponist Aljoscha Zimmermann im Gespräch
In so mancherlei Gestalt…
Der Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden

Berichte
Kühle glatte Oberflächen
Kurt Weill Fest versucht sich in „Stadtkultur“
Himmel, Arsch und Wolkenstein
Winfried Hillers und Felix Mitterers „Wolkenstein“ im Staatstheater Nürnberg
Sinn und Widersinn
Hallgrimssons „Die Wält der Zwischenfälle“ in Lübeck
Ungeniert, alle maskiert
Venezianische Nacht in Cottbus


Musik-Collagen von Pina Bausch
Eine Werk-Monografie
Neue Opern – Neue Aufnahmen
Ein aktueller Überblick

Alles, was Recht ist
Finger weg von den Koalitionsrechten
Von Krankenversicherung bis Urlaubsverlängerung

VdO-Nachrichten
Nachrichten
Muss Schwund sein? // Weniger Erziehungsgeld // Bundestarifausschuss // Tarifkommission Berlin // Wir gratulieren // Opernchor des Bremer Theaters trauert um Fritz Hummel

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Oper und Tanz im TV
Stellenmarkt
Wettbewerbe 2004
Spielpläne 2003/2004
Festspiel-Vorschau 2004

 

Kulturpolitik

Die Stadt als Klangkörper

Bericht über eine Tagung in Dessau · Von Isabel Herzfeld

Im Rahmen des Kurt Weill Festes in Dessau wurde eine Tagung zum Thema „Kurt Weill – Musiktheater und die moderne Großstadt“ veranstaltet. Isabel Herzfeld war für „Oper & Tanz“ dabei.

Kurt Weills „Dreigroschenoper“, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ oder die Broadway-Oper „Street Scene“ auf dem platten Land spielen zu lassen, ist wohl undenkbar. Die moderne Großstadt gibt diesen Werken so etwas wie eine Physiognomie, von ihrem Rhythmus und Tempo, ihrer charakteristischen Geräuschkulisse, ihrer rasanten Amüsierwut und ihren schimmernden Fassaden ebenso geprägt wie von der Szenerie ihres Elends.

Öffnung zum Experiment

 
 

Eis zur Abkühlung: Christina Gerstberger als Rose und Chor des Anhaltischen Theaters. Foto: Kai Bienert

 

Insgesamt finden die gesellschaftlich-technischen Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Niederschlag im Musiktheater wie nie zuvor. Das Thema „Kurt Weill – Musiktheater und die moderne Großstadt“ unter musik- wie architekturwissenschaftlichen Gesichtspunkten zu beleuchten, war da ebenso naheliegend wie verdienstvoll. Ein Konzept von „Stadt als kompositorischer Differenz“ entwickelte Bauhaus-Direktor Omar Akbar, ausgehend vom Begriff der Komposition als Zusammenstellung heterogener Elemente, die der „Stadt als Klangkörper“ eine charakteristische Polyphonie abgewinnt. Diese „Differenz“ lässt die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen zu, heiße Harmonien ebenso wie Disharmonien. Stadtplanung bedeutete in der Geschichte häufig, Widersprüche zugunsten eines idealen Ganzen einzuebnen. Doch die moderne Stadt, vielfach als Moloch, als Kakophonie nicht mehr zu bewältigender Reize wahrgenommen, müsse sich mehr denn je dem Experiment öffnen – etwa nach dem Vorbild des zeitgenössischen Musiktheaters, das in radikaler Abgrenzung zur traditionellen Oper auf die städtischen Umbrüche experimentell reagiert habe. Was heißt das für Kurt Weill? Das Panaroma der Revuetheater im Berlin der Zwanziger Jahre, die die wechselnden Moden und Lebensgewohnheiten zum Thema machten, entfaltete Nils Grosch. Die Spoliansky-Revue „Es liegt in der Luft“ etwa verwendete eine Warenhaus-Szenerie als pars pro toto der urbanen Welt, „Schön und schick“ handelte vom Auto, seinen Chauffeuren und Fahrgästen. Joachim Lucchesi skizzierte das gescheiterte Projekt des Brecht/Weillschen „Ruhrepos“ in Essen 1927, das tiefgehender, ebenso futuristisch wie historisch bestimmt, die Lebenswelt in den Bergwerken einfangen wollte.

Nicht-Ort oder Lagerraum

Weill schwebte eine monumentale Oratorium-Form vor, mit Arien und großen Chorpartien, die die riesigen Fabrikhallen nach Art der venezianischen Mehrchörigkeit nutzen sollten. Szenen mit Jazz- und Songcharakter sollten für komödiantische Brechungen sorgen, wie sie auch Weills Lehrer Busoni in seiner „jungen Klassizität“ vorschwebten. „Mahagonny, das ist kein Ort“, umriss Marie Neumüllers, Germanistin am Bauhaus, die Haltung des listigen Bert Brecht zum Großstadtdschungel, die im Gegensatz zu den übersensiblen Expressionisten weder apokalyptisch noch euphorisch war, sondern nüchtern die „Rüstung für den Kampfplatz der Öffentlichkeit“ anlegte. Dem Nicht-Ort, der Utopie, stellte Laura Frahm die Stadt als „Heterotopie“, als vertikal geschichteten Lagerraum der unterschiedlichsten Elemente oder auch als Transitraum, in dem Vergangenheit, Zukunft und Identität nicht zählen, gegenüber. Wenn auch mit dieser auf Foucault zurückgehenden „raumtheoretischen Analyse“ das Haus Nr. 36 in einer New Yorker Siedlung, Schauplatz von „Street Scene“, zutreffend als sozialer Raum komplexer Beziehungsgeflechte beschrieben wurde, so fragte man sich doch nach der Deutungsfähigkeit eines solch aufwendigen Konzepts über traditionelle Ansätze hinaus.

Großstadtpanorama

Denn anders als in heutigen „Nicht-Orten“ wie Flughäfen oder Einkaufszentren, die den Identitätsverlust vorprogrammieren, geht es in „Street Scene“ doch eher zu wie auf dem Dorf, mit festumrissenen Persönlichkeitsbildern, deren Abwehr des Fremden uns nur zu bekannt vorkommt. „Verflochtenheit als Kontext“ mit konterkarierenden Vorgängen ist da eher eine banale Erkenntnis. Während Jürgen Schebera die Zusammenarbeit von Weill, Langston Hughes und Elmer Rice in „Street Scene“ in bekannter Weise beschrieb, hatte Stefan Weiss wirklich Erhellendes beizusteuern. Am Beispiel von Schostakowitschs Oper „Die Nase“ entfaltete er ein auch musikalisch greifbares Großstadtpanorama von wirklich drangvoller Enge: 78 Personen, gesungene Partien, Sprechrollen und Chor (Street Scene: 54) bringen hier schon rein zahlenmäßig die Großstadt auf die Bühne. Mit einem achtstimmigen Kanon wird die Hauptfigur aus dem sichtbaren und musikalischen Raum verdrängt; polyphone Strukturen bezeichnen tatsächlich urbane, schwer überschaubare, die Vielfalt der Differenz wiedergebende Vorgänge, die in politisch präzise Beschreibung der Machtverhältnisse im damaligen „St. Leninburg“ münden. Ein solch kritisches Moment scheint „Street Scene“ denn doch zu fehlen – wie das ganze Weill Fest diesmal ein wenig beliebig den Klischeevorstellungen von Großstadt huldigte.

Isabel Herzfeld

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner