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Regionales Musiktheater im Fokus
Diskussion: Zwischen Sparzwang und Kulturauftrag · Von
Martin Hufner
Sie stehen am Rande der öffentlichen und überregionalen
Kritik, sie stehen abseits der großstädtischen und publizistischen
Aufmerksamkeitskurven: sie, die regionalen Musiktheater von Aachen
über Gießen bis Cottbus, von Greifswald bis Ulm. Sie
haben in den letzten Jahren viele Einbußen der öffentlichen
Förderung hinnehmen müssen. Speziell im Fall der ostdeutschen
Musiktheater zugleich die Neuorientierung in einer neuen Gesellschafts-
und Wirtschaftsform. In der 18. Ausgabe der Rundfunksendung „contrapunkt
– westöstlicher dialog“ des Bayerischen und des
Mitteldeutschen Rundfunks ging es um die Situation des „regionalen
Musiktheaters“ unter dem zugespitzten Motto: „Kulturauftrag
contra Sparzwang“. Darüber unterhielten sich im Bayerischen
Bahnhof zu Leipzig Paul Esterhazy (Theater Aachen), Martin Schüler
(Intendant Cottbus) und Frieder Reininghaus (Musikkritiker) mit
den Moderatoren Theo Geißler (Chefredakteur und Herausgeber
der neuen musikzeitung sowie Mitherausgeber der Zeitschrift „Oper
& Tanz“) und Frank Kämpfer (Musikredakteur des Deutschlandfunks).
In der überregionalen Kritik
werden sie häufig belächelt, so sie überhaupt Beachtung
finden. Das Theater, so könnte der publizistische Überblick
aus dem journalistischen Fenster der großen Tageszeitungen
ausschauen, findet in den Theaterhauptstädten statt. Die Provinz
ist langweilig und – nomen est omen – eben provinziell.
Dabei gärt es häufig genug in den Theatern jenseits der
journalistischen Schaufenster. Fast mag es den Anschein haben, dass
die Not in Teilen zu höchst kreativen Lösungen führt.
In der Provinz entscheidet sich die Zukunft des Musiktheaters, denn
die regionale Verankerung dieser Institutionen verzeiht keine Plattheiten
oder billigen Modezüge, auf die man aufspringt. Und die Provinz
kann geradezu ein Schmelztiegel für außerordentliche
Kulturarbeit sein.
Zeitgenössisches als Pflichtaufgabe
Der Aachener Intendant Paul Esterhazy sieht sich in seiner Arbeit
zum Beispiel in der Pflicht einer begründeten Theatertradition:
„Vor hundert Jahren bestand das Repertoire eines jeden Theaters
aus Stücken, die nicht älter als zehn Jahre waren. Alle
wissen, dass sich das in ein totales Gegenteil verkehrt hat. Wenn
ich in jedem Jahr für mich in Anspruch nehme, mindestens ein
Stück des Musiktheaters zur Uraufführung zu bringen, dann
halte ich das für nichts besonders Aufregendes, sondern für
die absolute pure Selbstverständlichkeit, ich behaupte sogar,
dass ich eigentlich hauptsächlich dafür mein Subventionsgeld
bekomme.“
Auf eine ganz neue Situation mussten sich die ostdeutschen Theater
nach der Wende einstellen. Mit der Währungsunion brach das
ganze alte Theatersystem fast komplett zusammen. Intendant Martin
Schüler über die Cottbusser Entwicklung: „Bei uns
ist es so: Bis zur Wende hatten wir ganz viele Anrechte (Abonnenten),
hundert Prozent Auslastung, am Tag der Währungsunion brach
das zusammen, von 13.000 Anrechten gab es nur noch 3.000. Entsprechend
hat sich auch die Anzahl der Aufführungen verringert.“
Mittlerweile habe man wieder eine Auslastung von etwa 85 Prozent
erreicht.
Von einer Theaterkrise mögen daher weder Esterhazy noch Schüler
sprechen. Im Gegenteil, seit etwa 20 Jahren seien die Besucherzahlen
stabil, und das trotz einer enorm gestiegenen Verbreitung der neuen
Medien – vom Fernsehen bis zur digitalen Kommunikation. Die
mediale Konkurrenz nahm zu, die öffentlichen Zuwendungen wurden
gekürzt. Und dennoch: Musiktheater scheint sein Publikum immer
wieder zu finden. Es muss was dran sein an der besonderen Erfahrungsqualität,
die vor allem auch die regionalen Musiktheater anbieten. Gefahr
droht viel mehr von anderer Seite.
