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Bürgertheater par excellence
Das Mannheimer Theater wird 225 · Ein Porträt von
Nike Luber
Man sieht es ihm nicht an, doch ist das Nationaltheater Mannheim
eine der traditionsreichsten Bühnen Deutschlands. Gegründet
wurde das Haus vor 225 Jahren durch Carl Theodor, Musterexemplar
eines aufgeklärten, kunstsinnigen Fürsten, dem wir nicht
nur das Nationaltheater Mannheim, sondern indirekt auch die Schwetzinger
Festspiele verdanken. Das Theater entwickelte sich prächtig,
solange Carl Theodor in Mannheim residierte. Johann Stamitz begründete
mit der Hofkapelle den als Mannheimer Schule berühmt gewordenen
Stil, der zum Vorbild europäischer Orchester wurde und renommierte
Komponisten nach Mannheim zog, darunter auch Wolfgang Amadeus Mozart.
Er nahm zwar keine feste Anstellung, aber viele musikalische Anregungen
aus Mannheim mit. Bis heute gehören Mozarts Werke zu den Schwerpunkten
des Mannheimer Spielbetriebs.
Schillers Hausbühne
Oft mussten die Mannheimer Bürger jedoch um ihr Theater kämpfen.
Kaum hatte unter Carl Theodors Ägide mit der Uraufführung
der Oper „Günter von Schwarzburg“ 1777 der Anlauf
zu einem deutschsprachigen Musiktheater begonnen und das Mannheimer
Ballett sich einen internationalen Ruf erworben, musste der Fürst
die bayerische Erbfolge antreten. Mit Carl Theodor gingen die Sänger,
Tänzer und viele Musiker nach München, in Mannheim blieb
nur das Schauspiel zurück. Doch selbst aus dieser Not machten
die Mannheimer eine Tugend, indem sie ihr Theater dem jungen Schiller
quasi als Hausbühne zur Verfügung stellten. Dass das Nationaltheater
heute am Goetheplatz steht, mutet da fast wie eine Ironie des Schicksals
an. Der Name Nationaltheater jedenfalls war Programm, denn im ausgehenden
18. Jahrhundert stellte Theater in deutscher Sprache, geschrieben
von deutschen Autoren, eine bahnbrechende Neuerung dar.
Stetiges Wachstum
Es dauerte nicht lange, da gesellte sich die Oper wieder zum Schauspiel
und die Mannheimer Bürger hatten wenigstens ein Zwei-Sparten-Haus.
Im Lauf des 19. Jahrhunderts entfaltete sich ein blühender
Repertoirebetrieb, die Opern Mozarts wurden von Anfang an gespielt,
später kam eine intensive und fruchtbare Wagner-Pflege hinzu.
Auch Wagner ist nach wie vor ein Schwerpunkt im Spielplan des Nationaltheaters,
Generalmusikdirektor Adam Fischer gab 2001 sein Debüt auf dem
Grünen Hügel von Bayreuth. Am längsten brauchte das
Ballett, um sich wieder in Mannheim zu etablieren. Jahrzehntelang
musste sich das Publikum mit Gastspielen begnügen, bis endlich
1870 ein eigenes Ballettensemble aufgebaut wurde. Interessanterweise
wurde das Mannheimer Ballett von Frauen geführt. Die Reihe
der Mannheimer Ballettmeisterinnen erwies sich als mutig und aufgeschlossen,
früh wurde der Ausdruckstanz gefördert und der Reformer
Rudolf von Laban konnte seine Theorien auf der Bühne umsetzen
wie 1921 mit der Choreografie zu Wagners „Tannhäuser“.
Finanzkrisen und ihre Lösung
Wären die Mannheimer ihrem Theater nicht so eng verbunden
gewesen, gäbe es heute kein Nationaltheater Mannheim. 1817
kürzte das Großherzogtum Baden seinen Zuschuss –
ein heute vertraut anmutendes Thema – und die Stadt sprang
ein, um ihre Bühne zu retten. Die nächste große
Finanzkrise kam nach dem Schwarzen Freitag 1929, als es wieder die
Mannheimer Bürger waren, die durch Proteste und Spenden ihr
Theater retteten. Mit gutem Grund: Zwischen den Weltkriegen dirigierte
unter anderem Wilhelm Furtwängler am Mannheimer Nationaltheater,
das eine innovative Blütezeit erlebte mit zahlreichen Uraufführungen,
einer Händel-Renaissance und der Entdeckung russischer und
tschechischer Opern. Diese Blüte wurde durch die Herrschaft
der Nationalsozialisten unterbrochen, alle Spielpläne im so
genannten Reich wurden zentral überwacht. Der schwerste Einschnitt
kam mit der Bombardierung des Nationaltheaters. Alles, was architektonisch
an Carl Theodor, die Mannheimer Schule, Mozart und Schiller erinnert
hatte, versank in Schutt und Asche. Wie in vielen anderen zerstörten
Städten wurde trotzdem schon 1945 wieder gespielt, wenn auch
in Behelfsräumen.
