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Kühle glatte Oberflächen
Das Kurt Weill Fest versucht sich in „Stadtkultur“
· Von Isabel Herzfeld
Die Idee hat etwas Bestechendes: Man verpflanze eine New Yorker
Straßenzeile in eine nachkriegsdeutsche Ruinenlandschaft.
Ein Trümmerfräulein klaubt aus einem Schutthaufen einen
alten Volksempfänger hervor, schaltet ihn ein – „Die
Stimme Amerikas“, der Sender, der bereits vor Kriegsende Propaganda
für die Demokratie und den „american way of life“
machte, überträgt die Premiere der Broadway-Oper „Street
Scene“. „Diese Hitze ist einfach die Hölle“
schallt es aus dem Radio ins winterliche Schneetreiben hinaus. Und
unmerklich belebt sich die Straße mit den Figuren des Dramas
und sommerlicher Beleuchtung, schlüpft das junge Mädchen
in die Rolle der Protagonistin. Ein ehrenwerter Versuch des Regisseurs
Nicholas Muni, Kurt Weills Oper „Street Scene“ einem
deutschen Publikum nahe zu bringen. In der recht lockeren deutschen
Übertragung von Stefan Troßbach löst sich das Vorurteil,
nur im amerikanischen Milieu könne der „amerikanische“
Weill auch werkgerecht vermittelt werden, in Luft auf. Erstaunlicherweise
verflüchtigt sich damit auch eine gewisse Musical-Sentimentalität,
die Aufführungen in amerikanischer Sprache gewöhnlich
anhaftet. Und auch vom „politischen“ Weill wird mit
diesem Rahmen einiges hinübergerettet.
Leider bleibt das an der Oberfläche – warum zertrümmert
das Mädchen das Radio zum Schluss? Frust über das eigene
Elend? Zorn auf die „Besatzer“? Oder die vielen lästigen
Ausländer, Italiener, Schweden und Juden? Letzten Endes ist
das für das Lieben und Leiden der Multi-Kulti-Belegschaft des
gar nicht ruinösen New Yorker Hauses ohne Belang. Das Ensemble
des Anhaltischen Theaters Dessau (musikalische Leitung: Golo Berg)
bietet runde Tanz- und Gesangsleistungen; an der liebevollen Genrezeichnung,
den vielen pfiffigen und anrührenden Typen hat der solistisch
ausdifferenzierte Chor hohen Anteil.
Stadtkultur ist das Motto des diesjährigen Kurt Weill Festes,
das ein Werk wie „Street Scene“ schon im Titel erfüllt.
Es kennzeichnet aber auch eine Besonderheit dieses Festivals, denn
Dessau bemühte sich von Anfang an um die Integration seines
großen Sohnes, ein Fremder aus dem US-Exil. Da kam ein „Weill-Mobil“
direkt zur Bevölkerung, wandten sich Workshops und Produktionen
des Theaterjugendclubs Chamäleon e.V. speziell an ein jugendliches
Publikum. Die Openair-Aktivitäten wurden jetzt durch eine „Weill-Meile“
ersetzt, ein rein kommerzielles Angebot mit „Dreigroschen-Baguette“
und „Mahagonny-Cocktail“. Ein Verständnis von „Stadtkultur“
scheint sich hier anzudeuten, das lediglich aufgreift, was ist,
auf das Faszinosum des buntschillernden Molochs Großstadt
starrt und damit das von Weill einkomponierte kritische Moment gerade
ausblendet. Mag das Ensemble „Singer pur“ die Songs
der libertinären „Netzestadt“ mit noch so viel
ironischem Belcanto-Charme versehen – wie scharf und inhaltlich
aktuell diese Musik einmal war, vermittelt der „Mahagonny“-Film
von Harry Smith aus den 70er- Jahren, der die Aufnahme von 1950
mit der schon recht wackeligen, aber unschlagbar präsenten
Lotte Lenya benutzt.
Stilfragen sind wohl doch von der inhaltlichen Klärung nicht
zu trennen – als „Artist in residence“ sollte
Starsopranistin Christine Schäfer dem Kurt Weill Fest besonders
attraktives Profil geben. Doch was im Vorjahr dem Pantomimen Milan
Sladek so unnachahmlich gelang, blieb diesmal blass. Mit dem Palastorchester
Max Raabe versuchte Schäfer vergeblich das freche Flair der
Goldenen Zwanziger einzufangen, zeigte bis auf ein paar berührende
Nuancen in „Surabaya Johnny“ lediglich ihre für
diese Songs viel zu artifizielle, kostbar gepflegte Stimme vor.
Natürlich, in ihrer Liedmatinee war sie dafür ganz bei
sich selbst, durchleuchtete die vertrauten Gesänge von Strauss
und Mozart mit phantasiereichen Details und wusste auch Verbindungslinien
zwischen Bach und Weill, dem jüdischen Kantorensohn, zu ziehen.
Doch „Nanas Lied“ geriet wieder viel zu opernhaft pathetisch.
Beim Lotte Lenya-Wettbewerb, den es hoffentlich bald wieder einmal
geben wird, hätte die gefeierte Sängerin damit wohl nicht
gewonnen.
Isabel
Herzfeld
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