Demontage der öffentlichen Kritik
Der Kahlschlag scheint sich nämlich im Bereich der medialen
Verbreitung abzuspielen. Frieder Reininghaus spricht von einer kontinuierlichen
Demontage der Kulturberichterstattung. Er schätzt allein die
Platzeinbuße in den großen Tageszeitungen wie der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung oder der Süddeutschen Zeitung auf etwas
40 bis 60 Prozent gegenüber dem Zustand Mitte der 90er-Jahre
ein. Im Hörfunk ein ähnliches Bild: „Im Bereich
des NDR höre ich jetzt Rezensionen, die zwischen fünfzig
Sekunden oder einer Minute und 50 Sekunden dauern, da können
Sie kaum die Namen aufsagen, Sie können nur sagen ‚es
war sehr interessant‘ oder ‚es hat mich sehr beeindruckt‘.
Vielleicht noch drei, vier Reizworte. Aus dieser Art von Journalismus
fallen Cottbus und Aachen natürlich auch wieder heraus, weil
da nur noch die prominenten Namen zählen, die man aus den Talkshows
kennt. Da gibt es dann das berühmte Ping-Pong-Spiel“,
sagt Frieder Reininghaus.
Moralische Anstalt – für ein junges
Publikum
Im Gegenzug gewinnt damit der Begriff des Theaters als einer moralischen
Anstalt gerade auf der regionalen Ebene eine neue Bedeutung. Gewissermaßen
befreit von Repräsentationszwecken für ein internationales
Publikum oder die nationale Presse, verankert man sich deutlicher
in der Region. Das muss dann nicht zwangsläufig etwas mit Anbiederung
zu tun haben. Paul Esterhazy drückt es als Aufgabe und Anspruch
aus: „Wir können für uns und unser Publikum definieren,
was wir auf dieser Bühne präsentieren. Wir haben bewiesen,
dass es wirklich möglich ist, Themen aufzugreifen, die mit
jetzt und heute zu tun haben – natürlich sind da auch
Stücke von gestern und vorgestern dabei, aber in Aachen zum
Glück ein sehr großer Anteil von ganz heutigen Stücken.
Im Schauspiel haben wir dreiviertel des Repertoires aus Stücken
der letzten fünf Jahre bestritten. Es ist heute überhaupt
nicht weniger leicht, inhaltlich definiertes Theater zu machen,
im Gegenteil, der Operettendruck von vor 15 bis 20 Jahren ist nicht
mehr vorhanden, oder nur an ganz wenigen Theatern. Es ist viel leichter,
inhaltlich definiertes Theater zu machen, und wer das nicht macht,
ist selber schuld.“ Martin Schüler aus Cottbus sieht
es ganz ähnlich. In Cottbus widmet man sich zum Beispiel der
„Neubefragung von Mythen und damit gekoppelt auch Lebensansichten.
Da begeben wir uns gemeinsam auf eine Suche nach dem, was das Publikum
eint, woran kann man sich orientieren, wo nicht. Wir haben zwölf
Jahre lang jedes Jahr unser Thema gehabt, das letzte war ‚Utopien‘,
und ich denke, dass man auch für die Zukunft diese Geschichten
im Theater erzählt. Das möchte ich auch jungen Leuten
vermitteln. Nicht irgendwelchen Moden nachlaufen. Das Theater muss
sein Publikum kennen, sensibel reagieren auf dieses Publikum.“
Zuverlässigkeit der Kulturpolitik gefordert
In einem Punkte sind sich die beiden Intendanten überaus
einig. Damit beispielsweise in Cottbus 2007 „Moses und Aron“
sowie 2008 der „Ring“ stattfinden können, bedarf
es neben allem eigenem Engagement einer „Zuverlässigkeit
durch die Kulturpolitik“. Dazu müssen die „Rechtsträger
genau formulieren, was sie von ihren Theatern wollen, und dann können
die Theater darauf reagieren.“ Da liegt ein dickes Manko für
eine notwendige Planungssicherheit auf Seiten der Theater. Denn,
wenn ihnen bloß die Funktion eines Selbstreperaturbetriebs
von der Kulturpolitik zugewiesen würde, wäre dies auf
Dauer eine Hypothek, der man irgendwann auch mit den kreativsten
Lösungen nicht mehr beikommen könnte. „Was ich meinen
Zuschauern geben will, ist, den Zauber des Theaters zu erhalten.
Dass man mit Überraschung, oft mit einfachen Mitteln die Menschen
durchaus mit hochanspruchvollen Stücken erreicht, dass Theater
nie altmodisch wird, dass man dem Publikum eben nicht hinterher
rennt, sondern dass man mit einer seriösen und glutvollen Arbeit
das Publikum Abend für Abend wachküsst - das ist unsere
Aufgabe“ - (Manfred Schüler).
Martin
Hufner
Die komplette Sendung ist als Real-Audio im contrapunkt-Archiv
im Internet nachhörbar unter: www.contrapunktonline.de/2003/18/index.php
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