Ausgelasteter Chor
Statt nach dem Krieg mit der Städtischen Bühne Heidelberg
zu fusionieren, gaben die theaterbegeisterten Mannheimer wieder
Geld, und so konnte 1953 der Grundstein für den Theaterneubau
am Goetheplatz gelegt werden, auf dem Gelände eines ehemaligen
Bunkers. Mit Schillers „Die Räuber“ und Webers
„Der Freischütz“ wurde 1957 die Eröffnung
des Hauses gefeiert. Traditionsbewusst ist das Nationaltheater geblieben:
bis vor rund 15 Jahren hatte Mannheim einen Spielplan im Musiktheater
anzubieten wie sonst nur die Wiener Staatsoper, erinnert sich Winfried
Knoll, selbst seit 25 Jahren Mitglied des Mannheimer Opernchors.
Lange ist das Nationaltheater ein Ensembletheater gewesen, weder
für Wagner noch für Verdi mussten Gäste engagiert
werden. Die Repertoiredichte in der Oper hatte jedoch auch ihren
Preis: Chorsänger absolvierten oft 25 Vorstellungen im Monat
in manchmal 25 verschiedenen Stücken, dazu kamen die Proben.
Deshalb hatten die Mannheimer Choristen eine Woche mehr Urlaub als
ihre Kollegen an anderen Bühnen, erzählt Knoll. Leider
nur so lange, bis der Urlaub für alle Chorsänger in Deutschland
auf 45 Kalendertage erhöht wurde. Neue Chorsänger und
-sängerinnen mussten sich auch an das Mannheimer Klima gewöhnen,
denn der Wind wehte meist aus Ludwigshafen und trieb die Dämpfe
der BASF über den Rhein, was sich erst einmal auf die Stimmbänder
schlug, so Knoll.
Reger Austausch mit Bayreuth
Das hat sich inzwischen dank neuer Filteranlagen geändert.
Knoll denkt gern an die Glanzzeit des Repertoirebetriebs zurück.
Viel Arbeit, sagt er, war es jedoch für Neueinsteiger im Chor,
die innerhalb von zwei bis drei Jahren an die 30 Chorpartien lernen
mussten. Dafür liefen die Stücke im Schnitt zehn Jahre
lang regelmäßig, es gab pro Spielzeit nur vier bis fünf
Opernpremieren, und so beherrschten die Choristen ihre Partien in-
und auswendig. Da jedes der Repertoirestücke mindestens ein
Mal im Monat auf dem Spielplan stand, waren weniger Wiederaufnahmeproben
nötig. Die ganzen großen Verdi- und Wagner-Opern habe
man auf dem Spielplan gehabt, einen regen Austausch mit Bayreuth
praktiziert. Nicht umsonst seien die Wagner-Brüder oft zu Premieren
nach Mannheim gekommen, denn schon die Vorgänger von GMD Adam
Fischer (unter anderem Horst Stein, Hans Wallat oder Peter Schneider)
dirigierten auf dem Grünen Hügel. Für viele Solisten
und Kapellmeister wäre die Verdi- und Wagnertradition der Grund
gewesen, in Mannheim zu bleiben. Der legendäre „Parsifal“
in einer Inszenierung von 1956 ist das letzte überlebende Stück
dieser Ära. Heute, meint Knoll, seien die Spielpläne etwas
ausgedünnt, es würden weniger Stücke öfter gespielt,
längere Zeit abgesetzt und dann mit größerem Arbeitsaufwand
als Wiederaufnahmen hervorgeholt. Und dann noch die leidigen Originalsprachen!
Berlioz’ „Les Troyens“ oder Mussorgskys „Boris
Godunow“ im Kopf zu behalten, wenn man weder französisch
noch russisch spricht, das sei eine Kunst für sich.
Mozart ist ein Muss
Inzwischen hat Mannheim wieder an die Ausrichtung der Zwischenkriegszeit
angeknüpft, man entdeckt selten gespielte Opern aus dem Ausland,
pflegt zeitgenössische Komponisten durch Uraufführungen,
die überregional viel Beachtung finden wie etwa Giorgio Battistellis
„Auf den Marmorklippen“. Mozart ist jedoch für
das Nationaltheater geradezu ein „Muss“: Neben der obligatorischen
Mozart-Oper im Spielplan findet alljährlich im Dezember die
Mozart-Woche statt. Auch das Mannheimer Ballett pflegt Mozart, um
nur das vom ehemaligen Ballettdirektor Philippe Talard choreografierte
Mozart-Requiem zu nennen oder den in dieser Spielzeit uraufgeführten
Tanzabend „Moving Mozart“ vom Direktoren-Team Dominique
Dumais und Kevin O’Day. Man darf gespannt sein, wie die in
225 Spielzeiten entstandene Tradition des Mannheimer Nationaltheaters
in den nächsten Jahren und Jahrzehnten fortgeführt wird.
Nike
Luber
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